Aktionskünstler Otto Muehl ist tot

Für manche war er einfach ein guter Maler mit seltsamer Biografie. Für andere war er ein Verführer, ein Diktator – und kein Künstler mehr.
Zuletzt, im Juni 2010, entschuldigte Otto Muehl sich bei jenen, die in seiner Kommune Opfer sexueller Übergriffe geworden waren. Da war er 85 und lebte, umringt von einigen Getreuen, auf der Insel in der Art & Life Family-Kommune in Portugal. In Wien konnten seine Worte das Dilemma bei seiner Beurteilung nicht mehr auflösen.
Nun ist Otto Muehl 87-jährig in Portugal gestorben, wie Daniele Roussel, Leiterin des Muehl-Archivs, erklärte. Er hatte zuletzt an der Parkinson-Krankheit gelitten.

Obwohl Muehl in einer seiner Aktionen „Die Zerstörung des Tafelbilds“ vorexerzierte, konnte er hervorragend malen: Mal nahm er den pointiert-comichaften Stil der Pop Art auf, mal paraphrasierte er mit expressiv aufgetragen Farben Vorbilder wie Van Gogh. Als Maler war er ein Chamäleon, dennoch im Stil unverkennbar.
Gegen „Spießbürger“
Als die künstlerische Karriere des gebürtigen Burgenländers in Fahrt gekommen war, schienen ihm Bilder allerdings nur Beiwerk zu sein, das sich „die Spießbürger“ kaufen konnten. Von Schriften Wilhelm Reichs und verschiedenen Therapieformen inspiriert, verlautbarte er im „Zock-Manifest“ 1970 den Aufbau einer neuen Gesellschaft. Deren Grundpfeiler waren „freie“ Sexualität, die Aufhebung der Trennung von öffentlich und privat, der Ausstieg aus den bürgerlichen Berufsrollen und die „Überwindung der Kunst durch aktionistische Lebenspraxis in der Gruppe“.

„Was die RAF im Politischen, das ist Otto Muehl im Sexuellen: der Punkt, an dem die Sache mit der Befreiung in ihr Gegenteil kippt“, schrieb die Philosophin Isolde Charim nach Muehls Entschuldigungsschreiben.
Die Versuche, mit dem gekippten Künstlerwerk klarzukommen, blieben bis zuletzt wacklig: Während das MAK unter Direktor Peter Noever 2004 eine Schau unter dem Titel „Leben/Kunst/Werk“ ausrichtete und die Kommune explizit als Teil des Ganzen sah, wollte das Leopold Museum 2010 Kunst und Leben trennen. Ein schwieriges Unterfangen bei jemandem, für den die Verschmelzung von Kunst und Leben lange primäres Lebensziel war.
Als Anfang der 1970er-Jahre Otto Muehl die Kommunen Praterstraße und zwei Jahre später den Friedrichshof im Burgenland gründete, ging es ihm darum, mit Gleichgesinnten die „freie Sexualität“ zu zelebrieren. Dass der Versuch scheiterte und in schweren sexuellen Übergriffen endete, sollte sich erst 20 Jahre später vor Gericht herausstellen.
1991 wurde Otto Muehl schließlich wegen Sittlichkeitsdelikten einschließlich Vergewaltigung, Verstößen gegen das Suchtgiftgesetz und Zeugenbeeinflussung schuldig gesprochen und zu sieben Jahren Haftverurteilt. Auch seine Frau Claudia musste ein Jahr wegen Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses ins Gefängnis.
Für das Gericht hatte Muehl „Terror ausgeübt, mit Menschen experimentiert“, und die Jugendlichen seien nicht freiwillig in den Kommunen gewesen.
Sechseinhalb Jahre Haft saß Muehl in Österreich ab. Lange Zeit beklagte er nach der Haftentlassung seine Verurteilung. Wörtlich sprach er von einem Justizirrtum.
Späte Einsicht
Erst sehr spät konnte sich Muehl zu einer Entschuldigung bei seinen Opfern durchringen. Im Jahr 2010 schrieb er in einem Brief an die Leiterin des Muehl-Archivs: „Ich bereue es sehr.“ Besonders die Stellungnahmen der Jugendlichen damals im Gerichtssaal hätten ihn fassungslos gemacht.
„Ich wollte sie befreien und habe sie mit sexueller Überschreitung stattdessen überrumpelt und gekränkt“, erklärte Muehl. „Es war auf keinen Fall meine Absicht. Ich hoffe, dass sie mir verzeihen.“
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