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TV-Tagebuch: "Abgrundtief und aberwitzig blödsinnig"

Wer hat am Ende die Nase vorne?
TV-Tagebuch: Auf Puls4 diskutierten Kern, Kurz und Strache. Angeblich wollen sie aufhören, uns für dumm zu verkaufen.

*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*

Manchmal denkt man sich derzeit: Wo sind die guten, alten Zeiten hin? Ein bisserl Amtsmissbrauch, ein bisserl Ausschreibungsbetrug, ein bisserl illegale Parteienfinanzierung, ein bisserl Schwarzgeld im Plastiksackerl, ein bisserl „Wo woar mei Leistung?“ … alles gute, alte österreichische Politfolklore.

(Und natürlich weiß man, dass das so nicht stimmt.)

In dieser Stimmung findet der jüngste Wahldebatten-Abend auf Puls4 statt. Zuerst diskutieren Christian Kern (SPÖ) und Sebastian Kurz (ÖVP), danach Kurz und Heinz-Christian Strache (FPÖ). Diskussionsleitung: Corinna Milborn.

John F. Kurz

Der Abend beginnt originell: Sebastian Kurz schenkt Christian Kern ein Buch von John F. Kennedy, und erklärt, das Buch befasse sich mit politischem Wechsel. Sebastian Kurz sieht sich also offenbar als Fortsetzung von Kennedy mit anderen Mitteln. (Was Marilyn Monroe dazu sagt, ist nicht bekannt.)

Christian Kern sagt: „Ich habe das Buch schon.“ Kurz (lächelnd): „Es ist gebraucht.“ Kern (säuerlich): „Ich habe kein gebrauchtes Geschenk für Sie.“ Es ist ein Gutschein für ein Abendessen – also genau das, was Kern schon Strache schenkte (also doch gebraucht…?).

Erstes Thema: Tal Silberstein und Dirty Campaigning (und dieses Thema wird uns fast eine halbe Stunde lang beschäftigen). Kern sagt: „Es ist soweit, dass wir soweit die Konsequenzen gezogen haben.“ Dann sagt er: „Die ganze Idee war abgrundtief und aberwitzig blödsinnig“, und niemals würden wir wagen, einem Bundeskanzler zu widersprechen

Es ist kompliziert

Kurz will einen Straftatbestand Dirty Campaigning einführen und sagt: „Das Problem ist, das sich alle Beteiligten abputzen“, was eine gewisse hygienische Logik hat, wenn man sich mit Schmutz beschäftigt. Kern antwortet mit dem unwiderlegbaren Satz: „Ja, nein.“ Dann sagt er: „Es gibt Leute, die ungläubige Dinge ins Internet stellen.“

Kurz sagt: „Herr Bundeskanzler, es ist nicht so kompliziert, die SPÖ hat Tal Silberstein engagiert, bezahlt und gesteuert. Bitte tun Sie nicht so, als wäre alles furchtbar kompliziert.“ Kern kann jetzt als Sozialdemokrat natürlich nichts sagen, ohne gegen die Sinowatz-Doktrin zu verstoßen: Es ist alles sehr kompliziert. Kurz attestiert der SPÖ „Dirty Campaigning auf Weltniveau“, und ein größeres Kompliment wird er Kern heute nicht mehr machen.

Jetzt geht Kern in Saft (und in ebendiesem wird er für den Rest des Abends bleiben): „Herr Kurz, jetzt tun Sie nicht so, als ob Sie das Opferlamm wären.“

Ein Auto ist eine Wurstsemmel

Kurz antwortet mit dem Satz: „Tal Silberstein zu engagieren und sich dann zu wundern, das ist so, wie ein Auto zu kaufen und sich dann zu wundern, dass man ein Auto hat.“ (Der Autor dieser Zeilen würde sich ja eher wundern, wenn er ein Auto kaufte und dann eine Wurstsemmel hätte.)

Kern will, was man verstehen kann, jetzt „lieber Zukunftsfragen diskutieren“, denn sonst „gibt es für die Wähler am 15. Oktober ein böses Erwachen“ (wobei derzeit das Risiko des bösen Erwachens am 15. Oktober vor allem für Kern als hoch gilt).

Es folgt eine längere Sequenz, in der beide ständig betonen, sie würden lieber über Inhalte als über Dirty Campaigning reden, aber dann beide doch lieber dem anderen Dirty Campaigning unterstellen.

Kern sagt: „Herr Kurz, Sie produzieren ständig Nebel“, und endlich wissen wir, warum der Oktober da draußen so aussieht, wie er aussieht.

Man kommt zum Thema Migration und Integration. Kern ist für „Augenmaß“ und sagt „Lübien“. Kurz ist für „Mut, Entschlossenheit und Kraft“ und sagt keinen Ländernamen.

Moderatorin Corinna Milborn ärgert sich an der Stelle über den häufigen Applaus des Publikums, stellt sich aber nicht die einzig logische Frage: Wenn man keinen Applaus will, warum lädt man dann Publikum ins Studio?

Holler, Lavendel, Nudeln

Kurz ist auch verärgert, und zwar wegen Kerns berühmtem „Vollholler“-Sager und garantiert, als Kanzler niemandem Vollholler zu attestieren. (Kern nimmt sich das zu Herzen und sagt später „vollkommener Lavendel“)

Kern sagt, dass Kurz „weltberühmt in Österreich“ ist und dass „die Boulevardmedien jeden Knochen brav apportieren“ (und dabei hat die SPÖ doch so viele Jahre lang den Boulevard mit Frolic-Inseraten gefüttert).

Es folgt ein kleines Pointenduell, Kurz sagt, Kern habe den Überblick über sich selbst verloren, Kern sagt, ohne Türkei wäre die Balkanroute „löchrig wie ein Nudelsieb“, die jeweilige Fankurve lacht pflichtschuldigst sehr laut.

Kurz betont, er habe nie gesagt, dass „durchschnittliche Flüchtlinge intelligenter sind als durchschnittliche Österreicher“. (Strache wird ihm später das korrekte Zitat vorlegen. Kurz sagte: „Der durchschnittliche Zuwanderer von heute ist gebildeter als der durchschnittliche Österreicher.“ Kurz wird darauf antworten, dass man die Außengrenzen besser schützen müsse – offenbar eine bildungspolitische Maßnahme.)

Kern ist gegen den politischen Islam. Kurz: Auch.

Kern sagt: „Der Herr Außenminister ist ein Kritiker der Integrationspolitik, ist aber selber auch Integrationsminister, da gibt es viel Anlass für interessante Selbstgespräche.“ Kurz: „Ich bin ein sehr selbstkritischer Mensch.“

Kern will lieber über Digitalisierung und Klimawandel reden.

Bauernbub aus dem 12.

Geredet wird jetzt aber über Wahlkampfspenden. Kern will Kurz attackieren wegen Großspenden für die ÖVP, verheddert sich aber bei den Zahlen. Kurz höhnt, Kern sagt: „Machen Sie sich nur lustig.“ Kurz tut, wie ihm geheißen und macht sich lustig, wenn auch nicht nur. Kern verwendet Begriffe wie „Null und Nüsse“ und „niente“.

Kurz wird jetzt auch sauer und sagt: „Der Bundeskanzler versucht mich zu positionieren als derjenige, der nur für die Reichen da ist.“ Kern: „Das waren Sie schon vorher!“ Kurz: „Ich komme aus dem 12. Bezirk…“ Kern: „Ned die Biografie! Da könnt ich auch meine Biografie durchdeklinieren, sagen Sie, für wen machen Sie Politik?“ Kurz: „Warum sind Sie so aufgeregt?“ Kern: „Das ist Freude.“ Kurz: „Freude sieht anders aus.“

Kurz „dekliniert“ seine Biografie und wir lernen: Offenbar ist er ein kleiner Bauernbub vom Land aus einem Wiener Arbeiterbezirk.

Es folgt eine ziemlich fade Debatte über steuertechnische Details und Sparpotenziale. Kurz hält Kern die Steigerung der Gehälter in der ÖBB-Chefetage vor, Kern antwortet mit dem hoch interessanten Satz: „Der pure Klassenkampf trieft aus Ihren Worten!“ Allerdings bleibt Kern dann die Analyse schuldig, wie der Kryptomarxist Kurz den Sozialismus einführen will.

Thomas Bernhard

Das Gespräch müht sich dem Ende entgegen. Kurz sagt: „Nur einen Satz!“ Kern: „Er sagt nie einen Satz.“ Kurz: „Die SPÖ hat vor Gericht verlangt, dass ich nicht sagen darf…“ Kern: „Das wird ein Thomas-Bernhard-Satz.“

Noch schnell wird das Thema Arbeitsplätze angesprochen. Kern will mehr Jobs. Kurz: Auch. Kurz will bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Kern: Auch. Kurz erzählt eine Pointe über Putzfrauen und Reinigungsmittel, die er offenbar eins zu eins von Kern geklaut hat, der über diese Gag-Entführung merkbar empört ist.

Die Sendezeit ist fast aus, aber ein kleiner Streit über das in seinem Unterhaltungspotenzial oft unterschätzte Thema Körperschaftssteuer geht sich noch aus.

Dann ist die Debatte schon aus, und wieder einmal wundert man sich, wie lange 75 Minuten dauern können. Über Digitalisierung und Klimawandel – also die wahrscheinlich wichtigsten Zukunftsthemen überhaupt – wurde keine Sekunde geredet, dafür sehr viel über Dirty-Campaigning-Berater und diverse Mittelmehrrouten. Kern darf nach Hause, Kurz muss bleiben. Die Zuschauer werden möglicherweise in heiße Tücher gehüllt und mit stärkenden Getränken gelabt, wir wissen es nicht.

Cooler Hund

Und schon geht es weiter, denn H.C. Strache kommt ebenso breit wie grinsend ins Studio. Er schenkt Kurz das Spiel „Cluedo“ und sagt: „Ein klassisches Detektivspiel, vielleicht kann man das mit dem Herrn Kern spielen.“ Und man möchte sich gar nicht vorstellen, wie lustig es sein könnte, wenn Kern und Kurz zu einem Pärchen-Spieleabende bitten und dann ganz böse aufeinander werden, weil der andere nach dem Ziehen der Ereigniskarte nicht gewürfelt, sondern den Bonus-Chip umgedreht hat, ohne vorher laut „Abgepasst!“ zu rufen („Cluedo“-Fans mögen entschuldigen, der Autor dieser Zeilen hat noch nie „Cluedo“ gespielt, kennt aber die absolut vernichtende Ödnis von Spieleabenden…)

Kurz säuselt Strache an: „Sie haben einen wirklich coolen Hund“. Und schenkt Strache Hundespielzeug in Blau und Grün. Strache: „Das Grün ist zum Hineinbeißen da“ und man fühlt: Das Humorniveau flüchtet gerade Richtung Villach.

Silbersteinzeit

Strache sagt: „Silberstein, Silberstein, Silberstein“, außerdem „Silberstein“, manchmal auch „Silberstein“, dazu gibt er seiner Vermutung Ausdruck, die ÖVP sei auch irgendwie dabei bei der Silbersteinzeit. Viel mehr muss er auch nicht mehr sagen bis Sonntag. Dann sagt er „Die Leute wollen das nicht mehr hören“, weshalb er noch ganz lange darüber redet.

Kurz antwortet „Puller, Puller, Puller…“

Kurz sagt: „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.“ Strache antwortet: „Wer nach Jauche gräbt, stinkt am Ende.“ Falls es mit Schwarzblau doch nichts wird, können beide gemeinsam eine Kalenderspruchmanufaktur gründen.

Sofort hat die Einigkeit ein Ende, beide werfen einander jetzt Antisemitismus vor. Kurz sagt, „gegen braune Flecken, die immer wieder aufkommen, muss vorgegangen werden“ (gegen aufkommende Flecken geht man vor…?). Strache kontert mit den antisemitischen Facebook-Witzen ÖVP-naher Studentenvertreter. Kurz beschreibt darauf einige Einzelfälle der Einzelfallpartei FPÖ. Strache sagt darauf „Herr Kurz, das ist nicht Ihr Niveau“, und ahnt gar nicht, wie recht er hat.

Es folgt eine längere Debatte über die EU, in der beide beteuern, proeuropäisch zu sein, Kurz aber nachzuweisen versucht, dass dieses Strache nicht zu glauben sei.

Kurz sagt: „Darf ich einen Satz dazu sagen?“ Strache sagt: „Das dürfen Sie später.“ Kurz spricht trotzdem. Strache nennt Kurz daraufhin „unhöflich“. Falls es in einer Woche nicht klappt, könnte Strache im dritten Bildungsweg Benimmratgeberautor werden.

Mittelmehrroute

Jetzt überbieten einander beide in ihrem Bekenntnis zur Neutralität. Kurz sagt vier Mal „Mehr an Sicherheit“ – offenbar ist das die neue Mittelmehrroute.

Kurz sagt „Hand aufs Herz“. Strache legt die Hand aufs Herz. (Klappt schon ganz gut, die schwarzblaue Zusammenarbeit.)

Strache wirft Kurz vor, „auf dem Schoß von Angela Merkel gesessen“ zu sein und schaut ein bisschen eifersüchtig. Kurz kontert mit Straches Nähe zu Marine Le Pen, allerdings ohne Schoß.

Strache sagt „übärrnähmän“. Strache sagt „ärrläbän“. Strache sagt „Fälläntwicklungän“. Es natürlich geht um islamische Kindergärten in Wien. Strache sagt: „Sie haben mitgestimmt.“ Und jetzt sagt Kurz „Das ist unter Ihrem Niveau“ (und man denkt sich: wieso?).

Kurz sagt, er hätte öfter „liebend gerne“ mit der FPÖ gestimmt (vielleicht kann er ja bald) und erklärt Strache vorsorglich, was ein Koalitionspakt ist.

Kurz sagt: „Frau Milborn! Nur ein Satz!“ Und dann sagt er gezählte zehn. Strache sagt: „Burkaverbot, Kopftuchverbot, Burkaverbot.“

Es geht jetzt um Steuerpolitik. Strache sagt: „Die ÖVP ist seit 31 Jahren in der Regierung.“ Kurz antwortet: „Ich bin erst seit 31 Jahren auf der Welt.“ Strache riskiert einen Witzversuch mit „Wirtschaft entfesseln“ und „Fußfesseln“ (offenbar schwächelt Kickl – oder schreibt jetzt der EU-Bauer die FPÖ-Pointen?). Kurz sagt, er habe die Balkanroute geschlossen und das Burkaverbot durchgesetzt. Strache antwortet, durchaus zu Recht, aber jetzt sei doch gerade das Thema Wirtschaft dran.

Kurz sagt, die kommende Wahl „ist auch eine Wahl des Bundeskanzlers“, was ein Holler oder Lavendel genannt werden kann, denn es ist eine Wahl der Abgeordneten zum Nationalrat.

Marmelade

Strache enthüllt nie Geahntes: „Sie sind Teil der ÖVP!“ Kurz antwortet, was wir längst vermutet haben: „Ich bin der Chef!“ (War da nicht irgendwas mit Bewegungsliste Kurz…?).

Strache versucht einen Witz mit Marmelade und Konfitüre und türkis „anpinseln“, und es klingt nicht unbedingt wie ein gesundes Kinderfrühstück.

Strache wirft Kurz „schwarzroten Proporz“ vor, der kontert, indem er Strache mit Christian Kern vergleicht. Strache schaut verwirrt – das hat noch nie jemand zu ihm gesagt.

Kurz sagt: „Am 15. Oktober wird entschieden, ob Sie oder ich Bundeskanzler werden.“ Das ist ein Irrtum, denn erstens: Nationalrat. Und zweitens: Da nehmen auch noch andere Parteien teil. Da aber Kurz gerade den FPÖ-Fan in sich freilegt, schiebt er den Satz nach: „Es wird ein tolles Ergebnis für die FPÖ geben.“ Strache freut sich, dass Kurz das freut.

Strache will keinen Öxit, aber Reformen der EU. Kurz: Auch.

Strache sagt zur Moderatorin: „Frau Milborn, bitte, einmal mich nicht unterbrechen. Sie bringen einen bewusst aus dem Konzept, und das ist kein guter Stil.“ Keine zehn Minuten später wird Strache Milborn einen gigantischen Blumenstrauß aufladen und sich für die „Interviewführung“ bedanken.

Verkauft

Kurz vor Schluss der Debatte sagte Kurz einen schönen Satz: „Hören wir doch auf, die Österreicherinnen und Österreicher für dumm zu verkaufen.“ Wir hoffen, er teilt uns rechtzeitig den Termin mit, ab dem sie damit aufhören. Das wollen wir keinesfalls verpassen.

Guido Tartarottis Kabarettprogramm "Selbstbetrug für Fortgeschrittene" ist am 24. Oktober und am 2. Dezember im Theater am Alsergrund, am 20. November in der Kulisse Wien und am 9. Jänner 2018 im Orpheum Wien zu sehen.

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