"1984" im Volkstheater: Böse, böse neue Welt

Katharina Klar (R), Rainer Galke (L) und Birgit Stöger in "1984" im Volkstheater in Wien
Plakativer, platter und pseudo-politischer Rundumschlag im Volkstheater.

Man muss es einmal sagen: Donald Trump ist großartig! Seit der unablässig twitternde Milliardär, Bankrotteur und ehemalige Reality-TV-Darsteller US-Präsident ist, haben viele Theatermacher endlich wieder ein personifiziertes Feindbild. Im Landestheater Linz war Trump erst unlängst als Herzog in Verdis "Rigoletto" der Inbegriff des bösen Wüstlings. Und auch im Wiener Volkstheater ist Donald Trump allgegenwärtig: Als "Big Brother/Präsident" darf er im Namen von George Orwell und im Jahr "1984" alternative Fakten präsentieren.

So will es zumindest Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer, der Orwells Roman und die Theaterfassung von Alan Lyddiard als Folie für einen recht platten, sehr plakativen, vor allem pseudo-politischen Rundumschlag gegen "das Böse" benützt. Und "die Bösen" sind klar definiert: Trump natürlich, der "kleine Raketenmann" Kim Jong-un, die "alternative Fakten"-Darstellerin Kellyanne Conway, ein "türkises und ein blaues Männchen", die Volksrepublik China, Google, Facebook, der Neoliberalismus und sowieso überhaupt alle. Doch was ist eigentlich mit Erdoğan oder Putin? Die dürfen in Schmidt-Rahmers Orwell-Paraphrase dann leider doch nicht mitspielen.

Holzhammer

In den ewig gleichen Bildern, auf der schönen, sich drehenden, die Geheimnisse des Theaters preisgebenden und mit Monitoren wie zig Kameras arbeitenden Bühne (Thilo Reuther) prangert der Regisseur die "böse, böse, neue Welt" nicht zu Unrecht an. Doch wird dabei leider auf Orwell und seine apokalyptische Vision des totalen Überwachungsstaates vergessen.

Die Geschichte rund um Winston Smith, der gemeinsam mit seiner Parteikollegin Julia gegen den "Großen Bruder" (hier eben Trump oder den Frisuren nach auch Kim Jong-un) aufbegehrt, gefoltert und letztlich umerzogen wird, bleibt da eher auf der Strecke. Auch einige kluge Castorf-Reminiszenzen – man filmt (Video: Clemens Walter) etwa aus dem Liebesnest der beiden Widerständler – kratzen nur bedingt an der eher an "Promi Big Brother" gemahnenden Schulskikurs-Atmosphäre.

Denn den echten Charakteren, Menschen oder Schicksalen, die es bei Orwell durchaus gibt, wird gründlich misstraut. Die sprichwörtliche "Botschaft" erschlägt hier den Boten in diesem auch kostümtechnisch (Michael Sieberock-Serafimowitsch) Unisexuniversum. Nur die Erkenntnis, dass Cocktail-Tomaten ein Foltermittel sein können, ist dann doch neu.

Zwischentöne

Dass manche Szenen aber unter die Haut gehen und nahe bei Orwell sind, liegt an den Darstellern. So sind Rainer Galke als Winston und Katharina Klar als Julia um viel Profil und Zwischentöne bemüht – sie zeigen darstellerisch, was hier alles möglich gewesen wäre. Birgit Stöger als demonstrativ "weiblicher Apparatschik" O′Brien, Steffi Krautz, Sebastian Klein, Kaspar Locher und Sebastian Pass sagen ihre "Lektionen" meist souverän auf und huldigen dem so genannten "Neusprech" in Cartoon-,Slowmotion-, oder Close-up-Manier frei nach Orwell und Trump.

Am Ende siegt natürlich "Big Brother". Und man dreht das Handy wieder auf und ist fast versucht, zu twittern: "Liebe Kellyanne! Bitte sag uns doch, dass die Volkstheater-Welt absolut in Ordnung ist. Denn alles andere wären ja nur böse "Fake News". Oder doch nicht so ganz?

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