Zimmertemperatur und andere Wein-Märchen

Zimmertemperatur und andere Wein-Märchen
Wir trinken die Weißweine zu kalt und die Rotweine zu warm. Warum eigentlich?
Zimmertemperatur und andere Wein-Märchen

Den eklatantesten Fall von falscher Temperierung beim Wein nehmen viele zur Zeit bewusst und gerne in Kauf. Glühwein wird im Winter gerne getrunken und je mehr Gläser oder vielmehr Becher es sind, desto besser schmeckt das süße Zeug auch. Der Klimawandel könnte diesem Brauch in Kürze ein Ende bereiten. Wein und die Art, wie wir ihn geschmacklich wahrnehmen, reagieren sehr stark auf Temperaturen, auf Kälte und Hitze. Denn dabei geht es hauptsächlich um Aromastoffe, die je nach Temperatur mehr oder weniger stark auf die Rezeptoren in der Nase und am Gaumen treffen. Dort und nicht auf der Zunge mit ihren fünf Geschmackssinnen (bitter, sauer, salzig, süß und umami = Fett) entscheidet sich nämlich, ob uns ein Wein gefällt oder nicht. Haben Sie schon einmal mit Schnupfen Wein probiert? Dann werden Sie diese Erfahrung machen. Ohne Nase geht beim Wein gar nichts.

Das Märchen von der Zimmertemperatur

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Beim Rotwein hält sich ein Gerücht hartnäckig und es ist das Gerücht vom Rotwein, den man am besten bei Zimmertemperatur trinkt. Diese Erkenntnis stammt aus einer Zeit, als es in Zimmern im Winter gerade einmal 16 Grad hatte. Eigentlich eine gute Temperatur für durchschnittlich gute Rotweine. Denn zwischen 14 und 16 Grad entsteht die ideale Mixtur aus Tanninen und Aromen. Ist der Rotwein sehr viel kühler, werden weniger Aromastoffe freigesetzt. Dafür schmeckt man mehr Bitterstoffe und die Tannine treten in den Vordergrund. Tannine sind Gerbstoffe, die die Schleimhaut im Mund zusammenziehen lassen. Wir der Rotwein hingegen zu warm eingeschenkt, also bei heutigen Zimmertemperaturen getrunken, tritt der Alkohol, der beim diesen Temperaturen schneller verdunstet, in der Wahrnehmung stärker auf. Säure und andere Aromen treten in den Hintergrund. Die Weine kommen auf einmal mit verstörend aufdringlicher Uneleganz daher. Gerade im Weinland Italien werden die Rotweinflaschen oft stehend im Lokal aufbewahrt und der Wein hat eine Temperatur von bis zu 30 Grad (im Sommer) und sicher nicht weniger als 23 Grad (im Winter.), wenn eingeschenkt wird. Auch unsere Wohnzimmer sind zu stark geheizt, um das Motto "Zimmertemperatur" ernsthaft anwenden zu können.

Kälte killt Aromen - und kaschiert Fehltöne

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Weißweine wiederum werden gerne zu kalt serviert und getrunken. Der an junge, billige und mittelmäßige Weißweine gewöhnte Trinker ist froh, wenn er durch frostige Temperaturen den einen oder anderen Fehler des Weines kaschieren kann. Das ist auch in Ordnung, kann aber bei höher klassigen Weißweinen um den Genuss ihrer Eleganz und Vielfalt bringen. Einen Wachauer Smaragd oder einen deutschen Riesling in den Eiskübel zu stecken oder direkt aus dem Kühlschrank zu servieren - das killt die Aromen, die von der Natur und vom Winzer mit nicht wenig Aufwand in den Wein eingebracht wurden. Gerade um die Weihnachtszeit, wenn man gerne zu üppigeren Tropfen greift, darf es bei der Trinktemperatur ruhig auch etwas mehr sein. Mehr als 10° tun dem Wein und denen, die ihn genießen wollen, nur Gutes.

Ein Trick sei hier verraten

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Während ein zu kalt servierter Weißwein ein Problem ist, das sich leicht lösen lässt - der Wein erwärmt sich im Glas, man muss also nur warten - kann zu warm servierter Rotwein schon einmal einen kleinen Panikschub auslösen. Hier ein Trick, der Sommeliers die Augen verdrehen lässt und Gastgeber zum Nachdenken über die optimale Trinktemperatur veranlasst. Sie bestellen einen Löffel und Eiswürfel. Dann kippen Sie einen Eiswürfel zum Rotwein in das Glas und rühren dabei schnell um. Durch die Reibung kühlt der Wein schnell um ein paar notwendige Grade ab. Bevor das Eis den Wein verwässert, haben Sie es mit dem Löffel auch schon wieder entfernt. Die Methode empfiehlt sich weniger, wenn Sie das nächste Mal bei einem berühmten Rotweinwinzer zu einer Jahrgangsverkostung eingeladen wird. Doch andererseits sind bei Winzern Bedenken wegen der falschen Temperatur nicht angebracht. Wer will schon seine Kinder schlecht aussehen lassen?

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