Geheimes Restaurant: Essen im Reisebüro

Halbierte rote Rüben mit Brombeeren, marinierte Rüben-Blätter und Schnittlauch.
Wien wird Berlin: Ein geheimes Restaurant hat nahe eines Bahnhofs eröffnet.

Als Gott die Stadt Wien erschuf, hat er auf diese Ecke vergessen. Nahe eines Bahnhofs, verlassene Geschäfte, herunter gekommene Häuser aus der Gründerzeit. Die schöne Seite des bürgerlichen Bezirks nur wenige Busstationen entfernt. Die Hauptstadt darf sich über ein zweites geheimes Restaurant erfreuen. Wer an diesem Tag das Portal des aufgelassenen Reisebüros durchschreitet, wird von drei Frauen und zwei Männern an einem großen Tisch beobachtet. Das Mahl hat bereits begonnen.

So wie die Vormieter das Reisebüro verlassen haben, so sieht es noch immer aus. An der Decke hängen ein kleines Geweih, vertrocknete Pflanzen, ein Spiegel, ein Polster (?). Eine Flipchart gibt seltsame Gedankengänge preis. Am Boden liegen Stapel von Büchern: Ein Duden, ein Buch über Kambodscha. Auf der anderen Seite des Raumes wurde die Wand schwarz übermalt, Umrisse eines Wand-Bildes wie in den 80ern lassen sich erkennen. Der nahe Blick auf das Meer sollte die Kunden einst wohl in Buchungslaune versetzen. Im Hintergrund ertönen sanfte Klänge des Wiener Liedes.

Geheimes Restaurant: Essen im Reisebüro
honorarfrei
Eine attraktive Dame mit Hut fragt, ob man zufällig vorbei gekommen sei oder man den Tipp von einem Freund bekommen habe. Letzteres. Sie nickt und holt einen Hundenapf aus Blech, eine angeschlagene Emaille-Schüssel, zwei breite Suppenlöffel und zwei Paar Stäbchen. Uhudler-Traubensaft und Wasser stehen auf dem Tisch, Zwettler Saphir gibt es auf Wunsch. Die frischen Vorspeisen sind bereits angerichtet, erst jetzt versteht man die vage Angabe "zwischen 12 und 14 Uhr" gibt es Mittagessen. Die Sessel, das Service? Vom Flohmarkt. Teller in Form eines Fisches aus Porzellan und Glas lassen das Auge aufschreien, dem Magen ist es egal. Was sich darauf findet, hingegen ein Augenschmaus: Geschmorte Salatgurken, geräucherter Fisch, frische Dille, Zwiebel. Gebratene Wassermelone, Schafskäse, rote Trockenfrüchte, die gelben Blüten der Dille (Gurkenkraut) aus dem Schaufenster für einen scharfen Kick. Lollo Rosso, Paprika, Paradeiser, Zwiebel spielen bei diesem Mittagessen den schwächsten Part.

Die Runde schwärmt ob der frischen Kräuter. Die Dame des Hauses setzt sich dazu und isst mit, im Nachbarzimmer werkt der Koch. Es gibt keine richtige Küche. Wer den vorderen Bereich "charmant" als abgefuckt bezeichnet, findet für den hinteren Bereich keine Worte. Das Motto lautet "just for fun". Illegal? Nein, wo kein Restaurant, keine Öffnungszeiten, keine Speisekarte, keine Preise, da keine Gesetze oder Verordnungen. Hier sitzen Freunde beisammen und essen gemeinsam. Als der Ostbahn-Kurti aus den Lautsprecherboxen ertönt, serviert der Koch den Hauptgang.

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honorarfrei
Halbierte rote Rüben mit Brombeeren, marinierte Rüben-Blätter (besser als frischer Spinat) und Schnittlauch. Bauchspeck mit Paradeisern, Champignons, Knoblauch, Zwiebel und Petersilie – alles gegrillt. Drei Schüsselchen gefüllt mit Karotten-Püree verfeinert mit Kampot-Pfeffer, Polenta mit Salbei und in Butter geschwenkten Fisolen. Der Koch setzt sich erschöpft und glücklich an den Tisch. Um wen es sich handelt? So viel sei gesagt: Man kennt ihn aus dem Fernsehen. Eine ältere Dame will wissen, wofür er damals in seiner Kochshow die Haut der Paradeiser verwendet hatte. Und, wie sich der Kampot-Pfeffer so weich zubereiten lässt. Er stellt ihr die Gewürzdose vor die Nase, sie riecht und nimmt eine Kugel in den Mund. Schärfe macht sich breit, ein Fachsimpeln über Kampot beginnt. Eine traumhafte Region in Kamboscha am Meer gelegen, die für ihren Pfeffer mit leichter Eukalyptusnote berühmt ist. Sein Geheimnis: Er röste den Pfeffer für seine Gerichte leicht an.

Seit Minuten hält der dünne Koch in einer schwarzen Levi's eine Zigarette in der Hand, jetzt zündet er sie an. Die Frage nach dem Zahlen quittiert er mit leichter Unsicherheit: "So viel, wie Ihr zahlen wollt. Hat es Euch gefallen?" Ein bisschen Berliner-Style. Der Koch schaut irritiert und zuckt die Achseln.

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