Wenn das Bier nachts geliefert wird

Wenn das Bier nachts geliefert wird
Wenn die Supermärkte geschlossen sind, versorgt der Wiener Getränkelieferservice Bierher seit mittlerweile 18 Jahren die durstigen Kehlen der Stadt.

"Ja, komm rein, brauchst ned draußen bleiben!", ruft Paul ins Stiegenhaus. Etwas außer Atem kommt Lieferant Stefan mit einem Sechsertragerl Bier im dritten Stock des Jugendstil-Hauses in der Leopoldstadt an, wo er von den beiden Freunden Paul und Sam schon erwartet wird. "Aber eine Bitte hätt’ ich trotzdem, Schuhe ausziehen", sagt Paul grinsend, bevor er es sich mit seinem Freund und einer Flasche Fohrenburger auf der Couch in dem rosa ausgemalten Zimmer gemütlich macht.

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"Es ist Sommer" von der Band Wise Guys läuft im Hintergrund und stimmt die beiden jungen Männer in ihre Partynacht ein. Obwohl es noch früh am Abend ist, haben sie beim Getränke-Lieferservice bestellt, weil sie zu faul waren, Bier an der Tankstelle oder beim Würstelstand zu holen. Außerdem sei es da teurer als bei Bierher, wo man eine Flasche Ottakringer bereits um 1,60 Euro bekommt.
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Gemütlicher Samstagabend mit Chips und Bier

Dass ihn Kunden zu sich in die Wohnung beten, komme öfters vor, erzählt Stefan, der diesen Job bereits seit vielen Jahren ausübt, während er das gelbe Lieferauto durch das abendliche Wien bugsiert. Es sei auch sehr interessant zu beobachten, wie manche Menschen leben. Ein wenig wie ein Soziologiestudium. Vor allem zu später Stunde sei es aber auch schon mal anstrengend, wenn die Kunden ihm um den Hals fallen und ihn abbusseln, weil sie sich so über das gelieferte Bier freuen. So ähnlich wie Michaela. "Das macht das Glück jetzt perfekt", sagt sie im Pyjama im Türrahmen der Währinger Altbauwohnung stehend. Sie hat die Öffnungszeiten des Supermarkts nebenan verpasst und sich für den gemütlichen Samstagabend auf der Couch Chips und ein paar Flaschen Bier bestellt.

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Anders ist das bei einem Paar Mitte 40 ein paar Straßen weiter. Die beiden sind Stammkunden bei Bierher, bestellen mehrmals im Monat ein paar Flaschen, gerne auch mal Wein. Die beiden kennen Lieferanten Stefan beim Namen, laden ihn auch des Öfteren dazu ein, ein Gläschen mit ihnen zu trinken, was dieser mit einem schüchternen Lächeln dankend ablehnt. An diesem Abend hätten sie 21 Jahre alten Whiskey für ihn zu verkosten. Doch das Handy läutet bereits – Chefin Andrea hat den nächsten Auftrag für ihren Angestellten parat.
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Genau diese Interaktion mit den Kunden sei das Wichtige in seiner Arbeit, erzählt Stefan auf der Fahrt zum nächsten Kunden, wobei seine Sätze vom Klirren der Flaschen in der Kühlbox unterbrochen werden. Schmäh führen, sich austauschen, das wollen die Kunden. Und es sind vor allem Stammkunden, die das bequeme Service von gekühltem Bier bis zur Haustüre und die rasche Lieferung zu schätzen wissen. Deshalb versteht sich der 33-Jährige auch mehr als fahrender Kellner, denn als Lieferant. Für ihn ist die Tätigkeit ein netter Studentenjob, wie er selbst sagt. Er arbeitet – wie seine neun ausliefernden Kollegen – auf geringfügiger Basis, und kann so problemlos untertags die Vorlesungen am Juridicum besuchen. Um zwei Uhr morgens ist nämlich Zapfenstreich.

Wenn man in Boxershorts die Tür öffnet

Stefan mag besonders die flexiblen Arbeitszeiten, aus Fitnessgründen das viele Stiegensteigen und auch die lustigen Momente seines Jobs. Wie beim nächsten Kunden, der nur in Boxershorts und mit türkis-farbenen Socken die Tür öffnet, um die Wein- und Bierlieferung entgegenzunehmen. "Mir war beim Singstar-Spielen so heiß", sagt der gut gelaunte Leopoldstädter, dem Wein und Bier in der geselligen Runde ausgegangen sind. Es komme öfters vor, dass leicht bis gar nicht bekleidete Personen die Türe öffnen, er habe auch schon eindeutige Angebote bekommen, erzählt Stefan. "Aber da gewöhnt man sich dran", sagt er schmunzelnd.

Manche lassen sich aber auch gar nicht blicken, wie der nächste Kunde, der die leeren Pfandflaschen mit Geld für das frische Bier auf die Fußmatte gelegt hat. "Sorry, aber ich bin grad mitten in einem Computerspiel", hört man ihn aus dem Wohnzimmer rufen. Das mit dem Bezahlen sei aber nicht immer so einfach. Der Klassiker am Wochenende: eine große Runde an Freunden, die mit Bankomatkarte an der Tür zahlen wollen, aber kein Bargeld dabeihaben. So wie ein paar Stunden später bei einer Studenten-WG in einer großen Wohnhausanlage nahe des Türkenschanzparks. Die sichtlich angeheiterte Truppe muss erst mühsam das nötige Kleingeld zusammenkratzen, bis einer von ihnen schließlich den gesamten Inhalt seiner Geldbörse über Stefans Handfläche ausleert. Unangenehme Erfahrungen hat der Jus-Student bisher kaum gemacht, nur einmal sei ein Kunde rabiat geworden, weil er 50 Minuten auf sein Bier warten musste, dessen Freundin hat ihn dann zurückgehalten. Aber die meisten Bestellungen werden sowieso innerhalb von einer halben Stunde ausgeliefert – ein Umstand, den die Kunden besonders goutieren.
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Strafzettel: Berufsrisiko eines Bier-Lieferanten

Auch heute fährt Stefan kreuz und quer durch die Stadt, das Liefergebiet konzentriert sich auf die inneren Bezirke. Ein Navigationssystem braucht er dafür nicht, die meisten Adressen kennt er ohnehin auswendig. "Es ist aber auch schon vorgekommen, dass wir mit 200 Flaschen nach Maria Enzersdorf gefahren sind, weil bei einem Fest die Getränke ausgegangen sind", sagt Stefan. Generell sei der ländliche Raum aber nicht prädestiniert für einen Lieferservice dieser Art, schildert Chefin Andrea.

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Es gab einmal einen Franchise-Betrieb in Linz, der sich aber nicht lange gehalten hat. In ländlichen Regionen haben die Menschen meist einen Keller, in dem sie die alkoholischen Getränke kühl aufbewahren können – und ein Auto, um zum Supermarkt zu fahren. In Wiener Wohnungen muss oft die Badewanne herhalten, um größere Mengen kühl zu halten. Bierher liefert aber nicht nur an private Haushalte, manchmal benötigen auch Lokale wie ein kleines mexikanisches Restaurant in der Josefstadt oder Radiomoderatoren während ihrer Arbeit im Sender spontan abendlichen Bier-Nachschub.
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Mittlerweile hat Stefan schon bei unzähligen Häusern geläutet und an Türen geklopft. Altbau, Neubau, Gemeindebau – ein Querschnitt der Wiener Bevölkerung gönnt sich den kleinen Luxus der nächtlichen Bierlieferung. Sobald Stefan über sein Headset eine Adresse hört, weiß er sofort, ob er schon mal dort war – nur an die Menschen hinter der Wohnungstüre kann er sich nicht immer erinnern. Dafür an andere Merkmale, wie eine laut aufschrillende Klingel oder einen Lift, der nur mit Schlüssel funktioniert. Und eines weiß Stefan ganz genau: Wie riskant es ist, an gewissen Gehwegen und Hauseinfahrten einen Strafzettel zu kassieren. Aber das sei wohl Berufsrisiko, meint er lächelnd, während sein Handy klingelt. Er muss zum nächsten Auftrag nach Neubau, ein paar Studenten möchten nach dem Fußballschauen eine Runde Bierpong spielen – und benötigen dafür eine Palette Bier. Und zwar schnell.
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