Gib dem Hipster Futter

Gib dem Hipster Futter
Über einen neuen kulinarischen Lebensstil zwischen Berlin-Kreuzberg und Wien-Neubau.

Wie den Wechsel der Jahreszeiten verzeichnen wir in beruhigender Regelmäßigkeit das Auftauchen neuer kulinarischer Trends. Der aktuellste hört auf den Namen Hipster-Food. Wenn Sie in Wien Mariahilf oder Neubau oder im Schleifmühlviertel wohnen und Freunde in Berlin Kreuzberg, Zürich Landstraße oder London haben, müssen wir Ihnen das Wesen des Hipsters nicht mehr erklären. Man begegnet den Hipstern in Cafés mit W-Lan, wo sie ihre mit Kenntnis zusammengetragenen Outfits als Lebenssicht zur Schau stellen. Sie tragen Hornbrillen, auch wenn ihnen der Augenarzt noch keine verschrieben hat, Cord kann sein, karierte Hemden sind ein Muss, Schlacksigkeit in engen Hosen und Wollwesten ein weiteres Erkennungszeichen.

Nonkonformismus

Der Hipster und sein Way of Life waren eben gerade noch Subkultur, man zweifelte überhaupt an seiner Existenz und spottete über ein Klischee. Jetzt behauptet jeder, mindestens einen zu kennen. Die postpostmoderne Mischung aus allen Lebensstilen der letzten Jahre rückt mit jeder Besprechung ihrer Erscheinung ein bisschen in die Mitte der Gesellschaft. Ihm - dem Hipster - ist das gar nicht recht, denn er posiert als stolzer Nonkonformist, als Angehöriger einer Subkultur, als die Verkörperung des Anti-Mainstreams.

Hassliebe

Mittlerweile hat sogar Suhrkamp ein Buch veröffentlicht, das sich mit der Spezies beschäftigt und während in der NZZ und im Spiegel diskutiert wird, ob es sich um eine liebenswerte oder hassenswerte Erscheinung handelt, sagen andere, dass der Hipster seit einem Jahr eh schon tot ist. Für die Marketingabteilungen ist der Nonkonformist, der allen Trends am liebsten davon laufen will, ein kleiner Albtraum.

McDo als No-Go

Natürlich muss der Hipster auch essen. Hippies (Karottenkuchen und Hanfbier) und Yuppies (Sushi und Chardonnay) mussten es ja auch. Längst hat das Hipster-Food sich im urbanen kulinarischen Stadtbild breit gemacht. Es sind die pittoresken Läden mit ausgesuchten Bio-Spezialitäten, kleine Märkte, Pop-Up-Restaurants und Lokale, die aussehen wie Hinterzimmer und mit Stühlen und Tischen aus der Caritas möbliert sind. Anti-Establishment ist ein Motto, wobei man nicht auf Qualität verzichtet. McDonalds hat auf dem Speisezettel der Hipster nichts zu suchen, denn sie lieben es fleischlos und vielleicht sogar vegan. Zuhause haben sie die Kochbücher von Otolengi und der eigene Kräutergarten am Fensterbrett oder Balkon ist keine Besonderheit. In Blogs und Artikeln wird versucht, der Essgewohnheiten der Generation Hipster habhaft zu werden. Wir schließen uns diesem Versuch an.

Apfel vom Nobel-Greissler

Wenn man die Lebensform des Hipsters als Zusammenfassung mehrerer Lebensstile früherer Jahrzehnte verstehen darf, von Hippie, Yuppie, Preppie bis zu Punk, die er in seinen Attitüden und Outfits zitiert, unterscheidet er sich von diesen dennoch durch sein locker-entspanntes Verhältnis zum Essen. Sterne-Restaurants sind ihm nicht nachvollziehbare Phänomene der jüngeren Vergangenheit, große Fleischportionen versteht er ebenso wenig wie Billigfutter aus dem Supermarkt. Der Apfel wie der Erdapfel sollte vom Nobel-Gemüse-Greissler kommen oder am besten gleich vom Bauernmarkt, der nur an bestimmten Wochentagen Betrieb hat.

Tel-Aviv-Cuisine und Malakofftorte

Wenn er ausgeht, isst der Hipster Gemüse und Pasta, manchmal auch asiatisch, vietnamesisch oder eine Mischung aus Sushi und Königskrabbe mit Majonnaise, wie man sie im Wiener Mochi anbietet, das seit seinem Aufsperren ausgebuchter als ausgebucht ist. Tel-Aviv-Küche mit all den Falafeln und Mezzes ist von seinem Speisezettel ebenso wenig wegzudenken wie die Karos von seinem Hemd. Schnitzel mit Erdäpfelsalat und die Schweizerhaus-Stelze sind ihm allerdings wiederum absolute Unmöglichkeiten, was nicht weiter überrascht. Wenn schon essen wie bei der Oma, dann gleich Toast Hawaii oder Malakofftorte.

Inszenierung zählt

Überhaupt kocht der Hipster gerne selbst - denn kommt authentischer und kostet auch weniger - selbst wenn beim Einkaufen Diskonter nicht in Erwägung gezogen werden. Die eigene, mit Retro-Design eingerichtete Wohnung muss schließlich als Teil des Gesamtkunstwerks inszeniert werden. Da kann leider kaum ein Restaurant mithalten, nicht einmal, wenn es sich so cool inszeniert wie das Motto am Fluß, das Neni am Naschmarkt, das Aromat oder das Brillantengrund in Neubau.

Anti-Mainstream

Mainstream-Produkte kommen ihm nicht ins Glas oder auf den Teller. Also nimmt er statt Pepsi oder Coca Cola (wenn, dann nur in der alten Gastronomie-Flasche) Afri-Cola oder Fritz-Cola. Als Bier darf es Astra, das gestylte Prolobier aus Hamburg, oder ein Tegernseer sein. Zum Asia-Food gibt sich der Hipster einen Mango-Lassi oder grünen Tee. Wein ist noch nicht so das seine, zu established, daher auch zu angestaubt. Vielleicht haben wir es hier mit der ersten weinlosen Ess-Bewegung zu tun. Wenn sich die Winzer und Vinotheken nicht etwas einfallen lassen. Es wäre schade.

Kein Essen ohne Handyfoto

Während die Yuppies in den Achtzigern und Neunzigern sich über den Schauwert und Preis ihres Essens definierten, gehen es die Hipster viel raffinierter an. Die Andersartigkeit spielt eine ungleich größere Rolle als der Preis. Die kulinarische Topliga wird als Teil der gesamten Kulinarik wie selbstverständlich hingenommen, gilt aber nicht weiter als erstrebenswert. Lässig und entspannt sind die neuen Parameter, an denen gastronomische Qualität gemessen wird. Als Genussfeind will sich die Spezies des Hipsters nicht abstempeln lassen. Zu gerne redet und unterhält man sich über Essen, teilt Rezepte und Tipps über Facebook, Twitter und Blogs und fotografiert mit dem Handy jedes Salatblatt, das einem unter kommt. Hat ja schließlich keinen Sinn, wenn man wie ein Hipster isst - und keiner weiß es.

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