Alte Klischees: Es geht um die Wurst

Alte Klischees: Es geht um die Wurst
Geschlechterspezifische Produkte folgen statistischen Fakten, sind aber dennoch bedenklich.

Eine deutsche Handelsgruppe interpretiert die sprichwörtlichen zwei Enden der Wurst originell – einerseits gibt es bei „Edeka“ eine „deftig gewürzte Männer-Bratwurst“, andererseits ein Frauen-Grillwürstel, das „besonders mager und mit feinem Gemüse gefüllt“ ist. Die Frauen-Bratwurst-Verpackung zeigt den durchtrainierten, nackten Oberkörpers eines Mannes mit Heiligenschein und Engelsflügeln, die der Männer-Bratwurst eine vollbusige, kurzberockte Schönheit mit Teufelshörnern. Die Männer-Wurst ist doppelt so groß wie die der Frauen. Kritiker sprechen von Klischee. Weiters zahlen Männer für ihre deftige Wurst, die aus Fleisch, Emmentaler und Röstzwiebeln besteht, 5,98 Euro pro Kilo. Frauen für ihr mit Gemüse gefülltes Würstel 8 Euro. Das nennen die Kritiker Sexismus.

Tatsächlich haben Frauen einen anderen Nahrungsbedarf als Männer. Schnelles Wachstum in der Jugend, Menstruation und die Strapazen während Schwangerschaft und Stillzeit steigern das Risiko von Nährstoffmangel. Ernährungsexpertin Erika Lasser-Ginstl: „Durch physiologische Unterschiede nehmen Frauen Nahrung anders auf als Männer. Statistiken zeigen, dass Frauen öfter zu magerer und milder Nahrung greifen.“

Frauen-Werbung

Diese Tatsache hat der Markt aufgegriffen. So ist auch die Fast-Food-Kette McDonald’s auf den Zug des geschlechterspezifischen Marketings aufgesprungen. Seit Mai 2013 wird mit neuem Salat-Sortiment „speziell für Frauen – und alle, die gern Salat essen“ geworben – was ebenfalls auf harsche Kritik stößt. Laut Gegnern wird ein Bild der Frau suggeriert, die lieber an einem Salatblatt kaut, als herzhaft in einen Burger zu beißen. In einem Interview erklärte McDonald’s-Österreich-Pressesprecherin Ursula Riegler, dass bei Salatkonsumenten Frauen die Mehrheit bilden. Bei Kundenbefragungen würden sich Frauen ein größeres Salatangebot und Männer größere Burger wünschen.

Ernährungsexpertin Lasser-Ginstl ist überzeugt, dass die Lebensmittel-Industrie geschlechterspezifische Produkte wieder einstellen wird, denn „alte Klischees weichen nach und nach auf – vor allem bei Jugendlichen“. Auch Motivforscherin Helene Karmasin ist überzeugt, dass sich geschlechterspezifische Produkte nicht etablieren: „Frauen wollen nicht in Schubladen gesteckt werden, besser wäre, nach Geschmäckern zu klassifizieren.“

Es gibt aber auch eine gegenteilige Entwicklung, erklärt Lasser-Ginstl: „Vor allem bei jungen Männern ist ein gewisser Gruppenzwang zu beobachten. Sie denken, es sei uncool, zu mageren Produkten zu greifen und kaufen daher konventionelle Lebensmittel.“

Entscheidend dafür, in welche der beiden Richtungen sich jemand ernährungstechnisch entwickelt, seien die Erziehung und das Umfeld – was und wie zu Hause gekocht wird.

Frühe Rollenprägung

Geschlechterspezifisches Marketing betrifft schon Kinder. Seit einiger Zeit ist das mit rosa Glitzer verzierte Überraschungsei „Nur für Mädchen“ des Süßwarenherstellers Ferrero erhältlich. Im Inneren des Eies befindet sich eine Spielfigur der TV-Serie „Winx-Club“ – dünn, langbeinig, mit üppiger Oberweite, langhaarig und kurzberockt. Experten zufolge wird damit eine Prägung auf das Äußere festgelegt, die so nicht vernünftig ist. Die Figuren wirken nicht nur krankhaft dünn, sondern posieren und kleiden sich in einer extrem sexualisierten Art – Mädchen wird so ein falsches Körperbild vermittelt.

Dem Problem widmet sich auch die Aktion „watchgroup“ des Grazer Frauenrates. Sie zeigt sexistische Werbekampagnen anhand eines Kriterienkataloges auf. So wird deutlich, wie präsent klassische Rollenbilder und Klischees im Alltag sind. Der Agrarmarkt-Austria-(AMA)-Werbespot „Reifenpanne“ mit dem Slogan „Fleisch bringt’s“ ist ein positives Beispiel für gleichstellungsorientierte und diskriminierungsfreie Werbung – eine Frau hebt dabei ein Auto hoch, damit ihr Mann den Reifen wechseln kann. 2012 wurde dieses Sujet mit dem „Gender Award“ ausgezeichnet, um Bewusstsein für sexismusfreie Kommunikation zu schaffen. Die AMA geht den Weg weiter: Der aktuelle TV-Spot zeigt Mädchen, die stark und Burschen beim Basketball überlegen sind – wegen des Fleischkonsums.

Streng genommen ist auch diese Werbung sexistisch. Aber originellerweise einmal zulasten des starken Geschlechts.

Pünktlich zur Grillsaison wird neuerdings ein klassisches Rollenbild auf den Rost gelegt (Mann will sich stark und satt essen, Frau lieber schön und schlank sein), gewürzt mit einer Prise Sexismus. Als ich das Angebot zum ersten Mal sah, traute ich meinen Augen nicht: Schon die Verpackung der Frauen-Bratwurst soll zum Aufreißen locken, wenn sie auch mehr einem Teenieposter gleicht.

Total billig! Der Sixpack eines Mannes in der Gestalt eines Engels. Soll das etwa meine Gelüste als Frau anregen?

Teuflisch gut scheint die Männer-Bratwurst zu sein, das lässt zumindest die vollbusige, kurzröckige Schönheit vermuten. Angesichts des höheren Preises für die dünnere Wurst zahlen Frauen ja auch gerne mehr, obwohl sie weniger dafür bekommen. Passt zur Einkommensschere zwischen den Geschlechtern – Frauen werden um 17 Prozent weniger gut entlohnt als Männer. Ich frage mich: Kann eine derart agressive, unsensible Darstellung Grund für eine Kaufentscheindung sein?

Möglich, dass auch der deutsche Fleischermeister die Kaufstatistiken und Ernährungsstudien gelesen hat, wonach Frauen in vielerlei Hinsicht andere Bedürfnisse als Männer haben. Aber deshalb muss er doch nicht gleich die längst überholten Klischees bemühen. Emanzipierte Frauen brauchen keine Nischen-Produkte, um ihren Platz in der Gesellschaft zu haben – Männer selbstverständlich ebenso wenig. Barbara Vorsamer von der Süddeutschen Zeitung stellte fest, man könnte meinen, dass das Streben nach vollständiger Gleichberechtigung in allen Lebenslagen das eigentliche Ziel sei, anstatt sich wegen „Frauen- und Männerbratwürsten“ in der Werbebranche zu brüskieren. Doch die alltäglichen Kleinigkeiten tragen viel zur Wahrnehmung von Frauen und Männern bei – somit auch zur Verteilung von Macht und Geld. Ich für meinen Teil greife weiterhin zur geschlechtsneutralen, fetten, sündigen Grillwurst. Mmmh, Mahlzeit!

lebensart@kurier.at

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