Bald mehr Plastik in den Meeren als Fische

Die Verschmutzung der Weltmeere nimmt dramatische Ausmaße an.
Derzeit wird pro Minute eine Lkw-Ladung Kunststoff-Müll in den Ozeanen entsorgt. Forscher warnen.

Wie das Unfassbare fassbar machen? Eine neue Studie versucht es mit Lkw-Ladungen. Pro Minute wird durchschnittlich eine Ladung Plastikmüll in irgendein Meer entsorgt. Einfach so. Man könnte auch sagen: Fünfzehn Supermarkt-Sackerln landen auf jedem Meter Küste der Welt. Etwa acht Millionen Tonnen kommen so zusammen. Das ist jene Menge Plastikmüll, die jedes Jahr in den Weltmeeren verschwindet. Oder eben nicht. Daran erinnerte man beim Weltwirtschaftsforum in Davos: „Wenn man nicht handelt, wird diese Menge bis 2030 auf zwei Lkw-Ladungen pro Minute steigen“, heißt es in der Studie der Ellen-MacArthur-Stiftung, die jetzt dort vorgestellt wurde. Bis 2050 seien es dann vier Lkw-Ladungen pro Minute. Damit könnte bis 2050 mehr Plastikmüll in den Weltmeeren schwimmen als Fische.

Abfall

Bereits vor einem Jahr hatten Forscher im Fachmagazin Science vorgerechnet, dass jedes Jahr zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Weltmeeren landen. Der mittlere Wert von acht Millionen Tonnen würde ausreichen, um Manhattan 34-mal knöcheltief unter Abfall verschwinden zu lassen. Wien könnte man mit einer solchen Menge etwa sechs Mal zudecken. Kara Lavender Law vom US-Meeresforschungsinstitut Woods Hole meinte damals: „Was wir an Thunfisch aus dem Meer holen, stecken wir in Form von Müll hinein.“

5 Prozent Recycling

Kein Wunder: Seit 1964 hat sich die weltweite Plastikproduktion verzwanzigfacht. Bis 2050 werde sie sich noch mal fast vervierfachen. Hauptproblem: Viel zu wenig Plastik werde wiederverwertet, nämlich nur fünf Prozent. 40 Prozent landen auf Deponien und ein Drittel in natürlichen Ökosystemen. „Das Plastik ist nicht nur an der Oberfläche zu sehen, sondern auch in den Sedimenten angekommen, die abgelagert werden“, sagt der Geologe Michael Wagreich. „Auch Mikrofasern aus unseren Outdoorjacken finden sich dort.“ Man schätzt, dass etwa 80 Prozent des Meeres-Plastiks über Flüsse dorthin gelangen, sagt Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner an der MedUni Wien: „In vielen Flüssen gibt es mittlerweile mehr Mikroplastik als Zooplankton.“ So fand man im Donau-Uferbereich WienBratislava pro 1000 Kubikmeter Wasser durchschnittlich 317 Plastikpartikel, aber nur 275 Fischlarven.

Am Weltwirtschaftsforum schlugen die Forscher daher neue Materialnormen, Märkte für Secondhand-Materialien und ein besseres Recyclingsystem vor. Produkte müssen in Zukunft auf Haltbarkeit, gemeinsame Nutzung, Wiederverwendung, Reparatur und Recycling ausgelegt sein.

Fisch ist gesund und gilt als Teil einer ausgewogenen Ernährung. Doch angesichts der aktuellen Meldungen könnte einem der Appetit vergehen: In vielen Meeresfischen findet sich Mikroplastik. Sollte man deshalb auf den Verzehr von Fisch vollkommen verzichten? Der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter hat Fisch noch nicht von seinem Speiseplan gestrichen. Allerdings bevorzugt er Süßwasserfische: „Karpfen ist aus ökologischer Sicht am unbedenklichsten.“

Auch Forelle, Saibling oder Waller aus Österreich seien eine gute Wahl: „Die Transportwege sind meist kurz und die Ware ist frisch.“ Wobei er einräumt: „Völlig unbelastete Fische gibt es nirgends mehr. Doch Meeresfische sind weitaus belasteter als Fische aus heimischen Gewässern.“

Schwermetalle

Besonders problematisch beim Fang aus dem Meer sei, dass die Tiere extrem hohe Schwermetallwerte aufweisen – besonders Quecksilber ist hier ein Thema. Aber natürlich auch das Plastik. „Muscheln gelten geradezu als Indikator für die Wasserverschmutzung“, sagt Hutter: „Sie filtern das Wasser wie ein Sieb und speichern z. B. kleine Plastikteilchen.“
In die Gewässer gelangt das Mikroplastik in unterschiedlicher Form, Größe und Konsistenz. Es kann aus verrotteten Plastiktonnen, aus Fleecejacken, Waschpulver oder Pestiziden stammen.

Krankmacher

Gesicherte Studien, was dieser Kunststoff mit dem menschlichen Körper macht, gibt es noch nicht: „Je nach Substanz hat es Einfluss auf unser Hormon- und Nervensystem. Manche Stoffe sind krebserregend“, sagt Hutter. Grund genug für Konsumenten, Mikroplastik zu vermeiden, wo es im Alltag möglich ist. Häufig ist es etwa in Kosmetika zu finden – der Naturschutzbund BUND hat auf seiner Homepage eine umfassende Liste der belasteten Shampoos, Deos und Cremes veröffentlicht. Auch Plastiksackerl und -flaschen belasten Gewässer häufig.

Das immer mehr in Mode kommende Bioplastik sieht Nunu Kaller von Greenpeace aus zwei Gründen kritisch: „Zurzeit ist es noch eine Mischung mit konventionellem Plastik, weshalb es sich kaum kompostieren lässt. Zudem ist die Produktion ökologisch fragwürdig, weil dabei auf Monokulturen mit hohem Pestizideinsatz gesetzt wird.“

Fast keine Fischart kann nach Einschätzung von Greenpeace bedenkenlos gekauft und gegessen werden. Nur der Karpfen darf nach Ansicht der Umweltschützer mit gutem Gewissen auf den Tisch kommen. Das geht aus einem neuen Einkaufsratgeber hervor, den Greenpeace jetzt veröffentlichte. Das Heft soll Verbrauchern helfen, umweltbewusst Meerestiere zu kaufen.

Herkunft

Die Umweltschutzorganisation hat 115 Arten bewertet. Konsumenten sollten je nach Art auf den Zustand des Bestandes, das Herkunftsgebiet des Fangs und die Fangmethode achten. "Vielen Fischbeständen steht das Wasser sprichwörtlich bis zum Hals", sagte die Greenpeace-Meeresexpertin Sandra Schöttner. Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO seien 28,8 Prozent der weltweiten Speisefischbestände überfischt oder erschöpft, 61,3 Prozent würden bis an die Grenze genutzt. Für nicht vertretbar hält die Umweltschutzorganisation den Verzehr von Aal, Rotbarsch, Makrele, Seehecht und Alaska-Seelachs. Grundsätzlich rät Greenpeace: "Essen Sie seltener oder im Idealfall gar keinen Fisch."

Der Bundesverband der deutschen Fischindustrie und des Fischgroßhandels hält den Einkaufsratgeber für "wirklichkeitsfremd". Er ignoriere viele Entwicklungen, die von der Fischindustrie und zum Teil auch von Greenpeace selbst in den vergangenen zehn Jahren angestoßen worden seien, sagte Verbandsgeschäftsführer Matthias Keller. "Das sind sehr ideologische Empfehlungen." Im Fischfang sei alles durch Vorschriften geregelt, von den Mengen bis zu den Fangmethoden. Greenpeace rate vom Kauf von Kabeljau ab, tatsächlich komme die Mehrzahl der Fische aber aus nachhaltigem Fang. Auch bei der Scholle sei die freigegebene Fangmenge in der Nordsee noch nie so groß wie 2015 und 2016 gewesen.

Fischbestände

Über die Fischbestände informiert die Fischindustrie in Kooperation mit Wissenschaftlern vom Thünen-Institut für Ostseefischerei im Internet. Demnach ist etwa der in Deutschland beliebte Alaska-Seelachs in drei von vier Fanggebieten nicht überfischt. Im vierten Fanggebiet, der westlichen Beringsee, ist der Zustand des Bestandes aufgrund fehlender Daten unklar. Greenpeace rät dagegen zum völligen Verzicht von Alaska-Seelachs, weil die Fische mit Schleppnetzen gefangen würden, die den Meeresboden zerstörten.

Weltweit liegt der Pro-Kopf-Verbrauch nach Angaben der Fischindustrie bei 19 Kilo, in der EU sogar bei 23 Kilo. „Wir sind da noch ein Entwicklungsland“, sagte Keller. Der Verband setzt auf einen steigenden Fischkonsum in Deutschland. Der beliebtesten Speisefisch ist inzwischen der Lachs vor dem Alaska-Seelachs. Es folgen Hering, Thunfisch und Forelle.

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