Auf ein Schnitzel nach Israel

Heimat am Esstisch: Essen hat viel mit Wurzeln und Identität zu tun. Das trifft auf die Juden, die lange ohne Heimat waren, vielleicht noch mehr zu
Die jüdische Kultur ist Außenstehenden fremd. Wie man sie kulinarisch erkunden kann, zeigt ein neues Kochbuch.
Auf ein Schnitzel nach Israel

Das Schnitzel ist in Israel so etwas wie ein Nationalgericht. Und Apfelstrudel gilt Juden in aller Welt als typisch jüdische Speise. Das erstaunt nur gelernte Österreicher auf den ersten Blick. Für Buchautorin Claudia Roden sagt das viel über jüdische Küchentradition – und jüdische Kulturgeschichte. "Essen hat mit Wurzeln und Identität zu tun. Wenn Juden weiterzogen, haben sie immer regionale Gerichte adaptiert und mitgenommen. So wurden diese Spezialitäten jüdisch."

Oder sie fanden umgekehrt den Weg in nicht-jüdische Esskultur. Auf so eine bemerkenswerte Geschichte kann etwa der seit einigen Jahren auch hierzulande beliebte Bagel verweisen. Er vermittelt das typisch amerikanische Lebensgefühl. Unbekannt ist vielfach, dass das ringförmige Gebäck eigentlich eine mittelalterliche Erfindung jüdischer Bäcker in Süddeutschland war und ein Alltagsgebäck osteuropäischer Juden wurde. Diese nahmen das Rezept des ursprünglich kurz in kochendes Wasser getauchten und erst dann gebackenen Germteigs bei ihrer Emigration in die USA mit. So wurde ein "Amerikaner" daraus.

Die jüdische Küche gibt es so betrachtet also nicht – vielmehr zahlreiche Küchen. Roden hat sich auf die Suche nach einer weltweiten Sammlung begeben. "Es gibt viele Gemeinden, die auf ihr Essen Wert legen. Das ist ein Weg, sie zu entdecken." Ein Unterfangen, das sie mit Unterbrechungen 15 Jahre lang beschäftigte. Aus ihren Reisen wurde eine Sammlung mit mehr als 800 Rezepten, gewürzt mit viel Geschichte und Geschichten. Dieses "Buch der jüdischen Küche" gilt mittlerweile als Standardwerk. Es dauerte dennoch 16 Jahre, bis die "Küchenbibel" endlich auch auf Deutsch erschien, im Wiener Mandelbaum-Verlag.

 

Unzählige Varianten

Über Essen und Rezepte zu forschen bringt einem fremde Menschen so nahe, wie sonst kaum", erzählt Roden im KURIER-Gespräch. Sie verkostete über die Jahre Tausende Gerichte in unzähligen Variationen. Allein in Venedig fand sie vier verschiedene Küchentraditionen – jeweils unter den Mitgliedern der vier Synagogen der Stadt. Überhaupt beschäftigte sie der reiche Rezeptschatz sephardischer (Wurzeln rund um Mittelmeer, mittlerer Osten, Asien) jüdischer Familien lange. Praktisch jede Gemeinde variierte die klassischen Rezepte. "Wenn ich in Syrien nach einem Couscous-Rezept gefragt habe, bekam ich als Antwort: ‚Aus welcher Stadt?""

Gelernt hat sie bei ihren Streifzügen nicht nur viel über die Zubereitungsarten, sondern auch über die so unterschiedlichen jüdischen Lebenswelten. "Um die Gerichte zu verstehen, musste ich erst Einblicke in die Kultur gewinnen. Uns Juden in Ägypten war zum Beispiel die aschkenasische Kultur (Judentum in der westlichen Welt) mit schweren, fetten Speisen, die durch die kalte Jahreszeit geprägt waren oder das Leben im Schtetl, Getto oder auch im Großbürgertum, vollkommen fremd."

Bei nicht-jüdischen Mitteleuropäern könnte das Gegenteil passieren. Denn hinter Namen wie Strudel, Blinzen oder Latkes verbirgt sich Vertrautes: Strudel, Palatschinken und Erdäpfelpuffer nämlich. Durchs Essen kommen die Menschen tatsächlich zusammen.

Info: Rezepte und viele Geschichten

Auf ein Schnitzel nach Israel

Die Autorin

Claudia Roden stammt aus einer ägyptisch-jüdischen Familie, deren Wurzeln in Syrien (Aleppo), der Türkei und Spanien liegen. Die Familie emigrierte nach dem Krieg mit Israel um Sinai nach Frankreich, später nach London. Dort heiratete Roden, die als Journalistin arbeitete, in eine russisch-jüdische Familie ein und lernte so die Welt und damit auch die Küche der europäischen Juden kennen. Heute gilt sie als eine der Expertinnen jüdischer Küche weltweit.

Buchtipp

Claudia Roden, Das Buch der Jüdischen Küche. Eine Odyssee von Samarkand nach New York, Mandelbaum Verlag, 54 € (englisch 35,99 €).

Kommentare