Der Weg aus der Dunkelheit

Der Weg aus der Dunkelheit
Hoffnung für Depressive. Michael Horowitz über eine Partydroge aus den 60er-Jahren, die bald Menschen, die in tiefer Traurigkeit versunken sind, helfen wird. In einer Welt, in der ständiges Lächeln zum Überlebenskampf gehört.

Sich morgens fertig machen, duschen, drauf einstellen, dass man arbeiten geht und dann beim Öffnen der Tür zu heulen anfangen – auf Twitter versuchen immer mehr Menschen, die sich mutlos, einsam, ungeliebt und abgeschirmt fühlen, ihr Leben ohne Perspektive zu beschreiben. Seit Jana Selig, eine Bloggerin aus Berlin, in Tweets ihren tristen, todtraurigen Alltag schildert, ist Depression kein Tabu mehr. Zumindest auf Twitter. In kürzester Zeit haben Zehntausende Depressive Mut gefasst und berichten auch von ihrer verzweifelten Situation, wenn die Traurigkeit so tief sitzt, dass man nicht weiß, wo sie anfängt und wieder aufhört, man vor Einsamkeit erstickt, aber keine Menschen ertragen kann. Unter dem Hashtag #notjustsad wurden die verzweifelten, öffentlichen Bekenntnisse gebündelt. Man erzählt dem anonymen Internet mehr als Freunden und Familie, weil man sich hier verstanden fühlt. Auch die noch umstrittene Online-Therapie für Menschen mit Depressionen wird in Zukunft immer mehr Bedeutung erhalten. Jana Seligs Tweets, die sie unter dem Usernamen @isayshotgun schrieb, wurden zu einer Geschichte über die Depression, die schleichend kommt, die es sich im Leben der Betroffenen gemütlich macht und sich oft hartnäckig weigert, wieder zu gehen. Die Enttabuisierung auf Twitter ist ein wichtiger Schritt – nicht nur für Depressive, sondern auch für jene, die diese Krankheit nicht verstehen und sich vielleicht selbst bald in einem tiefen, schwarzen Loch finden. Wenn man sich den Arm bricht, geht man zum Arzt. Bei Depressionen verkriecht man sich in Scham – ohne ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Jeder vierte Europäer leidet in seinem Leben zumindest kurzzeitig an einer Depression. Bereits 2015 wird die psychische Störung eine größere Rolle spielen als koronare Krankheiten wie Herzinfarkt – in Österreich leiden schon heute mehr als eine halbe Million Menschen an Depressionen. Jedes Zeitalter hat seine Leitkrankheiten, stellt der Philosoph Byung-Chul Han fest, im vergangenen Jahrhundert waren es Infektion mit Bakterien und Viren, heute entstehen die Leitkrankheiten in unserem Nervensystem: Depression, Aufmerksamkeitsstörungen, Hyperaktivität, Burnout. Das Tabu der krankhaft tiefen Traurigkeit zu brechen, in einer Welt, in der immer mehr ständiges Lächeln zum Überlebenskampf gehört und Depression ein Zeichen von Versagen ist – dabei hilft jetzt Twitter. Und schon in ein paar Jahren werden Therapien und Medikamente, die heute erst in Erprobung sind, jenen Menschen Hilfe bieten, denen ständig gesagt wird, wie lebenswert das Leben ist, die aber nur tiefe Traurigkeit spüren können. Weltweit arbeiten verschiedenste Forschergruppen an der Entwicklung neuer Antidepressiva, die noch rascher und effektiver wirken und besser verträglich sind. An zahlreichen Uni-Kliniken Europas beschäftigen sich Ärzte damit, bildgebende Verfahren wie fMRI oder PET für die Depressions-Diagnose weiterzuentwickeln. An der Berliner Charité sieht man die Zukunft fast euphorisch: Die schnelle therapeutische Wirkung von Ketamin, einer Partydroge aus den 1960er-Jahren, das später als Narkosemittel eingesetzt wurde, kann bereits in wenigen Jahren Hilfe für Depressive darstellen. Das Fachjournal „Science“ nennt Ketamin als größten Durchbruch in der Forschung zur Depression seit 50 Jahren. Depression ist keine Erscheinung unserer Zeit. Unter dem Begriff der Melancholie war sie schon in der griechischen Medizin der Antike bekannt. Auch viele Prominente litten im Laufe ihres Lebens an der Krankheit, die Menschen in eine innere Emigration treibt: Hollywood-Ikone Marilyn Monroe, Dichter wie Hermann Hesse und Ernest Hemingway, Politiker wie Abraham Lincoln und Winston Churchill, der seine depressiven Phasen „die Zeiten, in denen mich schwarze Hunde jagen“, nannte. Dann zog er sich auf seinen Landsitz zurück und war – ansonsten ein Mann der Öffentlichkeit wie wenig andere – nicht in der Lage, sozial zu kommunizieren. Die Gruppe der depressiven Erkrankungen wird es auch in 80 Wochen und 80 Jahren geben, meint der Chefarzt des Psychosozialen Dienstes in Wien, Prim. Georg Psota, die WHO-Prognosen gehen jedenfalls von einer Zunahme bis 2030 aus. Gesellschaftlich müssen im heutigen Europa Perspektiven entwickelt werden und Arbeitslosigkeit von 20 bis 40 Prozent bei jungen Menschen wie in Südeuropa ist das Gegenteil von Perspektive. Der Mensch braucht Aufgabe und Sinn im Leben, dann ist vieles möglich.

Der Weg aus der Dunkelheit
zukunft wo49 - A 4518151

Georg Psota, Chefarzt des Psychosozialen Dienstes in Wien.

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