Jennifer Lawrence

Jennifer Lawrence über Depressionen und Sex: „War voller Angst“

Postpartale Depression, Sexszenen mit Robert Pattinson und ihr neuer Film „Die My Love“: Jennifer Lawrence im Interview.

Jennifer Lawrence ist eine Frau der Erfolge. Sie hat einen Oscar gewonnen, war mehrfach die bestbezahlte Schauspielerin der Welt, ist glücklich verheiratet und hat eine Familie. Klingt perfekt. Aber schützt auch einen Star wie sie nicht vor Traurigkeit und Problemen. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes litt sie an postpartalen Depressionen. Für unser Interview erreichen wir Lawrence in Rom. Wie überrascht sie von diesen Ängsten wurde, davon erzählt sie uns offen im Gespräch. Und über die Botschaft ihres neuen Films „Die My Love“ (ab 13.11. im Kino) sagt sie: „Allen, die unter postpartalen Depressionen leiden, möchte ich sagen, dass sie nicht allein sind. Und dass es Hilfe gibt.“

„Die My Love“ zeigt eine Frau im Extremzustand. Ein unsterblich verliebtes Paar erbt ein Haus und zieht von New York aufs Land. Erst regiert in der Abgeschiedenheit die Unbeschwertheit samt wildem Sex, doch als ein Baby kommt und ihr Mann (Robert Pattinson) arbeitsbedingt oft tagelang wegbleiben muss, kippt die Lage: Grace wird beherrscht von Angst, Einsamkeit, ist überfordert von der Mutterschaft, schlittert in eine Psychose und eskaliert – inklusive Selbstverletzung beim Sprung durch eine Glastüre und Affäre mit dem Nachbarn. Ekstatische Verzweiflung – und eine schauspielerische Gewaltanstrengung.

Ihr neuer Film ist sehr intensiv, Ihre Figur Grace durchlebt von Anfang bis Ende eine hochemotionale Achterbahnfahrt. Was war es, dass Sie gesagt haben: Diese Rolle muss ich spielen?

Es war einfach so eindringlich, was Ariana Horowitz da geschrieben hat. Sie zeigt eine Frau, die an einer psychischen Erkrankung leidet. Als Zuseher fühlt man sich aber dermaßen tief in ihr emotionales Innenleben versetzt, dass man nicht das Gefühl hat, dass mit ihr etwas nicht stimmt, sondern dass vielmehr mit der Welt etwas nicht in Ordnung ist. Damit hat sie meiner Meinung nach etwas Unglaubliches geschaffen. Die Figur hat mich sofort angesprochen, als ich das Drehbuch gelesen habe. Aber ich fühlte mich noch an etwas anderes erinnert.

An was?

An den Film „Eine Frau unter Einfluss“, einen meiner Lieblingsfilme. Jede Schauspielerin würde mir zustimmen, dass Gena Rowlands darin die Rolle ihres Lebens spielt. Ein Drehbuch zu lesen, das mich an diesen Film erinnert und Ähnliches in mir auslöst, fand ich extrem aufregend.

Würden Sie sagen, Ihre Rolle in „Die My Love“ ist die Rolle Ihres Lebens?

Nun, das möchte ich lieber noch nicht behaupten. Denn sonst bekomme ich noch das Gefühl, ich könnte womöglich bald sterben. Und ich möchte doch noch ein bisschen länger leben. (lacht)

Jennifer Lawrence

Hollywoodstar Jennifer Lawrence über ihre Wochenbettdepression: „Man weiß nicht, was mit einem los ist. Was mit einem falsch läuft.“

©Chris Pizzello/AP/picturedesk.com/Chris Pizzello / AP / picturedesk.com

Der Film behandelt Isolation, Mutterschaft, Identität, psychische Gesundheit und die Zerbrechlichkeit von Beziehungen. Welches dieser Themen hat Sie persönlich am meisten angesprochen?

Jedes dieser Themen. Eine der schönsten Aufgaben, die ich als Künstlerin habe, ist es, all meine Erfahrungen und Gefühle zusammenzutragen, dann in tausend Teile auseinanderzunehmen und schließlich wieder zusammenzufügen. Ich kanalisiere sie und baue sie ein in die Geschichte, die ich erzählen will, verwende sie so wie ein Maler Farben verwendet, verleihe meinen Figuren dadurch mehr Tiefe. In diesem Falle konnte ich aber sicher etwas Besonderes beitragen.

Was meinen Sie?

Ich hatte meinen Sohn (drei Jahre alt, Anm.) am Set dabei, und auch Rob (ihr Filmpartner Robert Pattinson) war, als wir drehten, gerade Vater geworden. Es war schön, den ganzen Tag mit ihm über diese Erfahrungen reden zu können. Das ist es ja, was alle frisch gebackenen Eltern wollen: sich gegenseitig Bilder ihrer Kinder zeigen und darüber tratschen. Gleichzeitig sind wir aber auch in Beziehungen mit unseren Partnern. Auch darüber haben wir geredet und es war wichtig, unsere jeweiligen Perspektiven in unsere Rollen einzubringen.

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich bei meinem zweiten Kind von postpartaler Depression betroffen sein werde, da ich nach der Geburt meines ersten Kindes nur schöne Erfahrungen gemacht habe.

Jennifer Lawrence

Sie spielen eine Frau, die nach der Geburt ihres Babys in eine verzweifelte, schockierende Psychose abdriftet. Sie sind selbst Mutter von zwei Kindern. Wie schwer war es, diese Rolle zu spielen?

Jemanden darzustellen, der sich um nichts schert und keine Impulskontrolle hat, hat zuerst einmal wirklich Spaß gemacht. Das Schwierigste, das sich zugleich als das Hilfreichste herausgestellt hat, war etwas anderes: Dass „Die My Love“ der erste Film ist, in dem ich eine Mutter spiele und auch im realen Leben selbst eine bin. Das hat meine Fürsorge für das, wie Babys unsere Welt erleben, verstärkt.

Und das hat sich auf den Dreh ausgewirkt?

Ich denke jeden Tag darüber nach, aus welcher Perspektive meine Kinder mich und meine Umgebung erleben. Ich weiß, wie wichtig meine Mimik, meine Ausstrahlung und Energie, Beständigkeit und generell meine Vorbildwirkung für ihre Entwicklung sind. Doch für diesen Film musste ich das komplett vergessen.

Zum Beispiel?

Für eine Szene stand im Drehbuch ein heftiger Streit zwischen Rob und mir. Und zwar in Anwesenheit des Babys. Rob und ich waren der Meinung, dass wir das nicht tun können. Wir können uns vor dem Baby nicht gegenseitig anschreien! Es würde das Kind traumatisieren. Seitdem ich Mutter bin, ist mein Empfinden, was so etwas betrifft, geschärft. Aber wahrscheinlich hätte ich es zuvor auch schon nicht übers Herz gebracht, vor einem Baby ein Schreiduell zu veranstalten.

Jennifer Lawrence im Film "Die My Love"

Verzweifelt, emotional, Mutter: Jennifer Lawrence in „Die My Love“, ab 13. November im Kino

©Kimberly French/MUBI / Polyfilm / Kimberly French

Sie haben selbst unter postpartalen Depressionen gelitten. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Ich war überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich bei meinem zweiten Kind von postpartaler Depression betroffen sein werde, da ich nach der Geburt meines ersten Kindes nur schöne Erfahrungen gemacht habe. Es hat mich wirklich unvorbereitet getroffen. Dabei hatte ich das Gefühl, echt gut vorbereitet zu sein. Ich wusste, wie man sich um ein Baby kümmert, ich hatte bereits Erfahrung. Die Depression kam einfach unerwartet. Man weiß nicht, was mit einem los ist. Was mit einem falsch läuft.

Das war sicher eine schwierige Zeit. Wie haben Sie dieses Tief überwunden?

Ich bin so dankbar, dass ich mein Baby nicht ein paar Generationen zuvor bekommen habe, als die Betroffenen buchstäblich nicht wussten, was mit ihnen los ist. So aber hatte ich einen Namen für diesen Zustand, ich konnte damit zum Arzt gehen, habe spezielle Tests gemacht, um zu sehen, wie es mir psychisch geht. Und als klar war, dass es mir nicht gut ging, wurde mir ein verschreibungspflichtiges Medikament namens „Zurzuvae“ empfohlen. Es ist neu und wurde speziell für die Zeit nach der Geburt entwickelt. Man nimmt es zwei Wochen lang ein, danach nicht mehr. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereit, alles zu versuchen. Also habe ich es genommen.

Ich muss sagen, es ist eine wirklich gute Möglichkeit, jemanden besser kennenzulernen. Eigentlich war es sogar ideal, die Sexszene gleich zu Beginn zu drehen.

Jennifer Lawrence

Vielleicht das Schlimmste: Die Depression äußert sich unter anderem in einem Zustand der Isolation, richtig? Man hat das Gefühl, keiner kann einen verstehen.

Es ist schwer zu sagen, was das Schlimmste daran ist. Man macht Gefühle durch, die man nicht versteht. Ich war einfach voller Angst. Voller Angst und Schrecken. Ich brauchte die Hilfe meines Mannes, und er war auch wirklich unterstützend und großartig. Aber das alles ist natürlich eine Erfahrung, die man als Paar zum ersten Mal durchlebt. Wir sind es gewohnt, normalerweise alles miteinander zu teilen. Trotzdem fühlt man sich einfach vollkommen verloren.

Jennifer Lawrence und Robert Pattinson im Film "Die My Love"

Jennifer Lawrence und Robert Pattinson im Film "Die My Love": Ausdruckstanz als Vorbereitung auf die Sexszene

©MUBI / Polyfilm / Seamus McGarvey

Sie sind im Film oft völlig nackt zu sehen. Das hat schon ihren ersten Drehtag ziemlich interessant gemacht – da stand nämlich gleich eine intensive Sexszene mit Robert Pattinson an ...

Wir kannten uns vorher nicht. Und wir wussten definitiv nicht, dass das unsere erste Szene zusammen sein würde, als wir ans Set gekommen sind. Aber ich muss sagen, es ist eine wirklich gute Möglichkeit, jemanden besser kennenzulernen. (lacht) Und eigentlich war es sogar ideal, die Sexszene gleich zu Beginn zu drehen. Manchmal baut sich die Spannung vor so einer Szene ziemlich auf, während man sich in der Zwischenzeit aber immer besser kennenlernt. Auch Rob und ich sind Freunde geworden, dadurch hätte es äußerst seltsam werden können, die Szene zu drehen. So aber war es so, als wären wir zwei Menschen, die sich nicht wirklich gut kennen. Wir saßen beide im selben Boot. Es war besser, dass wir das gleich am Anfang hinter uns gebracht haben, als erst eineinhalb Monate später.

Haben Sie nie gezögert wegen der vielen Nacktszenen im Film?

Wissen Sie, ich bin so ein großer Fan von Lynne Ramsay, der Regisseurin. Ich vertraue ihren Instinkten, wollte nicht, dass sie diese in Frage stellt. Wenn ihr Blick auf ein Fenster fiel und meinte: „Wie wäre es, wenn du dich ausziehst und nackt vor dieses Fenster stellst?’, habe ich freudig mit „Ja!“ geantwortet. „Und nackt im Wald?“ Ja!

Was war hilfreicher bei den Liebesszenen: die Unterstützung eines Intimitätskoordinators, der mit einem die Szene durchchoreografiert, oder dass Robert Pattinson und Sie zur Vorbereitung Ausdruckstanz-Stunden genommen haben?

Ich kann da nicht für jeden sprechen, denn nicht jeder hat Robert Pattinson als seinen Co-Star. Aber dadurch, dass eben Rob mein Kollege war, habe ich ihm vertraut und mich so sicher mit ihm gefühlt, dass ich sagen würde, dass das Tanzen eine größere Hilfe war.

Beim Dreh dachte ich mir nur: Okay meine Brustwarzen sind riesig, mein Bauch ist aufgebläht, ich habe Cellulite – aber was soll’s?

Haben Sie sich viel Stress gemacht vor dem Dreh dieser intimen Szenen?

Vor dem Dreh habe ich mir mehr Sorgen darüber gemacht. Man kennt das ja, man stellt sich die Dinge im Vorhinein immer schlimmer vor als sie dann sind. Zudem war ich zu dieser Zeit ja schwanger mit meinem zweiten Kind. Und eigentlich war das perfekt. Normalerweise ist man vor Nacktszenen sehr gestresst. Um möglichst gut auszusehen, verzichtet man im Vorhinein auf Zucker und trainiert im Fitnessstudio. Durch die Schwangerschaft habe ich aber ohnehin ziemlich gesund gelebt, ohne Zucker und Alkohol, und abends ging’s früh ins Bett.

Ein Baby als beste Vorbereitung quasi.

Beim Dreh dachte ich mir nur: Okay meine Brustwarzen sind riesig, mein Bauch ist aufgebläht, ich habe Cellulite – aber was soll’s? Ich dachte einfach: Hier bin ich.

Jennifer Lawrence

Jennifer Lawrence

Jennifer Lawrence wurde 1990 in Louisville, Kentucky geboren. „Die Tribute von Panem – The Hunger Games“ machte sie 2012 zum Megastar. Für „Silver Linings“ gewann sie den Oscar. Sie spielte in „X-Men“-Filmen, „American Hustle“ oder „Joy“. Seit 2019 ist sie mit einem Kunsthändler verheiratet, das Paar hat zwei Kinder. Sie leben in New York und Kalifornien.
 

Ihre Figur zieht mit ihrem Mann von New York aufs Land. Wie hat sich Ihre Vorstellung von Zuhause oder Zugehörigkeit durch den Film verändert?

Meine Vorstellung von Zuhause ist jetzt mobil, denn mein Zuhause sind mein Mann und meine Kinder. Wo immer sie sind, ist auch mein Zuhause.

Was hoffen Sie, dass das Publikum aus dem Film mitnimmt?

Von all meinen Filmen lässt dieser am meisten Raum für Interpretationen. Jeder hat eine andere Ansicht dazu. Meine Botschaft zum Film wäre: Allen, die unter postpartalen Angstzuständen oder Depressionen leiden, möchte ich sagen, dass sie nicht allein sind. Und dass das vorbeigehen wird und es Hilfe gibt. Ansonsten sollen die Leute einfach in diese Welt eintauchen – und sie dann wieder verlassen.

Zuschauern wird es mitunter schwer fallen, die emotionale Reise Ihrer Figur Grace mitanzusehen. Gibt es dennoch Hoffnung, die Sie vermitteln können?

Man kann diese Reise unterschiedlich interpretieren. Ich sehe sie so: Grace hat sich verloren und dann wiedergefunden – sich und ihren Weg.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schrieb für 110%, das Sport- und Lifestyle-Magazin von Die Presse. Seit 2020 Redakteur der KURIER Freizeit mit Reportagen, Kolumnen, Texten zu Kultur, Gesellschaft, Stil, Reise und mehr. Hunderte Interviews, von Beyoncé und Quentin Tarantino über Woody Allen und Hugh Grant bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio sowie in der deutschsprachigen Kulturszene. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Liebt Kino, Literatur und Haselnusseis.

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