Wenn Tiere Trauer tragen
Harper und Kohl waren unzertrennlich. Die beiden Mulard-Erpel lebten in einem Gnadenhof in New York. Tierschützer hatten das Entenpärchen aus einem Mastbetrieb befreit, in dem sie zwecks Produktion von Entenstopfleber beinahe zu Tode gefüttert worden waren. Vier Jahre verbrachten die beiden dort gemeinsam, dann war Kohl so krank, dass er eingeschläfert werden musste. Harper sah zu. Der tote Körper der Ente lag im Stall auf dem Stroh und Harper versuchte, mit seinem Freund zu kommunizieren.
Als der nicht reagierte, stupste er ihn mit dem Schnabel an. Er legte seinen Kopf auf den Hals Kohls und verharrte so mehrere Stunden. Tierpfleger brachten die tote Ente weg, doch Erpel Harper vergaß seinen Freund nicht. Tag für Tag watschelte er zu jenem Teich, an dem die beiden ihre gemeinsame Zeit verbracht hatten und saß dort. Er fraß weniger und lehnte es ab, sich mit anderen Enten abzugeben. Zwei Monate danach starb auch er. „Alle diese Gefühle sind ganz klar Trauer“, sagt Barbara J. King. Die Anthropologin am College of William & Mary in Williamsburg, Virginia, hat auch das Verhalten von Affen studiert und ist sich ihrer Sache sicher. „Dieses Verhalten ist mehr als Stress oder eine Stimmungsänderung. Ich glaube nicht, dass wir in unsere tierischen Begleiter zu viel hineininterpretieren.“ Damit widerspricht Barbara J. King vielen ihrer Forscherkollegen, die behaupten, wenn man Tieren Gefühle zubillige, projiziere man bloß menschliches Verhalten in sie. Kings These: „Tiere und Menschen haben wesentlich mehr ähnliche Gefühle, als bisher angenommen.“
Damit erscheint das Verhalten von Tieren in einem neuen Licht. Etwa das von Hunden, die tagelang das Grab ihres toten Herrchens bewachen, nichts mehr fressen, nicht mehr spielen und auf jeden, der sie dort wegholen möchte, aggressiv reagieren. So kann Trauer sein.
Oder so wie bei den Rauzahndelfinen, die vor der Kanareninsel Gomera beobachtet wurden. Ein Neugeborenes war gestorben, die Mutter trug es tagelang mit sich. Sie hielt es entweder in ihrem Maul oder schubste es mit ihrem Körper an die Wasseroberfläche. Die anderen Tiere des Schwarms halfen ihr dabei und schwammen viel langsamer als sonst. Zwei andere Delfine wichen der trauernden Mutter nicht von der Seite.
Auf den ersten Blick befremdlich wirkt das Verhalten von Affen. Sie tragen ihre toten Jungen oft mehrere Wochen lang auf dem Rücken mit sich, bis der Körper durch die Hitze zur Mumie wird. Es scheint beinahe, dass Menschenaffen den Tod begreifen können. So wie jene vier Schimpansen, die 20 Jahre in einem britischen Safaripark zusammenlebten. Als Äffin „Pansy“ krank wurde, schenkten die anderen Gruppenmitglieder ihr besonders viel Aufmerksamkeit, streichelten und lausten sie intensiver. Nach ihrem Tod hörten sie sofort damit auf, Pansys Tochter richtete sich einen Schlafplatz an der Seite der toten Mutter ein und die anderen spendeten einander durch Lausen Trost.
Und dann waren da noch die Schweine. Buster und Winnie kannten einander von klein auf und lebten auf einem Gnadenhof in den USA. Als Buster starb, war Winnie untröstlich. Sie fraß kaum noch und verweigerte den Kontakt zu anderen Schweinen. Das ging zwei Jahre so. Dann kam ein Rudel Ferkel auf den Gnadenhof. Die Sau Winnie begann sich um die Kleinen zu kümmern, sie zu erziehen. Von da an ging es ihr wieder besser. Als ob die Verantwortung für die Ferkel ihrem Leben wieder Sinn gegeben hätte. Anthropologin King hat Geschichten wie diese in ihrem neuen Buch „How Animals Grieve“ gesammelt. Der Schluss, den sie daraus zieht, ist eindeutig: „Liebe und Trauer gehen Hand in Hand. Trauer ist der Preis der Liebe.“
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