Massensport Übersensibelsein

Wie man aus einem verzwickten Fürzlein eine schwere Krankheit macht und anderen damit auf die Nerven geht.

In seinem herrlichen Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ schrieb der wunderbare, ebenso weise wie humorvolle Psychologe und Verhaltensforscher Paul Watzlawick, wie man sich mit etwas gutem Willen selbst einreden kann, man leide an schrecklichen Krankheiten. Etwa, indem man auf (völlig normales) Flimmern im Gesichtsfeld oder (ebenso normales) Surren im Ohr möglichst genau achtet – wodurch diese „Störungen“ subjektiv immer schlimmer werden, solange, bis sie eine echte Beeinträchtigung der Lebensqualität darstellen und man sich einreden kann, man sei schwer krank.

Watzlawick ist 2007 gestorben und skandalöser Weise immer noch tot, aber es hat den Anschein, als würde seine – selbstverständlich ironisch gemeinte – Anleitung heute von immer mehr Menschen treu befolgt. Wir leben in der In-sich-Hineinspür-Gesellschaft, in der man beispielsweise so lange in den eigenen Bauch hineinhorcht, bis man ein verzwicktes Fürzlein zur Lactose-, Fructose- oder Sonstwas-Unverträglichkeit hochinszenieren kann. Vor lauter Übersensibelsein vergessen wir, dass ein gewisses Rumoren im Bauch einen völlig normalen Arbeitsnachweis des Verdauung darstellt. Spürt man hingegen gar kein Rumoren, ist es blöd – dann ist man vermutlich tot.

Ich kenne völlig gesunde Menschen, die mit leidender Miene solange Zwiebelstückchen, Gewürzfragmente und andere gefährliche Bestandteile aus ihrem Essen heraus lausen, bis am Ende nur noch drei matschige Kartoffeln übrig bleiben. Sie tun dies, weil sie Aufmerksamkeit haben und sich als Opfer inszenieren wollen – und ignorieren dabei die Tatsache, dass ihr Verhalten eine Verhöhnung all jener darstellt, die tatsächlich an Verdauungsstörungen leiden.

Beim nächsten Mal reden wir dann über: die unerträgliche Hitze.

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