Die Kultur der Grämlichkeit

Fühlt man sich besser, wenn man anderen eine Freude verbietet, die man selbst nicht empfinden kann?

Wir leben in einer Kultur der Grämlichkeit. Im öffentlichen Gedankenaustausch – der sich zum Beispiel in den sozialen Netzwerken abbildet – geht es mittlerweile 24 Stunden pro Tag darum, tatsächliche oder vermutete Verstöße gegen die politische Korrektheit zu ahnden. Voraussetzung für einen schönen Shitstorm, den Porno des Rechthabers, ist die Empörung. Daher sind die sozialen Medien riesige Empörungsproduktionsanstalten, in denen die Zwangsbeleidigten ihre Lizenz zum Betroffensein ausleben. Der Satiriker Dieter Nuhr beschreibt das so: „Das Internet ist zum Lebensraum der Dauerbeleidigten geworden, die immer einen Grund finden, anderen irgendetwas vorzuwerfen, um sich selbst moralisch zu erhöhen.“

Das geht so weit, dass man Empörung erntet, wenn man sich weigert, beim Empörtsein mitzumachen. Man gilt dann als kalt und gleichgültig gegenüber Klimawandel, Sexismus und Fußpilz. Und kriegt einen Shitstorm, weil man gegen Shitstorms ist.

Um in diesem System kein Risiko einzugehen, gibt es nur eine Möglichkeit: Man muss sich immer als Teil einer unterdrückten Minderheit konstruieren, und wenn man zu keiner gehört, muss man eine Minderheit konstruieren, die zu einem passt. Dies setzt die Bereitschaft voraus, sich ununterbrochen diskriminiert, beleidigt, gekränkt zu fühlen – man begibt sich in den Zustand der Dauergrämlichkeit.

Unlängst beklagte sich eine Frau auf Facebook bitter darüber, dass andere Freude über das Wetter geäußert hätten. Sie vertrage „die unerträgliche Hitze“ nicht, positive Bemerkungen über sommerliche Temperaturen seien eine Zumutung für sie: „Merkt niemand, wie rücksichtslos das ist?“ Kultur der Grämlichkeit: Man fühlt sich besser, wenn man anderen eine Freude verbietet, die man selbst nicht empfinden kann.

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