Eins und eins ist 154.978?

Die Wahrheit liegt meistens nicht in der Mitte.

Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, da galten Gelassenheit, Vernunft und die Verwendung des oben an uns dranmontierten Gehirns als Statussymbole. Heute ist es immer mehr Menschen aus dem Bekanntenkreis nicht mehr peinlich, aberwitzigen esoterischen Schwampf daher zu faseln. (Nein, ich werde jetzt keine konkreten Beispiele geben. Erstens ist die Schwampf-Produktpalette zu groß, um sie zu zitieren, zweitens habe ich keine Lust auf Diskussionen mit strenggläubigen Vertretern dieser oder jener Schwampf-Lehre.) Unlängst entdeckte ich im Regal einer Supermarktkette ein gängiges Lebensmittel, auf dessen Verpackung der Hinweis stand, es sei unter Verwendung eines (besonders lächerlichen) Schwampfprodukts hergestellt worden. Leider fehlte der Hinweis: „Achtung,kann Spuren von irrationalem Unfug enthalten“.

Der Boom des Irrationalen hat meiner Ansicht nach zwei Gründe. Einerseits wird hier das Vakuum, das die traditionelle Religion hinterlässt, mit Hokuspokus-Abfall von der Müllhalde des Aberglaubens gefüllt. Andererseits bietet das Internet den Zu-heiß-Gebadeten die Möglichkeit, einander in zwanglosen Selbsthilfegruppen gegenseitig Tipps zu geben, wie man noch heißeres Wasser einlassen kann.

Besonders perfid finde ich die Haltung, Vertreter des Schwampfs in TV-Studios gleichberechtigt neben Vertreter der Vernunft zu setzen, nach dem Motto „Die Wahrheit wird schon in der Mitte liegen“. Wenn die einen sagen, eins und eins ist zwei, und die anderen sagen, eins und eins ist 154.978 – dann liegt die Wahrheit nicht in der Mitte. Eins und eins ist nicht irgendwas zwischen zwei und 154.978, und schon gar nicht 77.488. Und es ist auch nicht nötig, darüber zu diskutieren oder eine Studie in Auftrag zu geben, wieviel zwei und zwei sein könnte.

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