Salonkönigin

Salonkönigin
Sie war die Muse der Belle Époque. Henri de Toulouse-Lautrec und Auguste Renoir malten sie, Marcel Proust und Jean Cocteau beschrieben die schöne Polin Misia Sert.

Musen, heißt es in der antiken Mythologie, sind die Töchter der Erinnerung. Die bildschöne gebürtige Polin Misia Sert war eine der berühmtesten Pariser Musen ihrer Zeit. Renoir verewigte sie in Öl, Marcel Proust in seiner „Suche nach der verlorenen Zeit“. Doch die betörende Tochter der Erinnerung begegnete dem Trubel um die Hoheit der Kunst entspannt und scherte sich wenig um den Erinnerungswert ihrer Künstlerfreundschaften: Gemälde von Bonnard soll sie nach persönlichem Geschmack zurechtgeschnitten, Skizzen von Toulouse-Lautrec achtlos weggeworfen haben. Ein Päckchen Proust-Briefe blieb aus Unlust an langwieriger Lektüre ungeöffnet, schrieben ihre Biografen Arthur Gold und Robert Fizdale. Misia Serts durchaus unkonventionelle Rechtfertigung: „Ich achte die Kunst nicht, ich liebe sie.“

„Sie war eine der betörendsten Erscheinungen der Belle Époque, ihre makellose Haut und formvollendete Figur, ihre lässige, raffinierte Eleganz, ihr Charme, Esprit und ihre Bildung regten Renoir, Édouard Vuillard und Toulouse-Lautrec zu berühmten Portraits der Mäzenatin an“, schreibt Rudolf Kinzel in der Haute-Couture-Bibel „Die Modemacher“ über Misia. Tatsächlich war Misia nicht nur für die Kunst, sondern auch für die Modewelt eine wichtige Inspiration. Als sie am 12. Oktober 1950 morphiumsüchtig und gebrechlich starb, wachten Paul Claudel, Jean Cocteau und Coco Chanel an ihrem Sterbebett.

Man nannte sie die Salonfürstin von Paris. „Misia“ muss eine hinreißende Ausstrahlung gehabt haben: Die Schriftstellerin Colette beschrieb Misia als „das polnische Mädchen, dessen Esprit jedermann in Bann zieht und das die ganze Stadt nur zärtlich beim Vornamen nennt“.

Misia Natanson am Flügel“ heißt das Gemälde, das Henri de Toulouse-Lautrec 1897 von Misia, damals noch verheiratete Natanson, malte. Sie war Muse, Modell und Förderin der Pariser Künstlerszene. Zu ihrem Freundeskreis zählten neben Toulouse-Lautrec auch Renoir und Bonnard.

Misia Sert wurde als Maria Sophie Godebska am 30. März 1872 geboren. Ihr Vater war der polnische Bildhauer Cyprian Godebski, ihre Mutter Sofia die Tochter des belgischen Cellisten Adrien-François Servais. Kindheit und Jugend verbrachte sie in Brüssel, Paris und London, wo sie noch auf den Knien von Liszt saß, um ihm etwas vorzuspielen. Musisch sehr begabt, erhielt Misa Klavierunterricht – sie wurde später eine ausgezeichnete Musikerin.

Und sie muss ein rebellisches Mädchen gewesen sein. Mit ihrem Vater und dessen neuer Frau kam sie nach Paris und wurde in eine Klosterschule gesteckt, aus der sie, vierzehnjährig, ausbrach und nach London floh. Aus Trotz heiratete Misia mit gerade einmal fünzehn Jahren ihren Cousin Tadeusz Natanson. Der war Herausgeber der tonangebenden, aber chronisch unterdotierten Zeitschrift „La Revue blanche“. Bei ihm fand Misia wieder, was sie bei ihrer Großmutter kennengelernt hatte: ein offenes Haus für Künstler. Sie wurde zum Edelgroupie der Kunst-Moderne bis in die Zwanziger. Zu ihrem Freundeskreis zählten die Maler Henri de Toulouse-Lautrec, Pierre-Auguste Renoir und Pierre Bonnard, später auch Pablo Picasso. Sie machte Bekanntschaft mit den Schriftstellern Émile Zola, Marcel Proust, André Gide und Jean Cocteau, mit dem Sänger Enrico Caruso, mit den Musikern Claude Debussy, Maurice Ravel und Igor Strawinski.

Damals war sie eine begabte Pianistin und beliebte Gastgeberin. Aber zum Star von Paris wurde sie erst in ihrer nächsten Ehe mit dem millionenschweren Pariser Zeitungskönig Alfred Edwards, dem in Paris Theater, Casinos und Zeitungen gehörten. Edwards soll ein Lebemann mir recht aggressivem Charme gewesen sein, der Misia auf einer Reise im Orient-Express bis nach Wien nachstellte. Später betrog er sie mit einer Pariser Schauspielerin. Mit Edwards' Geld und Einfluss im Rücken wurde Misia zur Mäzenin, die Maurice Ravel und Igor Strawinski, Marcel Proust, André Gide und Jean Cocteau unterstützte, die mit Arthur Rubinstein und Enrico Caruso plauderte und die zur größten Förderin wie Verteidigerin der Ballets Russes von Sergei Djagilew mutierte.Tänzer, Maler und Dichter bewirtete sie mit Champagner oder, im Falle Prousts, mit heißer Schokolade. Der dankbare Strawinski schenkte ihr eine Partitur des „Sacre“-Balletts, Ravel widmete ihr sein Orchesterpoem „La valse“.

Misia war eine Frau von erlesenem Geschmack und immer nach dem letzten Schrei gekleidet. Dafür sorgte Coco Chanel, mit der sie eine 30 Jahre lange Freundschaft verband. Misia und Coco hatten einander 1917 bei einem Dinner kennengelernt und Misia half, die „Putzmacherin“ in Paris bekannt zu machen. Gerüchten zufolge soll sie auch an der Erfindung von Chanels Parfum N°5 beteiligt gewesen sein.

1920 heiratete Misia den katalanischen Modemaler José Maria Sert, dessen Maitresse sie schon seit 1908 gewesen war. Sie bezeichnete ihn später als ihren „liebsten Mann“. Ihn, die Liebe ihres Lebens, musste Misia mit einer Georgierin teilen, welche er dann 1925 ehelichte. Doch Misia und José blieben einander ihr Leben lang verbunden. Nach seinem Tod 1945 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlosch der Glanz der einstigen Salonlöwin. Drogensucht, Depression und Finanzprobleme plagten sie, die Protagonisten ihrer Kunstwelt waren fort. 1945 starb José Sert in seiner Heimat Spanien. Misia schrieb an Chanel: „Mit seinem Tod verlor mein Leben jeden Sinn.“

Misia Serts Faszination ist bis heute ungebrochen: Magazine benennen Fotostrecken nach ihr und das Pariser Musée d'Orsay widmete der Salonfürstin erst im vergangenen Jahr eine Hommage. Die Porträts, die Pierre Bonnard, Henri de Toulouse-Lautrec oder Auguste Renoir von der hinreißenden Mäzenin und Muse anfertigten, zeugen von ihrer unwiderstehlichen Aura: Sie war, so auch der Titel der Schau, „Die Königin von Paris“.

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