Macht und Ohnmacht
Sie waren einander so nah wie nie zuvor. Die Kennedys. John F., Jackie, die Kinder Caroline und John-John. Es war das Jahr 1963, ein Sommer, so leicht und unbeschwert. Der letzte Sommer, den die Familie gemeinsam verbrachte – vor dem Attentat auf den Präsidenten in Dallas am 22. November. Und ein Sommer, in dem die Familie einen Schicksalsschlag verkraften musste, der sie umso mehr zusammenschweißte.
Jacqueline Kennedy hatte ein wunderbares Ferienhaus in Hyannis Port auf Cape Cod, südlich von Boston, entdeckt. Endlose Strände, hier verbrachten die Kennedys traditionell ihre Ferien. Doch dieses Jahr hatte sie einen Platz ein wenig abseits des Quartiers der übrigen Großfamilie gefunden, ein riesiges Haus am Ende der Halbinsel. Ruhig und direkt am Strand. Eigentlich hätte sie das Haus kaufen wollen, doch der Preis war so exorbitant, dass sie es sich anders überlegte.
Es waren Ferien wie aus dem Bilderbuch. Jackie, damals 34, strahlte vor Glück. Sie war schwanger und bereitete alles für die Geburt ihres dritten Kindes vor. Mit ihrem fünfjährigen Töchterchen Caroline und dem knapp dreijährigen John-John verließ sie schon Anfang Juli das Weiße Haus in Washington. Der Präsident kam an den Wochenenden nach. Kennedy kletterte mit seiner schmalen Krokoleder-Aktentasche unter dem Arm aus dem Navy-Helikopter, einen Strauß frischer Rosen aus dem Garten des Weißen Hauses in der Hand. Die Geheimdienst-Bodyguards, die ihn begleiteten, konnten nicht verhindern, dass die Kinder zu ihm stürmten und sich an ihren Daddy hängten.
In Hyannis Port wurde John F., der Präsident der Vereinigten Staaten, zu Jack, dem Familienmenschen. Als ob es seine zahlreichen Affären mit Stars und Starlets nie gegeben hätte. In der Früh blieben seine Frau und er lang im Bett. Dann schnappte Kennedy seinen Sohn, packte ihn in sein Cabrio und fuhr mit ihm in den Ort, ging Eis essen oder kaufte ihm kleine Geschenke. Im November stand der dritte Geburtstag John-Johns bevor. Währenddessen begleitete Jackie ihre Tochter Caroline zum Reiten. Pony Macaroni, eine Geschenk von Vizepräsident Lyndon B. Johnson, der eine Ranch in Texas besaß, wurde gesattelt. Jackie, wie die Fünfjährige eine leidenschaftliche Reiterin, war aber diesmal nur Zuseherin. Sie musste sich wegen ihrer Schwangerschaft schonen. Ansonsten waren die Ausritte das Damenprogramm. Der Präsident konnte wegen seiner chronischen Rückenschmerzen nicht mitmachen.
Obwohl Kennedy trotz etlicher Operationen unter Dauerschmerzen litt, ließ er sich in diesem Sommer nichts davon anmerken. Immerhin schafften es die Ärzte, dass er sich so gut wie schon lange nicht fühlte. Ein paar Mal wagte er sich sogar auf den Golfplatz von Hyannis Port und spielte zumindest ein paar Löcher mit Lem Billings, einem Freund seit Jugendtagen und Pierre Salinger, seinem Pressesprecher und engen Berater.
Am wohlsten fühlte sich die Familie allerdings auf dem Wasser. Beim Schwimmen sowieso, aber vor allem auf der Yacht „Honey Fitz“. Mit der 93 Fuß langen Motoryacht schipperten sie vor Cape Cod, JFK mit seinen dichten, vom Wind zerstrubbelten Haaren, alle mit goldbraun schimmernder Haut. Die Kinder plantschen gemeinsam mit ihren Cousins und Cousinen, die Erwachsenen fahren Wasserski. Nur die Frau des Präsidenten schont sich – ihres ungeborenen Kindes wegen.
Große Nähe: Jedes Wochenende kommt der Präsident zu seiner Familie nach Hyannis Port. Es ist der letzte Sommer, den die Kennedys gemeinsam verbringen.
Die Tragödie dieses Sommers kam am 7. August, einem Mittwoch. Caroline ritt auf Pony Macaroni, Jackie passte auf sie auf. Plötzlich setzen die ersten Wehen ein – um mehrere Wochen zu früh. Sofort wird die Schwangere mit dem Navy-Helicopter zur Air Force Base Otis auf Cape Cod geflogen. Die Ärzte bereiten alles für einen Kaiserschnitt vor. Das Risiko ist groß: Jackies erste Tochter Arabella, ein Frühchen, starb 1956 bei der Geburt. Und John-John, der ebenfalls viel zu früh kam, litt als Baby an einer schweren Atemwegserkrankung.
Der Präsident wird – entgegen dem Wunsch seiner Frau verständigt. Die knappe Antwort von Dr. Janet Travell, der Hausärztin der Familie, wie die Chancen des Babys stehen: „Fifty-fifty.“
Kennedy will zu seiner Frau, und weil die Air Force One just zu diesem Zeitpunkt nicht verfügbar ist, wird ein Privatjet gechartert. Als JFK im Krankenhaus eintrifft, ist sein Sohn bereits auf der Welt. Nur 2,1 Kilogramm schwer und mit schwersten Atemproblemen. 36 Stunden dauert der Kampf um das Leben von Baby Patrick. Seiner Mutter verschweigen die Ärzte, wie ernst die Lage ist. Der Präsident verbringt die Nacht an Patricks Bettchen, hält seine winzige Hand. Doch am Morgen des 9. August verliert das Baby seinen Überlebenskampf.
Einige Tage später kehren die Kennedys nach Hyannis Port zurück. Und versuchen ihren Kindern einen unbeschwerten Sommer vorzugaukeln. Beim kleinen John-John funktioniert das. Er erfasst den Kummer seiner Eltern nicht. Doch Caroline leidet mit Mummy und Daddy, darüber können auch die Bootsausflüge und die gemeinsamen Spiele nicht hinwegtäuschen. Ein wenig Trost findet sie beim Kuscheln mit den Welpen Wolfie und Shannon, die Kennedy aus Irland mitgebracht hat.
Der Präsident will Kraft tanken für den Präsidentschaftswahlkampf. Die Umfragen sehen ihn weit vor seinem Konkurrenten Barry Goldwater, auch wenn ihn sein Einsatz für Farbige und Bürgerrechte einige Sympathien gekostet hat. Wahlkampfauftakt ist in Dallas, Texas, einer Hochburg der Republikaner.
Am 22. November 1963 um 12.30 Uhr wird Kennedy von Lee Harvey Oswald erschossen. Ein Tag, der Amerika und die Welt verändert hat.
Die „Honey Fitz“ war der Schauplatz unbeschwerter Ferientage der Kennedys. Auf dem offenen Backbord-Deck fand das Familienleben der Großfamilie statt. Kinder spielten, Erwachsene feierten Partys. „Honey Fitz “ lautete der Spitzname von John F. Fitzgerald. Er war Bürgermeister von Boston und JFKs Großvater. Die 93 Fuß lange Motoryacht aus Holz, 1931 als Luxuskreuzer gebaut, wurde im Zweiten Weltkrieg als Küstenpatrouille-Boot eingesetzt. Insgesamt diente sie fünf US-Präsidenten: Truman, Eisenhower, JFK und danach Johnson und Nixon. 1989 kaufte sie ein Ölmilliardär um 5,9 Millionen Dollar. Zwei Jahre lang wurde sie hergerichtet und rechtzeitig zur Wiederkehr von Kennedys 50. Todestag fertig. Vergangenen Sommer tuckerte sie auf Charity-Tour von Hafen zu Hafen.
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