Glückskinder

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Gleichzeitig glücklich zu sein, soll bei Paaren den Stress senken, sagen Forscher. Bei uns passiert das nur gelegentlich – dann aber umso wirkungsvoller.

Sie

Neulich beim Sonntagsfrühstück: Der Mann gegenüber hauchte, er sei irgendwie glücklich. Ich schaute ihn fragend an. Ah, eh klar: FC Barcelona hat gewonnen und das Croissant war knusprig an der richtigen Stelle. Außerdem lockte nachmittags die deutsche Bundesliga-Konferenzschaltung. Und ich? Ich war auch glücklich: Weil ich eine neue Kuscheldecke besitze. Material: offiziell „Kaschmir-Mix“, gefühlt eher „Dresscode Polyester“. Farbe: laut Shop „Zimt und Zucker“, real eher „Hafergatsch mit Ambitionen“. Wurscht. Ich liebe sie. Trotzdem. Oder gerade deshalb. Wir lächelten. Zwei Sekunden Gleichklang.

Hast du das gesehen?

Jetzt kommt die Wissenschaft und behauptet, solche Augenblicke könnten gesünder machen. Eine Psychologin hat Paare eine Woche lang fünfmal täglich gefragt, wie gut sie drauf sind, danach mussten sie in ein Röhrchen spucken. Ergebnis: Wenn zwei zur selben Zeit Glück erleben, sinkt der Cortisolspiegel. Körper entspannt, Herz zufrieden. Klingt wunderbar, aber auch nach einem Konzept, das sich Leute ausdachten, die noch nie gemeinsam einen IKEA-Pax aufgebaut haben. Außerdem: Was ist schon Glück? Es hat viele Gesichter – was auch bei uns zu beobachten ist. Gehoben-euphorische Stimmung ist bei ihm zuverlässig garantiert, sobald irgendein Typ namens Gavi, Pedri oder dieses Jahrhunderttalent, du würdest ihn lieben, wenn du ihn nur kennen würdest! den Ball berührt. Dann ruft er Sätze wie: Bitte, hast du das gesehen? Pure Magie! Er sieht Weltkultur, ich sehe lediglich: Männer, die rennen. Seine zweite unverzichtbare Glücksquelle: Essen. Wenn etwas knuspert, bekommt er Gänsehaut und Augenglanz. Bei „hausgemachter Mayo“ erreicht er eine Art höheres Bewusstsein. Meine Glücksmomente? So viel unspektakulärer, nahezu bescheiden. Weihnachtsdeko, etwa. 150 LED-Lämpchen können mich in Euphorie versetzen. Synchron ist da nix. Vielleicht ist die Wahrheit ja viel simpler: Wir müssen nicht dasselbe lieben. Es reicht, wenn wir uns anschauen und kurz denken: „Du spinnst komplett, aber genau das mag ich an dir so sehr.“ Vielleicht ist das der Moment, in dem auch das Cortisol kapituliert.

gabriele.kuhn@kurier.at / facebook.com/GabrieleKuhn60

Er 

Dem Philosophen Erasmus von Rotterdam wird die Erkenntnis zugeschrieben: „Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit.“ Diese besitzt zwar durch die Verwendung des Begriffs „gewissen“ eine ziemliche Unschärfe (wie sehr trifft das Zitat wohl auf unsere Ehe zu?), dennoch darf ich im Sinne meines Verücktheitsgrads konstatieren: Ich empfinde schon tiefste Zufriedenheit, wenn meine Frau in einem Disput auf diesen Satz verzichtet: Es gibt eine Studie, die belegt … Weil’s mich narrisch macht, wenn meine Wahrnehmungen oder Bedürfnisse durch irgendwelche Befragungsergebnisse relativiert werden. Mühsamer finde ich nur noch: Ich habe sicher mehr Bücher zu dem Thema gelesen als du. Am zermürbendsten: Meine Freundinnen sehen das so wie ich. Ihr Verzicht auf solche Interventionen erzeugt bei mir mindestens so viel Serotonin wie ein Cordon Bleu mit doppelt Käse. Sollte ihr noch ein Okay, da hast du recht rausrutschen, kann man fast von einem Glücksrausch sprechen. Dann offenbare ich zur herzlichen Synchronisation des Dialogs  gerne meine Dankbarkeit … und nehme als Augenrollen-Prophylaxe bewusst Abstand von Formulierungen wie: „Es ist, wie es ist.“ Oder: „Schau’ma mal.“ Sowie: „Nicht böse sein, das ist mir zu banal.“

Glanz in den Augen

Stattdessen überlege ich mir, welche meiner Worte ich am ehesten in Glückskeksen verstecken würde, um gnä Kuhn Fröhlichkeit zu bescheren. Meine Top 5 sind: „Lass’ uns einen französischen Problemfilm anschauen, ich verzichte auf Paderborn gegen Darmstadt.“ „Ich hol’ dir die Wollsocken.“ „Ich kümmere mich um den Reifendruck deines Autos.“ „Ich kann die Massage-Sehnsucht deiner Füße spüren.“ „Bleib’ sitzen, ich such’ selber.“  Am Ende bewirken kleine Aufmerksamkeiten Großes. Und wenn mir gnä Kuhn mit diesem adventlichen Glanz in den Augen zeigt, welches Teelicht-Laternderl (Nr. 31) und welche Duftlampe (Nr .19) sie gerade erstanden hat, dann könnte ich sagen: „Bist du eigentlich noch bei Trost?“ Oder aber alternativ: „Das bist so du – wie schön, dass es deinen gewissen Grad an Verrücktheit in meinem Leben gibt.“.

michael.hufnagl@kurier.at / facebook.com/michael.hufnagl9 

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