Sehnsucht nach Ruhe
Das gilt auch für das Weihnachtsfest: Sechs von zehn Österreichern feiern es gerne, hat eine Marketagent-Umfrage ergeben, bei den Jungen zwischen 14 und 29 ist die Feierlaune groß. Krippe, Christbaum, Weihnachtskekse und ein „Stille Nacht“ gehören ebenso dazu wie das traditionelle Familienessen. „Trotz aller Kritik, dass
Weihnachten zunehmend kommerzialisiert wird und es eine kleine Minderheit gibt, die sich bewusst weigert, zu feiern, ist es immer noch das große Familienfest geblieben. Dafür sind Menschen bereit, Hunderte Kilometer zurückzulegen, um ihre Familie zu besuchen“, sagt Frey.
Die Lust auf das Fest ist mit der Sehnsucht nach Entschleunigung, Ausatmen und Abschalten verknüpft. „Daher bleibt
Weihnachten, trotz Stress, Globalisierung und anderen Veränderungen ein Fest, das eher an Bedeutung zu- als abgenommen hat“, sagt Frey. Das weiß er auch aus der Praxis. Wenn er seine Masterstudenten fragt, warum sie sich auf
Weihnachten freuen, bekommt er folgendes zu hören: „… weil ich die Familie wieder sehe, ... weil ich mich auf Kekse, Kerzen und Gespräche freue, ... weil ich von der Mama was Tolles zu essen bekomme.“ Was für den Sozialpsychologen allerdings neu ist: „Dass es noch nie so eine Tendenz gab, sich während der Adventzeit zu treffen.“ Vorglühen mit Punsch heißt das Adventritual der Gegenwart.
Moderne Rituale
Ritual meint ein „wiederholtes, immer gleichbleibendes, regelmäßiges Vorgehen nach einer festgelegten Ordnung“ – ein zeitloser Begriff, dem der Mensch immer wieder neue Facetten hinzufügt, auch wenn viele Rituale über Generationen hinweg weitergegeben werden. Das Thema „Gemeinschaft“ nimmt bei den angesagten Ritualen der Generation Y und Z tatsächlich eine zentrale Rolle ein, so Frey. „Es finden 8er- bis 10er-Gruppen zusammen, die sich wöchentlich treffen, teilweise auch in Form von Saufgemeinschaften. So genannte Alumni-Treffen werden ebenfalls immer beliebter“, sagt er.
„Rituale sind nicht immer nur positiv“, sagen die Psychologen
Katja Mayr und Dieter Frey außerdem: „Manche können die positive Veränderung von Zuständen blockieren oder sogar die Menschenwürde verletzen.“ Als Beispiel nennen sie etwa Initiationsriten. Im besten Fall können Rituale aber der Ausgangspunkt für eine bessere Welt sein – daher verändern Menschen sie oder lassen sich neue Rituale einfallen. So haben sich im Zuge des Yoga-, Meditations-, und Achtsamkeitsbooms zahlreiche neue Rituale etabliert – sich etwa in Dankbarkeit zu üben, zu verzeihen oder Frieden zu schließen. Angesagt sind auch Morgenrituale – als „Lichtfigur“ gilt hier Robin Sharma, der die Fans seines „5-Uhr-Club“-Konzepts inspiriert, die Zeit morgens zwischen 5 und 6 Uhr für sich zu nutzen und das neurowissenschaftlich untermauert. Auch das Tagebuch–Schreiben erlebt derzeit ein Ritual-Revival: „Neben dem klassischen Papiertagebuch haben sich, der Digitalisierung geschuldet, neue Tagebuchformen wie Online-Tagebücher, öffentliche Tagebuch-Blogs oder -Apps entwickelt“, heißt es in „Psychologie der Rituale und Bräuche“.
In gewissen Situationen können Rituale also eine Art Lebenshilfe sein. Dann spenden sie Mut, Hoffnung oder aber Lebensfreude.
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