Hans Wurst

Eine Koryphäe der Deutschen Volkskomödie. Franz Schuch als Hanswurst.
Song-Contest-Teilnehmer Conchita Wurst kennt jeder. Wer aber erfand vor 250 Jahren den Hans Wurst? Eine österreichische Theaterfigur als Groteske unter öffentlicher Beobachtung. - von Hans Magenschab

Es ist ganz offensichtlich so, dass in Österreich jede Generation ihren typischen Theaterskandal hervorbringt – und Spielchen innerhalb wie außerhalb der imposanten Musentempel eifrig gehegt und gepflegt werden. Zuletzt traf es den Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann – einen selbstbewussten Bühnenmenschen, zu dessen Hinauswurf sogar der heimische Kulturminister herbeieilte. Mehrere Jahre zuvor war der wortgewaltige Claus Peymann mit Hilfe des deutschen Boulevards und des Polemikers Thomas Bernhard gegen die barock-katholischen Österreicher angetreten. Alles aber reicht noch weiter zurück – und zwar in das Jahrhundert von Kaiser Franz Joseph. Als ihn seine Sissi aus dem Ehebett hinauswies, verliebte er sich just in eine Schauspielerin vom BurgtheaterKatharina Schratt. Der Sittenskandal war allerdings halb so groß wie die Aufregung, dass der Kaiser die Casinoschulden der „Gnädigen Frau“ bezahlte.

In dieser Zeit sprachen in der k.u.k. Welt die Unter- und Oberschicht bereits verschiedene Sprachen, Grundlagen für einen spezifischen „Hamur“. Und doch ist auch das nicht jüngeren Datums, sondern stammt aus der Zeit von Hetz, Gaudi und Gspaß: Wenn zum Beispiel etwas in Wien schief läuft, dann ist das bis heute ein Gwirx oder Tohuwabohu. Ein hinzugefügtes „Jessas“ relativiert die Tatsache, dass einer immer das „Bummerl“ hat. Ein „Halawachl“ zu sein, verspricht das Glück auf einer „gmahten Wiesn“. Aber ewig droht der liebe Augustin: „Alles is hin“.
Ernst Klimts Austriazismen sind geradezu unerschöpflich; noch immer. Aber woher stammt der ausgeprägte Wunsch nach dem Dialekt? Bühnendeutsch ist heute bei den Österreichern eher verpönt; das k.u.k.-„Näseln“ so gut wie ausgestorben. Und selbst die überzeugtesten Super-Österreicher müssen zugeben, dass die Qualität der Rhetorik zwischen Nordsee und Main sowieso besser entwickelt ist als das Stammeln in österreichischen Landtagen.

Der Hintergrund: Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts strömten unglaublich viele Aufstiegswillige, Änderungsbereite und Abenteurer in die Monarchie. So der steirische Bauern-Sohn und Komponist Johann Joseph Fux, der aus Bayern ins österreichische Kronland Böhmen eingewanderte Förster-Sohn und Musicus Christoph Willibald Gluck; der Friseur-Sohn Antonio Vivaldi aus dem Venezianischen, der böhmische Musiklehrer Florian Gassmann – Sohn eines Goldschmieds. Nicht zu vergessen das sechsjährige Wunderkind Mozart, das Maria Theresia selbst am 13. Oktober 1762 ihrer Familie und dem Hof vorstellte. Aber auch der „Wolferl“ kam aus keiner „Oberschicht“ – vielmehr fanden sich Maurer, Baumeister, Buchbinder und Berufsmusiker unter den Ahnen. Die hochbegabten Haydn-Brüder wiederum halfen dem Vater in Rohrau beim Zimmern von Fuhrwerken, die man über die Leitha transportierte. Wien, das war also unter Maria Theresia im 18. Jahrhundert ein unglaublicher „melting pot“ für die interessiertesten Schriftsteller, Librettisten, Textautoren, Buchhändler etc. aus halb Europa. Ihr Sohn Joseph II. konzentrierte sich hingegen stark auf das, was wir heute Gesellschaftspolitik nennen; und das mit Hilfe der diskret agierenden Freimaurerlogen. Aber auch er versuchte die literarischen wie musikalische Genies nach Wien zu lotsen – waren sie Freigeister, war ihm das doppelt erwünscht.

Dabei war er trotz der vielen Sprachen, die er beherrschte, ein vehementer Befürworter des Deutschen; nicht aus nationalistischen Gründen, sondern wegen der Probleme der Bühnen, Behörden, Gerichte und Schulen mit der Vielsprachigkeit. So gründete 1776 Joseph II. anstelle des Ballhauses der Hofburg auch das „Teutsche Nationaltheater“. Das Ziel: Die bedeutendste deutschsprachige Bühne zu schaffen. Zu diesem Zeitpunkt war das Volks- und Bauernspiel auf fahrbaren Kleinbühnen im rapiden Vormarsch begriffen; oder anders: Hanswurst war nicht mehr aufzuhalten. Eine Handvoll verkleideter Schauspieler hüpfte, krakeelte und polemisierte gegen die „Zuaständ“ – und das landauf, landab. Es war eine Art Klassenkampf auf offener Bühne, deftig, skurril, witzig – und wohl durchaus gerecht. In gewissem Sinn ein vordemokratisches Bürgerparlament. Denn die Hanswurste waren nicht nur dem Spott und der Satire verpflichtet, sondern auch Musikanten, Puppenspieler – sowie Mediziner. Unter dem Hallo der Zuhörer ließen sich die Zähne besser ziehen und die Chirurgie erträglicher anwenden. Als Weinhändler hatten die Hanswurste auch noch gleich ein Beruhigungsmittel zur Hand.


Berühmte Hanswurste waren der aus Knittelfeld stammende Josef Stranitzky, sein Schwiegersohn Gottfried Prehauser, der aus dem alten Ostseehafen Danzig auftauchende Franz Schuch und Philipp Hafner. In der Tracht der Bewohner des Salzburger Lungau zogen sie mit roter Jacke, blauem Brustfleck und einem grünen Herz durchs Land. Sie trugen weite Hosen und breite Krägen – alles wurde zusammengehalten durch grüne Hosenträger und geschmückt durch ein grünes Spitzhütl, das schließlich zum markantesten Kennzeichen wurde. Außerdem: ein hölzernes Schwert, genau genommen: ein Prügel.

In Italien reifte gleichzeitig aus der Commedia dell’arte große Literatur: Carlo Goldoni, ein Festland-Venezianer, Jurist in Padua, wurde ins elegante Paris berufen, ein Zwischenleben führten Kunstfiguren wie der französische „Pierrot“ und der russische Hanswurst Petruschka – bis sich ein ganz Profunder in den politisch gewordenen Streit einschaltete: Johann Wolfgang Goethe. 1775 verfasste nämlich der spätere deutsche Dichterfürst eine sogenannte Farce über „Hanswursts Hochzeit oder der Lauf der Welt“. Das Stück war voll von derben Späßen, üblen Anspielungen, trivialem Humor und jeder Menge von Fäkalausdrücken. So hießen Goethes Figuren zum Beispiel Hans Arsch von Rippach, Kilian Brustfleck, Peter Sauschwanz, Matz Fotz von Dresden … Beendet hat der Dichter den Sprach-Spaß allerdings nicht, hatte er sich doch mit Lili Schönemann verlobt, der Tochter eines Frankfurter Bankiers – um noch vor Jahresende das Verlöbnis wieder aufzulösen. So fragen sich die Germanisten bis heute: Identifizierte sich Goethe mit dem Hanswurst der kleinen Leute – oder war er zu den Vornehmen übergetreten? Jedenfalls: Ein Jahr später wurde Goethe am Hof des Erbprinzen Carl August von Sachsen Weimar zum Geheimen Legationsrat bestellt und einige Zeit später geadelt – von niemand anderem als Kaiser Joseph II. im fernen Wien.

Der josefinische Habsburgerhof hatte sich allerdings gehörig über den dümmlichen Streit der Hanswürste geärgert, gab es doch immer wieder Berichte über Übelstände und Handgreiflichkeiten zwischen den Schauspielern, dem einfachen, vielfach analphabetischen Volk und einer auf den Kaiser eingeschworenen Obrigkeit. Also erließ der Reformkaiser schließlich im letzten Jahr seiner eigenen Regierungszeit ein „Handbillet“ über die „Stegreifkomödien und possenartigen Hanswurstspiele“. Der Hintergrund: Die Französische Revolution war in Paris ausgebrochen, ein drei Jahrzehnte langer Krieg – und zwar ein echter – hatte begonnen. Und der große klassische Dichter Deutschlands – nämlich Gotthold Ephraim Lessing – war bald so ehrlich zu erklären: „Ich war gegen die Wiener Bühne eingenommen; doch sie ist besser als alle anderen, die ich kenne“. Das mag auch dem Wiener Theaterdirektor Emanuel Schikaneder aufgefallen sein, als er Mozart das Libretto der „Zauberflöte“ in die Hand drückte. Papageno war darin der primitive Hanswurst in Überall-Land, Tamino hingegen der hochdeutsch parlierender Prinz der höheren Lebensart …


Aus dem Streit um den Wiener Hanswurst – sein Verbot und sein Engagement – sollte jedenfalls ein starker Impuls für die weitere Kulturstadt Wien ausgehen. Für Johann Nestroy und Ferdinand Raimund war die Welt des Hanswurst der eigentliche Humus der anschließenden Biedermeierkultur. Denn was bleibt, ist immer die Kunst. Auch die der Conchita.

Kommentare