Gipfelruh
Seine Heimat sind die Berge. Genauer gesagt die Hochwildalmhütte in Aurach, in knapp 1.600 Meter Seehöhe. Viereinhalb Monate, von Anfang Juni bis Mitte Oktober, hat Wolfgang Feiersinger keinen einzigen Tag frei. Diese viereinhalb Monate ist er Almwirt hoch über Kitzbühel. Die gute Seite seines Jobs beschreibt er so: „Da bin ich mein eigener Herr und keiner kann mir in die Suppe spucken.“
Vor vier Jahren hat Feiersingers Leben sich komplett geändert. Der gebürtige Salzburger hat 46-mal als Verteidiger für die österreichische Fußball-Nationalmannschaft gekickt und bei Borussia Dortmund Karriere gemacht. Heute sagt er: „Fußball interessiert mich nur noch peripher.“ Überhaupt der österreichische. In seiner Hütte steht zwar ein Fernsehapparat, doch der wird kaum aufgedreht. „Nach meiner Fußballerkarriere habe ich die Liebe zur Natur entdeckt und bin viel in die Berge gegangen. Hier zu arbeiten, ist wunderschön.“
Es gibt auch andere Tage, etwa nach einem Wochenende, wo auf der Hütte der Bär los war und der Betrieb am Montag weitergeht, um am kommenden Wochenende einen neuen Höhepunkt zu erreichen. Der 48-Jährige managt den Hüttenbetrieb – es gibt zehn Schlafplätze – ohne Angestellte gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, die neben ihrem „Zivilberuf“ bei einer Fluglinie 20 Tage pro Monat gemeinsam mit ihm auf der Hochwildalm verbringt. „Die Gefahr ist groß, dass man sich da gegenseitig auf die Füße steigt. Natürlich gibt es manchmal Tage, wo man alles hinschmeißen will.“
Doch dann überwiegt wieder die Freude. Deshalb sperrt er in der Wintersaison ebenfalls drei Tage pro Woche auf. Für die Skitourengeher. Denn Kitzbühel ist zwar nah, doch Feiersingers Hütte liegt weit entfernt von den übervölkerten Skipisten.
Auch Silvia Huber hat eine recht realistische Einschätzung ihres Arbeitsplatzes im Hans Berger Haus im Kaisergebirge hoch über Kufstein. „Das ist hier nicht wie im Heidi-Film. Das ist ein knallharter Job, viel härter als in der Gastronomie, aber auch viel schöner.“
Mit sechs Jahren ist Huber mit ihren Eltern hierhergezogen, heute ist sie 50, die Chefin und betreibt auch die von ihrem Vater gegründete Bergsteigerschule weiter. Seit fünf Jahren gibt es eine Talanbindung zu ihrer Hütte. „Das hat alles viel einfacher gemacht. Wir sind hier sehr einsam und im Abseits gelegen.“ Früher gab es nur eine Materialseilbahn, die zwei Mal pro Woche vormittags in Betrieb war und das ganze Kaisertal versorgen musste. Was da nicht herantransportiert werden konnte, musste heraufgetragen werden.
Silvia Huber und Wolfgang Feiersinger sind zwei von 475 Hüttenwirten im Land – als Pächter der drei großen alpinen Vereine: Alpenverein, Naturfreunde und Touristenklub. Sie machen ihren Job zwischen Kaiserschmarren und Matratzenlager überall dort, wo Österreich ganz besonders schön ist. „Mit naiven Träumen vom romantischen Leben in den Bergen hat das aber nichts zu tun“, sagt Peter Kapelari, Hüttenreferent des Österreichischen Alpenvereins und zuständig für Hütten und Wege. Gefragt ist ein Multitalent. „Dass der Pächter ein guter Koch und Wirt sein muss, ist klar. Aber er muss auch Kläranlagenwärter, Elektrotechniker, der selbst Reparaturen bewerkstellige kann, Bergführer, Kenner der Region, Psychologe und Wegewart sein“, sagt Kapelari. Und ein lustiger Kampl, der die müden Wanderer bei Laune hält, sollte er obendrein sein.
An Gästen mangelt es nicht, seit Wandern auch bei jungen Menschen immer beliebter wird. Familien mit Kindern, denen es nach zwei Tagen egal ist, wenn die Batterien ihres Nintendo-Spiels leer sind. Oder eine Gruppe von Freunden, die draufkommen, dass nach einer Woche in den Bergen der Kopf frei ist und der Körper trotz der Anstrengung ausgeruht. Meist jedenfalls ausgeruhter als der Hüttenwirt am Ende eines anstrengenden Sommers. Wer trotzdem sein Glück versuchen will: Das Roseggerhaus der Naturfreunde auf der 1.588 Meter hohen Pretul in der Steiermark sucht einen neuen Pächter – ab November.
Es ist ein Hilferuf der alpinen Vereine. Sie betreiben 475 Schutzhütten mit 25.000 Schlafplätzen und halten 50.000 Kilometer Wege instand. Die meisten Hütten sind zwischen 100 und 150 Jahre alt, viele müssen saniert werden. Das wird zum Großteil aus den Mitgliedsbeiträgen der Vereine finanziert, ein Teil aus öffentlicher Förderung. Die öffentlichen Mittel betrugen vor zehn Jahren 2,18 Millionen Euro, heute sind es nach zweimaliger Kürzung nur noch 1,5 Millionen Euro jährlich. Das überfordert die Budgets der Vereine trotz steigender Mitgliederzahlen. Um ihrem Hilferuf und ihrer Forderung nach 4 Millionen Euro Förderung Gewicht zu verleihen, haben sie die Petition „PRO Hütten und Wege“ aufgelegt.
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