Gerhard Polt: Ein Abziehbild der Realität

Gerhard Polt: Ein Abziehbild der Realität
Gerhard Polt, 71, bayerischer Meister des langsamen Wortwitzes, kurbelt wieder an den Kinokassen. Als Amateurfilmer Hans Pospiech, verrannt in die Heimatkunde von Hitler privat. Und Äktschn! Der Film hatte Ende Jänner im Gartenbaukino Premiere.
Von Ro Raftl

Also wenn ma den Krieg nicht g’habt hätten, hätten wir ja diese ganzen Aufnahmen nicht.“Klar? Die ganzen Krach-Bumm-Spektakel von der „Acht-Acht“, wie der deutsche Landser die 8,8 cm Flak genannt hat. (Für völlig Vernagelte: DAS Geschütz im Zweiten Weltkrieg). „Da ist jede Explosion ihr Geld wert!“ Pro Pumperer 50 Euro, verhandelt Hans Pospiech sein Erbe mit dem glücklich grinsenden Fachmann, der an der Skype-Line hängt: „Die Kamera, mit der mei Vater alles gedreht hat, ist das Letzte, was ich von meinem Vater hab.“Und Äktschn! Gerhard Polt, der Meister des langsamen Wortwitzes, hat einen neuen Film gedreht, einen langsam mäandernden Film, der Geschichten ineinander verschachtelt wie Tupperware. Für die örtliche Sparkasse ist Amateurfilmer Pospiech ein klarer Risikofall. Die Frau, auf seinem Handy als fletschender Schäferhund markiert, schaut nur noch als Schatten hinterm leicht gelüpften Spitzenvorhang auf den Parkplatz, wenn die Ohrenklappenwollpelzhaube des Gatten dort auftaucht. Unverdrossen gemächlich tritt der die Fahrradpedale und zieht sein Kamera-Equipment auf einem Anhänger nach. Sie versteht ihn nicht, (Frauen sind oft so), und noch weniger, was sein Vater immer gesagt hat: „Realität ohne Film ist nicht möglich, nur durch den Film wird Realität bewiesen. Der Mensch stirbt, der Film bleibt.“ Hat ihn hinausgeschmissen, brutal in die Garage delogiert, nunmehr Studio, Wohnraum, Küche und Schlafplatz des ansonsten ansehnlich weißgelockten Trachtenjankerlträgers. Die Frühstücksbrote wirft der Neffe als silbernes Alufolienpräsent auf den Tisch, und Polt kann eine seiner subtilsten humanistischen Ansagen: „Denn Armut ist ohne Geld nicht denkbar“ um den Zusatz erweitern: „Ohne Geld auch nicht“. Schließlich stellt er einen Besessenen dar.

Doch: Als der Sparkassenchef einen Filmwettbewerb ausschreibt, geht’s Hans Pospiech um mehr, als den großmäuligen Chef des örtlichen Amateurfilmclubs auszustechen. Auch um Hitler privat, den Oasch, den Vegetarier, den Massenmörder, und sein Gspusi, die Eva Braun. „Das ist Heimatkunde!“ beflügelt sich der Hobbykünstler am Enthüllungsbuch eines Doktor Obermoser. Auch pädagogisch: Was weiß sein Neffe eigentlich davon? Wenn der kudernd eine Heilhitler-Szene aus dem Internet downlädt: „Schau Onkel, so hams damals griaßt, so miassertst den Hitlerfilm machen, dann kriagst die Kids. Die wollen Gags.“ Pospiech zündet dem Ersatzsohn zur Mitarbeit Feuer unterm Hintern an; pappt dem widerstrebenden Musiklehrer (Robert Mayer) Hitlers Oberlippenbärtchen auf; schmalzt die richtigblonde kleine Wirtsfrau Grete Neuriedel (einmal mehr Gisela Schneeberger, Polts Lebensfilmpartnerin) zur Darstellung der Eva Braun ein. Ein Obersalzberg-Devotionalienhändler schenkt zum Bier vorgestrige Glaubenssprüche aus. Bis Frau Grete endlich seufzt: „Ah! Ganz wie die Sissi in Wien. Das ist der Atem der Geschichte. Immerhin, hat mei Mama gesagt, hat dieser Hitler einen Weltkrieg hervorgebracht.“

Der Dreh gerät natürlich zum Desaster. Poltadäquat: „Jetzt, also, wenn einer mal sich in einen Gedanken förmlich hineinverrennt, dann ist er ja wie vernagelt, net.“ Das kennt man aus Polts Miniatur Nikolausi!: Über den freut sich das Kind, von dem Wort steigt’s nicht runter, da kann der Papa noch so oft in „Osterhasi“ ausbessern, bis die anfängliche Vater-Rührung in Wut kippt: „Ja Herrschaftszeiten, Malefiz, Osterhasi, du Rotzbub, OS-TER-HA-SI, verstanden?“. Der Mensch, der sich mühsam verstellt, und dann trotz aller Vorsätze Bösartiges rausschreit: Die TAZ hat Polts „Betriebsmaxime“ auf die klassische Humortheorie Henri Bergsons zurückgeführt. Aber: Und Äktschn! bricht damit, der Film endet zwar ironisch, doch versöhnlich. Mittendrin ist er grauslich genug. „Es gibt kein Ziel und kein Ende, sondern immer nur die nächste Geschichte“, hat Polt im „Statt einer Biografie zum Siebziger“-Gesprächsbuch Gerhard Polt ... und auch sonst zu Herlinde Koelbl gesagt. „Biografien, solange einer lebt“, lehnt er ab, Privates (das v wird natürlich wie bei Vogel gesprochen) mag er nicht erzählen, Fotos von Frau Tini, mit der er 40 Jahre lang verheiratet ist, muss man sich auf bayerischen Lokalseiten googeln: Sie sieht rund und lustig aus, und scheint zu den Frauen zu zählen, die verstehen, dass der Mann seiner Idee, das Grausen über Hitler körperlich spürbar zu machen, nachgehen muss. „Wie kann man das überhaupt machen?“ hat sich Polt gefragt. Und geantwortet: „Nur mit Laiendarstellern. Die kommen den Figuren näher, als würde man es 1:1 versuchen. Ich kannte einen Hitler-Biografen, einen seriösen, Dr. Werner Maser. Der hat mir viel darüber erzählt, dass dieser Mensch tatsächlich nicht so unsympathisch sein konnte, wie man’s gern hätte, um das Fürchterliche schneller abzutun.“

Dass Filmstudenten historische Aufnahmen einer Hitler-Rede mit einem Wutausbruch Polts unterlegt und damit zum YouTube-Hit gepusht haben, dass der „Führer“ nun in Polts Sketch Der Leasingvertrag darüber giftet, vom Autohändler seines Vertrauens über den Tisch gezogen worden zu sein, soll dem Chronisten sämtlicher Banalitäten des Bösen anfangs nicht besonders getaugt haben. Also hat er sich den Tatsachen gestellt: „Dass der junge Hitler in München von reichen eleganten Damen wie ein Schoßhund aufgenommen wurde, sie ihn mit Messer & Gabel essen gelehrt und ihm Krawatten umgebunden haben. Wie dieser Grattler in die Gesellschaft reingerutscht und dort gehätschelt worden ist. Dass er folglich einen gewissen Charme gehabt haben muss ... Und wie immer Eva Braun jetzt zur Lady aufgewertet wird: Er hat Tschapperl zu ihr gesagt, und sie war ein Tschapperl, a kloans Münchner Gnack.“

Der Satiriker liegt am Puls: Spiegel-TV hat schon vor vier Jahren mit einer 1:1 Film-Doku über Hitler privat den Voyeurismus bedient. Doch die unbedarften Wortmeldungen der von der Wirklichkeit abgeschauten Polt-Figuren sind nicht nur delikater, tun auch ärger weh. Wie seinerzeit Mai Ling aus dem Bangkok-Katalog, Herrn Grundwirmers kostspieliger Liebesimport, der nicht schmutzt, „wie der Asiate an und für sich überhaupt nicht schmutzt“, und die Zigaretten fast schon so brav wie Grundwirmers Hund apportiert. Ein Dauerbrenner des Humoristen Polt seit 1979 bis heut. Zum Brüllen komisch sein gemächlich erklärender, verständniswerbender Brustton, den er wie sauersüßöligpickende Marinade über die aberwitzigste Menschenverachtung legt. Doch unterm Lachen fühlt man sich peinlich berührt und ganz Zartbesaitete sagen, sie hielten so etwas nicht aus. Democracy in Afrika noch viel weniger: Wer’s nicht kennt, kann es auf YouTube prüfen und sich winden. So oder so. Geschworene Fans des tückisch Verschmitzten wissen freilich um einiges mehr: Besitzen nicht nur Polts Gesamtwerk, vom Verlag Kein & Aber in zehn prächtigen kleinen Büchern, in einer Kassette zum Siebziger herausgebracht, goutieren auch seine häusliche Seite, die er in dem Buch Menschenfresser und andere Delikatessen in einer gfeanzten Ode an die Schweinsbratenkultur gipfeln ließ. Denn er kocht. Neapolitanisches. Und weil er zwar scheu ist, aber liebenswürdig, hat er mir das Rezept für ein Sugo aus der Gegend von Terracina (seinem Ferien- und Zweithausplatz) geschenkt: „Zwiefel und Karotte, im Verhältnis, wie’s jedem taugt: 50:50, 40:60 oder umgekehrt. Relativ klein schneiden, in gutem Olivenöl anbraten, salzen, pfeffern, als Hauptgewürz Oregano zugeben. Und dann simmern (das heißt köcheln) lassen, bis alles zu einer weichen Paste verschmolzen ist. Die über die Spaghetti gießen.“ Gerhard Polt garantiert den feinsten süß-säuerlichen Geschmack. Sowas fällt ihm leichter, als über sich zu reden.

- Gert Polt

„Mein Vater“ schickt er nach Wien, „stammt aus einer Wiener Familie, „an Fiaker sogar“ will der Sohn in alten Dokumenten gefunden haben. Möglich ist alles. Selbst wenn Polts letztes Burgtheater-Gastspiel mit der Biermösl Blosn und den Toten Hosen eine Spur schriller angelegt war. Selbst, wenn er denkt, dass seine Kindheit nix damit zu tun hat, wie er Dinge erzählt, die ihm auffallen: „Die Widersprüche, wenn Menschen daherreden (man selber ja auch), das Antagonistische, wenn einem etwas entwischt, das man in den nächsten Sätzen wieder umkippt.“ Alles nachzuvollziehen an der Fülle großer europäischer Humoristen, von Nestroy über Karl Valentin, Totò und Tatí bis zu Loriot und Dieter Hildebrandt (letztere zwei habe er gut gekannt). „Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische“, sagt Karl Valentin. Polt hält „die Eigenschaft des Menschen, auch ein komisches Objekt zu sein, schlicht für Gnade“. Wie die Geschichte von des Kaisers neuen Kleidern, als nur das Kind sagt: Der hat ja gar nix o. „Das ist die Chance des Humoristen: Die Art und Weise, wie er Realität als Abziehbild kopiert, kann sie ins Absurde überführen.“ Er sei allerdings „wie die Jungfrau zum Kind“ in dieses Gewerbe geschlittert: „Zufälle haben sich überschlagen, Anliegen war mir das nie“. Ja, Politikwissenschaften, Geschichte, Kunstgeschichte und Skandinavistik studiert, nicht so fleißig, fünf Jahre in Göteborg, mit allen schwedischen Merkwürdigkeiten. Na, Leichen gewaschen, wie so viele in den Sechzigerjahren, hat er nicht, aber auf einem Schiff gejobbt. Und als er wieder in München war, suchte das ZDF für die Kabarettsendung Notizen aus der Provinz einen, der Schwedisch sprach. Bald danach ging’s Schlag auf Schlag. Mit den Geschichten und den Preisen, für Bühnenspiel, Rundfunksketches, Fernsehserien, Fast wia im richtigen Leben, Schallplatten, Bücher und Spielfilme, Kehraus etwa, oder Man spricht Deutsch. Mit der Anerkennung von Polts Autorität als Delikatessenhändler von Banalitäten, als Experte bayerischer Lebensart, als Moralist und politisch unbequemer Querdenker. Zum Moralisten könnte man vielleicht privat (mit Vogel-v) seine Ehe und die Künstlertreue zu Gisela Schneeberger wie der Biermösl Blosn, seinen klassisch ausgebildeten musikalischen Lebenspartnern, anmerken. Zum Querdenker die Erinnerung an Polts quälende Schweigeminuten – volle acht waren’s – neben laufender Sanduhr im ZDF.

Abgemahnt wegen allzu offensiver Schelte des damaligen Innenministers Zimmermann, saß Polt nur da – und sagte nix: „Ich hab ja keine Rechtsabteilung.“ Wo er sich soviel Furchtlosigkeit antrainiert hat? Wär in Hundskrüppel (Lehrjahre eines Übeltäters) nachzulesen. An der geschliffenen Bosheit „Im katholischen Wallfahrtsort Altötting aufzuwachsen, ist eine gute Voraussetzung für das Berufsbild des Humoristen“ abzuschmecken. Polt fügt milde die knappe Antwort hinzu: „Am Land und später in München, einer Stadt, die voller Ruinen war, ist man anders aufgewachsen. Immer auf der Straßen rumgelaufen“. Erinnert an den schönen Film vom Krieg der Knöpfe: „Wenn man heut die Kindheiten von damals sieht, bleibt einem das Maul offen.“ Jaja, auch bissl zum Lachen, die Kids von heute, überbehütet und mit Chancen überfüttert, „da kommt a ganz a neue Rass auf.“ Wobei er und seine Frau sich „recht gern an die Rolle von Großeltern gewöhnen würden: Unser Sohn, der 33-Jährige, lebt zwar mit einer Frau zusammen – aber nix.“ Doch Geduld gehört nicht zu den Eigenschaften, die Polt an sich vermisst: „Wer Geduld lernen will, sollte sich eine Schildkröte zur Beobachtung anschaffen.“ Wollte er etwas bereuen, „dann, nicht oft und lang genug in Terracina geblieben zu sein, um den neapolitanischen Dialekt zu lernen“. Tja, man bereut immer mehr das, was man nicht getan hat, als was man getan hat (sagt Mark Twain, auch so ein Humorist). Aber sei doch verzeihlich bei so einer Hochkarriere? „Aber ja, man verzeiht sich selber viel, auch ohne den Rosenkranz zur Buße aufzulegen. Hab kein Problem mit mir. Muss mich nehmen, wie ich bin. Komm ja nicht um mich herum.“

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