Bregenzerwald, nicht ganz perfekt

Alexandra Klobouk
Bezau – Bezegg – Andelsbuch: 9000 Schritte

Ich gehe von Bezau nach Andelsbuch, und weil die kleine Wanderung in Vorarlberg stattfindet und dies eine Wiener Zeitung ist, kläre ich erst einmal die Voraussetzungen. Beide Ortschaften befinden sich im Bregenzerwald. Zwischen Bezau und Andelsbuch erhebt sich die Niedere, die eigentlich eine hohe ist, nämlich Erhebung, oder sagen wir besser: ein Berg, ausgewachsen, 1.630 Meter hoch.
Klar, man kann auch über diesen Berg von Bezau nach Andelsbuch wandern, aber das tue ich nicht. Von Bezau schwebt nämlich eine komfortable Seilbahn hinauf auf den Gipfel mit seiner spektakulären Aussicht auf den Bodensee, vorbei am Sonderdach, der berühmten Alpe, von der Skisprung-Philosoph Toni Innauer stammt, hinauf zur eleganten Bergstation, die sein Neffe Markus Innauer gebaut hat, dessen Büro sich drunten in Bezau in einem alten, schönen Fotogeschäft befindet.
Nun ist der Bregenzerwald eine Lieblingslandschaft von mir, nicht nur wegen der schönen Gegend, sondern weil hier so vieles richtig gemacht wurde, was im Rest Österreichs falsch lief. Die berühmte Holzarchitektur dieser Region bringt auf spektakuläre Weise zum Ausdruck, dass hier ein tiefes Verständnis für Qualität besteht, für Handwerk und Form, und dass diese Qualitäten auf die Lebensqualität jedes einzelnen Bregenzerwälders, jeder einzelnen Bregenzerwälderin einzahlen.
Fast schon ergriffen von so viel Vorkenntnis folge ich dem Wanderweg Richtung Bezegg. Dieser Weg führt mich steil aus dem Ort in den Wald, ich gewinne rasch Höhe und lasse Bezau hinter mir, wo in der Alten Säge gerade ein interessanter Vortrag stattfindet, den ich zugunsten meines Spaziergangs spritze, und hinüber nach Andelsbuch eile, wo in zwei Stunden eine Diskussion stattfindet, der ich beiwohnen will.
Aber neben den unzähligen Inspirationen des Symposiums „FAQ Bregenzerwald“, auf dessen Einladung ich hier bin (und dessen Höhepunkte ihr euch auf www.faq-bregenzerwald.com vergegenwärtigen könnt), hole ich mir jetzt tiefe Atemzüge im Wald, allein, ungestört, und ich genieße die verschiedenen Temperaturzonen, die ich durchwandere. Manchmal fällt die Sonne schräg herein und überschüttet mich mit Wärme, machmal hängt eine kalte Feuchtigkeit im Gelände, die mich frösteln lässt.
Der Weg, auf dem ich gehe, ist die alte Landstraße zwischen Bezau und Andelsbuch. Ich passiere zuerst eine Kapelle, dann – auf der Passhöhe – die Bezegg-Sul. Hier, das erzählt die Säule (Sul ist nichts anderes als Bregenzerwälderisch für Säule; ihr könnt euch vorstellen, welchen Spaß es macht, mit Bregenzerwäldern zu plaudern!), stand einmal das Wälderparlament, eine Institution der Selbstverwaltung, die ganz am Anfang des adorablen Bregenzerwälder Eigensinns stand.
Ich gehe weiter, jetzt bergab. Bewundere den Wald, seine grüngelben Schattierungen, denke: Gerade ist es nirgends so schön wie hier, nirgendwo auf der Welt – und steige in den notorischen Hundsdreck, der mich daran erinnert, dass ich noch immer auf der Welt bin: Und die Welt, so schön sie ist, ist nicht perfekt.

christian.seiler@kurier.at


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