Geheime Schönheit
Gummistiefel gehören unbedingt dazu, wenn Florence in die Lagune von Rodrigues aufbricht. Die Ebbe hat den Wasserstand sinken lassen. Zum Schutz gegen die Sonne trägt sie ein quietschbuntes Kleid mit langen Ärmeln, einen Strohhut auf dem Kopf und ihren Speer hat sie natürlich dabei. Der ist ihr Werkzeug auf der Jagd nach Tintenfischen, von alters her ein wichtiges Nahrungsmittel. Mit dem Speer stochert sie in den Korallenhöhlen, die den Tintenfischen als Rückzugsort dienen und hofft auf Beute. So wie Florence sind Dutzende Frauen zu Fuß und Männer auf einfachen Segelschiffen mit Netzen auf der Jagd. Der Fang, wird danach aufgehängt und tagelang in Wind und Sonne getrocknet.
Die meisten Bewohner von Rodrigues, der kleinen Schwester von Mauritius im Indischen Ozean, können nicht schwimmen. Deshalb war es ziemlich sinnlos, dass die Regierung aus Angst, die Lagune wäre bald leergefischt, an etlichen Orten ein Fangverbot verhängt hat. Aufs offene Meer wagt sich keiner der Bewohner von Rodrigues.
Zum Glück ist die Natur auf der Maskareneninsel, die nur 109 Quadratkilometer groß und erst seit dem 17. Jahrhundert bewohnt ist, geduldig und hat schon einiges überstanden, was Menschen ihr angetan haben. Das begann schon bei der Besiedlung durch die Franzosen. Das erste Grüppchen, acht Hugenotten auf der Flucht, das sich unter der Führung von François Legat auf der fruchtbaren Insel niederließ, blieb nicht lange. Nach zwei Jahren waren sie zwar wohlgenährt und gesund – aber ohne Frauen sei das kein Leben, so paradiesisch die Insel auch war. Deshalb zogen sie ab und wurden prompt von den Holländern als vermeintliche Spione verhaftet. Erst 1725 wagten die Franzosen einen neuerlichen Versuch, die Insel zu besiedeln. Das war gut für sie, aber schlecht für die Riesenschildkröten, die bis dahin unbehelligt dort gelebt hatten. Die imposanten Tiere, die bis zu 250 Kilo wiegen können und deren Panzer eine Länge von 120 Zentimeter erreicht, wurden zu Tausenden gefangen, an die Besatzung vorbeifahrender Schiffe als lebender Reiseproviant verkauft, den sie dann abschlachteten. Und als die Franzosen gegen die Briten um die Vorherrschaft auf Mauritius Krieg führten, waren die Schildkröten die Opfer: Sie wurden getötet, damit die Soldaten etwas zu essen hatten und große Teile der bis dahin dicht von Ebenholz-Wäldern bewachsenen Insel wurden gerodet.
Mittlerweile ernährt die Insel ihre Bewohner wieder. Durch die Tintenfische, auf der Hochebene gedeihen Tabak, Zitronen, Papayas und sogar Getreide. Auch Riesenschildkröten gibt es wieder – importiert aus Mauritius leben sie im Giant Tortoise and Cave Naturreservat. Es sind schon wieder mehr als tausend Exemplare.
Die grüne Insel erhebt sich wie ein Smaragd aus dem türkisen Wasser der Lagune. Trotzdem ist sie das genaue Gegenteil ihrer „Mutterinsel“ Mauritius. Nicht, was die weißen Sandstrände betrifft. Die findet man hier wie dort. Aber die Fülle an Luxushotels, in denen die Gäste mit hoteleigenen Booten zu den schönsten Stränden geschippert werden, sucht man auf Rodrigues vergeblich. Dafür ist der Empfang umso herzlicher. Und wenn man Glück hat, bereitet Florence für die weitgereisten Gäste ein Mahl aus Tintenfisch. Mit Gemüse, gewürzt mit Carry, der selbst gemachten scharfen Sauce, die nach Ingwer und Zitrone riecht. Natürlich nur bis zur nächsten Ebbe. Denn dann muss Florence wieder hinaus in die Lagune, um Tintenfische zu fangen.
GUT ANKOMMEN
Flüge ab ca. 1.100 € mit Emirates über Dubai nach Mauritius. Von dort ab 190 € mit Air Mauritius nach Rodrigues. Gesamtreisedauer etwa 19 Stunden. Vier bis sechs Mal pro Monat fährt ein Boot die 600 km von Mauritius nach Rodrigues. Tropisches Klima, Temperaturen ganzjährig zwischen 18 und 35 Grad, Zyklonsaison von November bis April. Landessprache Französisch. Knapp 36.000 Einwohner, die Mehrheit Kreolen.
www.tortoisecavereserve-rodrigues.com
www.tourism.rodrigues.mu
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