Fan-Frage

Fan-Frage
Ob Fan oder Feind, ehrlicher Enthusiast oder müder Mitläufer - jeder geht anders mit der Fußball-WM um. Der Versuch einer Typologie.

Der Fußballfan ist für den vernünftigen Menschen ein unbekanntes Wesen. Vermutet werden verbal eher brachliegende, brüllende Biertrinker, die in Hooliganhorden die Nachbarschaft terrorisieren oder - noch schlimmer - Vuvuzela spielen. Doch wer einen Freund des runden Leders im Vorhinein auf den brandschatzenden Brutalo beschränkt, tut ihm Unrecht. Kaum eine Fangruppe ist so differenziert, wie die der Fußballanhänger während einer einschlägigen Großveranstaltung. So entbrennen auch mal feinsinnige Künstler oder radikale Systemverweigerer für den Bolzplatz. Und die, die behaupten, sie können die WM nicht ausstehen, mögen sie in Wirklichkeit eh auch ein bisserl - weil sie guten Grund zum Granteln gibt.

1. Die Fanatiker:

Selbst wenn sie mitten in der Nacht aufwachen und unerklärlicherweise an einen Stuhl gefesselt sind, um den eine Giraffenherde tanzt, selbst dann könnten diese wahren Sportfreaks noch mühelos die Angriffsstrategie der Italiener bei der WM 1934 erklären. Sie legen sich mit Barkeepern an, weil sich diese weigern, um drei Uhr nachts das nun wirklich bedeutende Spiel zwischen der Elfenbeinküste und Japan zu übertragen. In sozialen Netzwerken liefern sie sich verbale Schlachten mit ähnlich Gesinnten und nehmen damit in Kauf, von drei Viertel ihrer Freunde geblockt zu werden. Am heimischen Sofa brennen jede Nacht die Herzen vor Begeisterung, die Augen vor Müdigkeit und gebrüllt wird, bis die Nachbarn vor lauter Besenklopfen die Wände einreißen. Dann wird noch das Spiel analysiert. Egal wer gekickt hat.

2. Die Subversiven:

Diese ganz besonderen Sportfans sitzen normalerweise mit fiebrig glänzenden Augen und billigem Rotwein in Spelunken und kritisieren bestehende Gesellschaftssysteme. Während der WM sprechen sie sich stark für die Underdogs aus und unterstützen 2014 beispielsweise Honduras oder Südkorea. Gewinnt eine dieser Mannschaften überraschend, freuen sie sich diebisch und sprechen von einem Sieg der unterdrückten Masse und dem schleichenden Verfall kapitalistischer Institutionen.

3. Die (Fremd-)Patrioten:

Bei sportlichen Großveranstaltungen werden selbst radikale Gegner der nationalen Identität weich und spenden dem heimischen Team das eine oder andere Hurra. „Wir haben gewonnen“, heißt es dann stolz, wobei der Aufwand hinter dem Fernseher wohl erheblich kleiner war als der auf dem Spielfeld. Österreichs Erfolgsstory bei der WM ist jedoch recht überschaubar. Also sucht man sich seinen Favoriten anderswo. Ganz Gefinkelte warten auf die ersten Spiele der WM und bestimmen ihre Helden erst nach Abschätzen der Siegeschancen. Um dann seine schon ewig währende Sympathie für diese Mannschaft zu beweisen, muss natürlich auch das eine oder andere Detail zu Geografie, Kultur und Landesgeschichte des erwählten Teams eingeworfen werden. Übrigens: Die Hauptstadt der Elfenbeinküste heißt Yamoussoukro.

4. Die Ästhetiker:

Ob männlich oder weiblich – diese Fans beurteilen die Qualität eines Spiels ausschließlich nach der Optik der Mitwirkenden. Ob Frisuren, Bizeps oder Wadln, den Fetischen der Zuseher sind keine Grenze gesetzt. Beliebte Fanobjekte sind südländische Mannschaften mit rassigen Kickern, die sich zudem öfters rührend um diese Fangruppe kümmern und sich nach Glanzleistungen entblößen.

5. Die Verweigerer:

Die Totalverweigerer äußern genüßlich Verwünschungen der Fußball-Adoranten, regen sich über vollkommen unverhältnismäßige Fußballer-Gehälter auf oder bemerken, dass das in die WM investierte Geld mal lieber dazu verwendet werden sollte, die Lebensumstände in den Favelas zu verbessern. Bars mit Liveübertragungen sind ihnen ebenso suspekt wie dem Ronaldo die Eigenschaft der Bescheidenheit. Soziale Netzwerke, sportbezogener Smalltalk und jeglicher Umgang mit Medien wird in der WM-Zeit vermieden, was die Verweigerer zu sozialen Außenseitern macht. Ihr Märtyrerschicksal tragen die Verweigerer mit kaum verhehltem Stolz. Die WM mögen sie trotz ihrer Schimpftiraden sehr gerne, denn sie gibt ihnen einen großartigen Grund zum Granteln.

6. Die Mitläufer:

Normalerweise beschäftigt sich dieser Typ Fan nicht mit Fußball. Genauso wenig widmet er sich dem Skispringen, Marathonlaufen oder der Formel Eins. Dennoch sitzt er bei den entsprechenden Großveranstaltungen enthusiastisch brüllend oder entrüstet schnaubend vor dem Fernseher. Ab und zu fragt er Fans vom Typ 1 danach, was Abseits bedeutet oder warum der Trainer aussieht, wie ein manisch-depressiver Pudel. Zu welcher Mannschaft der Mitläufer hilft, hängt davon ab, in wessen Gesellschaft er sich gerade befindet. Er malt sich gerne Flaggen ins Gesicht und singt Olé Olé.

7. Die Krawallerie:

Die Krawallmacher treten zumeist in größeren Gruppen auf. Wer spielt, ist im Grunde nebensächlich, Hauptsache, es tut sich was - ob am Spielfeld oder im Publikum. Blaue Flecken, blutige Nasen und ein rauer Tonfall gehört für diese Art der Fans zu jedem WM-Spiel dazu, ihre Kriegsverletzungen erklären sie mit einem hingerotzten: "Der hod mei Maunnschoft beleidigt, Oida." Ob das angeschwollene Auge nun von der Ohrfeige im Pub oder dem Duell mit dem aggressiven Trunkenbold am Heimweg herrührt, kann sowieso niemand genau sagen.

8. Die ironischen Intellektuellen:

Fußball halten diese belesenen Gesellen für ein dumpfes Brauchtum aus archaischen Zeiten, das den Menschen zu einer stupide dem Ball hinterherhechelnden Rennmaschine degradiert. Zur Übertragung setzen sie sich, wenn überhaupt, nur mit einem Buch, zumeist ziehen sie sich aber mit einem verächtlichen Nietzsche-Zitat auf den Lippen in ihr Gemach zurück. Manchmal fragen sie mit nur mühsam gezügelter Neugier nach den Spielergebnissen, die sie im Nachhinein mit einer spöttischen Bemerkung abtun.

9. Der Regionalliga-Fan

Eigentlich würde der Regionalliga-Fan gerne Union Vöcklamarkt gegen Argentinien kicken sehen. Oder den FC Lustenau gegen Frankreich. Weil er jedoch um den schmachvollen Ausgang eines solchen Szenarios weiß, schaut er halt doch die klassischen WM-Spiele. In seinem Herzen hilft er aber immer zu seinen wackerern Dorf-Bolzern und wirft nach einem Spiel oftmals stolz ein: Hansl Hintertupfl hätte den Pass bestimmt besser hingekriegt.

10. Der soziale Schnorrer

Der soziale Fan treibt er sich dort herum, wo seine Freunde, Verwandte, Bekannte oder andere Menschen sind – zu WM-Zeiten also zwangsläufig bei jedem halbwegs gut besuchten Public-Viewing. Manchmal stellt er sich zwischen Fernseher und Zuseher, weil ihm die asoziale Situation zuwider ist und versucht, Gespräche zu starten. Dann sieht er jedoch lieber auch wieder zu und überlegt sich Witze zum Spiel, mit denen er nachher das Eis brechen kann. Goodies wie gebrandete Becher, mit denen man während der WM unaufgefordert allerorts beworfen mit, nimmt er dankend an und verwendet sie in seinem Heim als Haushaltsutensilien.

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