Der Mann mit der goldenen Schreibmaschine
An der Nordküste Jamaikas liegt ein paradiesisches Luxusresort, wo man für 3.800 Dollar die Nacht verbringen kann. Das Besondere an der Anlage sind nicht die berühmten Gäste wie Beyoncé, Johnny Depp, Pierce Brosnan oder Harrison Ford, sondern ein luftiger Drei-Zimmer-Bungalow namens Golden Eye. Er gehörte niemand anderem als dem Schöpfer von James Bond: Ian Lancaster Fleming. Als Abwehroffizier der Marine war Fleming 1942 in die britische Kolonie geschickt worden, um herauszufinden, ob sich deutsche U-Boote in der Karibik herumtrieben. Die Insel gefiel ihm so gut, dass er sich vornahm, nach dem Krieg den Rest seines Lebens dort zu verbringen.
Daraus wurde zwar nichts, aber er leistete sich ein Haus am Meer nahe des Bananenhafens Oracabessa und nützte es 14 Jahre lang bis zu seinem frühen Tod mit 56 als karibisches Refugium.
Am 17. Februar 1952 tippte Ian Fleming wie üblich mit drei Fingern die erste Seite eines Agententhrillers mit dem Titel „Casino Royale“ in seine vergoldete Royal-Quiet-Deluxe-Schreibmaschine. Davor hatte er sich wochenlang mit der Frage gequält, wie sein Roman-Agent heißen sollte. Schließlich nahm er den Autor eines von ihm viel genutzten Vogelkundebuchs als Namensgeber: James Bond, ein Ornithologe, der ein Werk mit dem Titel „Birds of the West Indies“ verfasst hatte, wurde so doch noch weltberühmt. Vierzehn Jahre lang schrieb Ian Fleming – immer im Jänner und Februar, immer drei Stunden am Morgen und eine am Abend, immer im Halbdunkel bei geschlossenen Jalousien – jedes Jahr ein Buch. Elf 007-Romane, ein Kinderbuch und zwei Bond-Kurzgeschichtenbände.
Warum Fleming überhaupt mit dem Agentenepos begonnen hatte, bekannte er ebenfalls freimütig. Mit 44 war der notorische Playboy Ian Fleming, der sich geschworen hatte, niemals zu heiraten, doch noch Ehemann und werdender Vater geworden. „Ich empfand damals große Panik, dass ich in der Ehe in Agonie verfallen würde. Um mich abzulenken, begann ich zu schreiben.“ Vieles, was Flemings Leben geprägt hatte, seine zahlreichen Frauengeschichten, seine Spielleidenschaft, sein Hang zu Alkohol, war ihm nun, so fürchtete er, für immer versagt. Nicht aber seinem Fantasiehelden James Bond.
Bonds Existenz selbst war einer wilden, leidenschaftlichen, sadomasochistischen Affäre entsprungen. Fleming, der die Peitsche liebte, hatte in einem New Yorker Hotel mit Lady Ann Rothermere eine Gleichgesinnte getroffen, allerdings: Sie war die Ehefrau des britischen Zeitungsmagnaten Lord Rothermere, der unter anderem die Daily Mail besaß. Als die schöne Lady von Fleming schwanger wurde, ließ sich der Lord scheiden und der langjährige Playboy sah sich zur Ehe gezwungen. Flemings Alter Ego, der Geheimagent seiner Majestät mit der MI-6-Dienstnummer 007, lebte fortan ein abenteuerliches Junggesellenleben und durfte seine schönen Freundinnen jährlich, wenn nicht öfter, wechseln. Bonds Geburtsort ist also Jamaika, wo sämtliche Bond-Romane entstanden. Sein Schöpfer erblickte das Licht der Welt hingegen dort, wo die britische Upperclass zuhause ist.
Im noblen Londoner Stadtteil Mayfair, in der teuren Green Street wurde Ian Fleming als Sohn einer immens reichen Familie geboren. Sein Großvater war Bankier, Gründer der Fleming Bank und eines britisch-amerikanischen Trusts, sein Vater ein wohlhabender, konservativer Parlamentsabgeordneter, der im Ersten Weltkrieg fiel, als Ian Fleming neun war. Das Vermögen der Familie Fleming wird übrigens aktuell auf 1,9 Milliarden Pfund geschätzt.
Flemings Leben war bestimmt von ungeheuren Privilegien, aber auch von Verlusten und einer langen Serie des Scheiterns. Er flog aus Elite-Schulen wie Eton und Sandhurst, und scheiterte in einer Reihe von Berufen. Sein Ziel, im Auswärtigen Dienst aufgenommen zu werden, erreichte er nicht. Als Journalist bei Reuters warf er nach drei Jahren das Handtuch; als Börsenmakler in London machte er mehr Verluste als Gewinne. Fleming galt in seiner Familie lange als Versager und Tunichtgut, wenn auch einer mit Taschen voller Geld und schicken Sportautos. Schon als Schüler in Eton fiel er auf, nicht nur wegen seiner Mädchengeschichten oder fünf automatischer Waffen, die man in seinem Spind fand, sondern auch wegen seines eigenen Wagens – damals ein unerhörter Luxus. Der literarische James Bond fährt übrigens in „Casino Royale“ aus dem Jahr 1952 einen 1929er Bentley.
Tritt fasste der verwöhnte, vaterlose junge Mann, den seine Mutter 1927 für zwei Jahre in eine Privatschule, dem Tennerhof in Kitzbühel, geschickt hatte, erst mit Beginn des
Zweiten Weltkriegs, als er seinen Militärdienst im Abwehrdienst der britischen Marine leisten durfte. Fleming wurde mit der Welt der Spionage vertraut, von der er sagte, sie sei ein schmutziges Geschäft. Von 1945 bis 1959 avancierte Fleming zum Leiter des Auslandsressorts des Kemsley-Zeitungskonzerns, dem unter anderem auch die Sunday Times gehörte. Mit den Eigentümern des Medienunternehmens war die Familie Fleming praktischerweise eng befreundet. Und so durfte Fleming für die Sunday Times auf Kosten seines Arbeitgebers zwei Mal für fünf Wochen auf Weltreise gehen. Seine Reportagen aus dieser Mission wurden später als Buch unter dem Titel „Thrilling Cities“ veröffentlicht, worin er die Tiroler als die liebenswertesten Menschen der Welt bezeichnete. Nebenbei bemerkt: Fleming sprach hervorragend Deutsch und übersetzte sogar ein Buch.
Doch trotz eines glamourösen Lebens in der britischen High Society – der berühmteste Besucher seines Hauses in Jamaika war zum Beispiel der britische Premier-Minister Anthony Eden – war Ian Fleming anders als sein Held James Bond nicht unverwundbar. Die Gesundheit machte dem notorischen Kettenraucher und Gewohnheitstrinker zunehmend zu schaffen. Seine Ehe verlor bald ihren erotischen Reiz. Ehefrau Ann hatte einen langjährigen Geliebten und Ian Fleming verliebte sich auf Jamaika in Blanche Blackwell, eine verheiratete Frau.
1964 starb Ian Fleming auf seinem englischen Lieblings-Golfplatz Royal St. Georges mit 56 an einem Herzinfarkt.
"Könnte James Bond irgendwann einmal sterben", fragte 1963 ein Reporter Fleming. Der erwiderte lächelnd: "Das könnte ich mir auf keinen Fall leisten..."
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