Mit Mutterwitz in der Manege

Mit Mutterwitz in der Manege
Fische gebraten, italienisch gekocht. Ein Häuschen im Steirischen renoviert. Still und friedlich. Gestern. Das Burgtheater schrie nach einem Dompteur. Und: Karin Bergmann spuckt in die Hände. Viel Glück, und das ja nicht verschreien, Frau Direktor!
Von Ro Raftl

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"Offensichtlich hilft das Wünschen", sagt sie irgendwann ganz sanft und nachdenklich erfreut. Manchen sieht man am Gesicht an, was sie denken, bei Karin Bergmann hört man’s an der Stimme. Am Beat, am Rhythmus, am Wortsatz, an der Wahl der Tonart, die sich nur im Furioso bändigt, doch ohne an Deutlichkeit zu verlieren. Oft ist Lachen unterlegt, manchmal Spott, milde bis beißende Ironie, meist aber federleichte Belustigung wie in Salonstücken der Jahrhundertwende. Theater als "Überlebensmittel" des Bergarbeiterkinds aus der Kreisstadt Recklinghausen "mitten im Pott", danach 34 Jahre Lebensmittel einer Dompteuse mitten in der Manege. Das imprägniert. Bergmann spielt mit der Stimme. Das Nordrheinwestfalendeutsch: burgtheatralisch wienerisch gespült. Der Sound: angenehm dunkelspröde. Der Humor: Claus Peymann nannte ihn "Mutterwitz". Die Gewitzte lacht, rückt zurecht: "Ich hab großen Respekt vor Begabung und Fähigkeiten, aber ich hab keinen Respekt vor Berechnung. Verhalte mich höflich und ordentlich, aber nicht mehr." Einschub: "Das war schwer für meine Familie, aber für meinen weiteren Lebensweg hilfreich ... Ja, Schriftsteller bewundere ich, so lange ich mich erinnern kann. Auch Schauspieler, die so in ihrer Arbeit aufgehen, dass es sich auf der Bühne zeigt. Aber Ämter und Positionen beeindrucken mich nicht."Immerhin: "Burgtheater" heißt Bergmanns neues altes Lied seit 19. März.

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Es war ein Mittwoch, als sie das Ensemble mit tosendem Applaus auf offener Bühne begrüßte, zutiefst erleichtert, dass da endlich wieder jemand steht, dem es vertraut, der die Ärmel aufkrempeln und in die Hände spucken wird – um zwischen Waschtag und Zahltag noch mit jedem Einzelnen zu reden und ihm auch wirklich zuzuhören. Uneitel. Lösungsorientiert. Einfühlsam. Mut machend. Da schau, eine Frau. Mit 60 an der Spitze. "Seit 1776 zum ersten Mal in der fast 240-jährigen Geschichte des Wiener Burgtheaters", fand nicht nur der Berliner Tagesspiegel (trotz Angie Merkel) bemerkenswert. "Sie hat den Vorteil der meisten Frauen gegenüber Männern: Es geht weniger ums Ego als um das Gemeinsame", orgelt Ex-Burg-Boss Klaus Bachler weit zeitgemäßer. Er bat Bergmann schon 1999 um Stellvertreterschaft, führte das Haus zehn Jahre Schulter an Schulter mit ihr als Co-Direktorin, vertraute ihr selbstverständlich das Tagesgeschäft an, als er in seiner letzten Saison parallel zur Burg bereits die Bayerische Staatsoper München leitete. Denn: "Für mich ist die Bergmann eine Mischung aus Jeanne d’Arc und Anna Wintour – einerseits eine unerschrockene Kämpferin für die Sache und andererseits eine glasklare Unternehmerin, die wenn es sein muss, auch knallhart sein kann." Chapeau! Vor der neuen Frau Direktor – dieser Feuerwehr, dieser Nothelferin. Alles andere als "ein Notnagel", viel mehr "eine 1,20-Meter-Garderobe, die zehn Haken tragen kann". Bis 2016 einstweilen, mit Hermann Beil, früher Peymanns Co-Direktor als Ehrenamtsberater. Wobei nicht auszuschließen ist, dass sie sich bei der nächsten Ausschreibung regulär um dem Posten bewirbt.

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Heiser geredet in drei Tagen zwischen acht und Mitternacht, vom Kalmieren, Organisieren, Integrieren, so weit, dass sie Matthias Hartmann einladen möchte, seine begonnene Akademietheaterinszenierung "Der falsche Film" zu Ende zu führen. Bergmann steuert das Schiff: "Ich weiß, dass ich’s kann." Ohne Shrink und Therapeuten. Niemals. "Ich versuche, mich selber zu coachen." Wie? "Indem ich mit mir spreche, wenn’s not tut, sogar laut." Doch: "Nachdem ich die Signale aus der Burg bekommen hab, innerlich völlig elektrisiert war, hab ich es mit Herrn Blau besprochen."Also das Wünschen der Karin Bergmann, zwischen 13 und 19. Ein "schwieriges und rebellisches Wesen", das die Familie "komplett überfordert hat". Das vom Meer träumte, von Musik, von allem, was in Büchern stand, von allem, was es zu Hause nicht gab. Laut auf sämtliche Autoritäten pfiff. Lieber zwei Stunden im Wartezimmer des Hausarztes saß, um sämtliche Illustrierte zu lesen. Dramaturgin werden wollte, bevor sie wusste, was genau das war. Tschechow und Strindberg zu ihren Lieblingsdichtern erkor. Kein Theaterstück bei den Ruhrfestspielen versäumte. Tollkühn mit 15 dort vorsprach, um sich für welchen Job immer zu bewerben, – ohne Schulabschluss natürlich chancenlos. Die düsteren Prophezeiungen der Eltern, wo sie damit noch enden werde, heißherzig in den Wind schlug. Für Peter Zadeks Inszenierungen am Schauspielhaus Bochum glühte, nach Hamburg trampte, um dort Stehplatzkarten für die großen Bühnen zu ergattern. "Bücher und Theater waren meine Überlebensmittel", wiederholt die Unfügsame. Die mit 16 von der Schule flog, sich sofort nach den Bedingungen für die Abendmatura erkundigte – "erst nach drei Jahren amtlich bestätigter Arbeit möglich" – sich drei Jahre in einen Bürojob fügte, bis ... "Ich hatte einen sehr starken Willen, glaube ich." Sagt sie fast erstaunt, im Chefbüro am Burgring. "Wollte einfach nicht so leben wie meine Eltern. Mein Vater hätte die Talente und Neigungen zu Größerem gehabt, aber war halt ein Teenager, als der Krieg zu Ende ging. Schwer." Liebend sagt sie das, ausgesöhnt. "Da hab ich sehr früh erwachsen gedacht: Wer seinen Eltern nicht verzeihen kann, ihnen lebenslang was anlastet, sollte bei sich selber Ordnung machen." Lustig und rührend findet sie nur, dass sie später bei Elternbesuchen, entspannt beim Wiener Wein die Probleme von früher besprechen wollte. Aber! "Da haben sich beide sofort gegen mich solidarisiert: ,Probleme? Welche? Gab es doch nie.’" Sie ist froh, dass nur das Schöne in Erinnerung blieb. Beide sind tot. Der Vater starb vor zehn Jahren, die Mutter vor acht. Und ganz eng sei die Familie zusammengerückt, als sie sehr krank war." Ihr Wünschen hatte sich ja erfüllt: "Ich hab alles bekommen." Nicht nur, weil sie das Inserat in der ZEIT gelesen hatte, in dem Claus Peymann eine Direktionsassistentin für Bochum suchte, ein Posten, für den sich 40 bewarben, und den Karin Bergmann bekam. Dank einer flammenden Begründung, warum sie für diesen Job wie gemacht war. Berufen ...

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Burg-Aufsichtsratschef Christian Strasser undKulturminister Josef Ostermaye gratulieren der interimistischen Direktorin des Burgtheaters

Ein Job, der ihr all die wunderbaren interessanten Begegnungen mit den großen Schriftstellern gebracht hat, mit Bernhard, Handke, Turrini, Jelinek oder dem "jungen feinen besonderen" Ewald Palmetshofer. Und Österreich. "Es ist ein gutes Land" fällt ihr Wolfgang Gasser mit dem Monolog in Grillparzers "König Ottokar" ein. Was es vielleicht noch schöner macht: Dass sie "Ausländerin" ist bis heute: "Ich wähle nicht. Aber Wien hab ich Peymann zu verdanken – und ja, er hat sich gemeldet und mir sehr persönlich Glück gewünscht." Wien, wo sich ein anderer Karin-Mädchen-Wunsch (fast wie im Märchen) erfüllt hat. "Wenn ich mich für einen Mann interessieren sollte", hatte der Teenager in Recklinghausen an der Ruhr gedacht, "sollte der außer schwarzen Haaren und blauen Augen auch eine große Bibliothek haben." Nun, der Architekt Luigi Blau hatte alles. 27 Jahre sind sie zusammen, seit sechs Jahren verheiratet. Wohnen in einem freistehenden Jahrhundertwende-Gartenhaus im Achten zur Miete. Okay, Blau hat es ausgebaut. Wurde oftmals in Architekturzeitschriften publiziert. Aber das weiß man – das erzählt nicht seine Frau. Nur, "dass er mich nie gefragt hat, wann er nicht mehr ins Wirtshaus essen gehen muss. Eine Beziehung, in der ich mein Leben nach einem Mann ausrichten hätte müssen, wäre für mich nie in Frage gekommen", wischt Bergmann Bewunderung für Stetigkeit & Konsequenz vom Tisch: "Ach was, er war 42 und ich Mitte dreißig, als wir einander begegnet sind. Da hat man sich die Hörner abgestoßen, weiß, was passt und was nicht." Er hat mich mit Künstlern anderer Genres zusammengebracht – und das war großartig, weil ausschließlich Theater doch sehr inzüchtig sein kann. Hat mich zur Großmutter gemacht: "Sein Sohn bekam gerade ein Mädchen." Gekocht hat sie endlich auch noch viel. Immer öfter, seit sie nach der ersten Saison von Matthias Hartmann das Burgtheater relativ überraschend in die Pension verließ. Ihren Satz: "Damals habe ich vielleicht schon zu selbstständig gearbeitet, als dass ich mir auf Dauer vorstellen könnte, mich noch einmal ganz neu anzupassen", durfte jeder interpretieren, wie er wollte. Jetzt von "Instinkt" zu reden, wär natürlich unseriös.

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Der niederösterreichische Künstler "donhofer." brachte im Rahmen einer Kunstaktion Plakate zur aktuellen Causa vor dem Burgtheater in Wien an. Die Plakate wurden bereits kurze Zeit später von Burgtheater-Mitarbeitern entfernt.

Also, Bergmann hat viel und "großartig" gekocht, für Freunde und Gäste, Italienisches, Risotti und gebratenen Fisch, obwohl sie gleich einschränkt: "Das ,Richtige’ aus dem Sacherkochbuch, Gulasch und Rouladen, kann ich nicht." Hat Feste gefeiert, mit viel gutem Weißwein, den sie liebt. Und: Ein kleines Jahrhundertwendehaus renoviert. In Bad Radkersburg, direkt an der Mur. Es hat einem Bäcker gehört – und es gibt sogar eine Pointe: Er hat Josef Kainz geheißen."Glück und Zufall: "Nach einem Architekturausflug mit Friedrich Achleitner auf Jože Plečniks Spuren in Laibach gingen wir am Heimweg schwimmen. Da hab ich Radkersburg entdeckt, und dass es mich belebt, ermuntert, mir vor allem im Winter Kräfte gibt, den Körper im warmen Wasser zu dehnen, den Kopf von der kalten Luft durchpustet ... Sporadisch nur, der Herr Blau ist ein Stadtmensch. Doch ich denke, dass ich in Zukunft etwas besser auf mich aufpassen muss, nicht mehr wie früher jede Nacht nur vier Stunden schlafen. Ja, jetzt bin ich Burgtheaterdirektorin – aber das Entscheidende ist, ob ich es kann." Selbstzweifel. Immer. Ein Zeichen für Intelligenz, heißt es. Nicht weniger, dass Bergmann auch pokern kann. Wie ganz zu Anfang mal, bei Peymann in Bochum: "Nach der Probe, um neun Uhr abends hat er mir einen Brief an die Salzburger Festspiele diktiert. Gefühlte 40 Seiten, strotzend vor Namen und Bühnentermini, die ich damals noch nicht kannte. Ich konnte nicht stenografieren, also hab ich wie wahnsinnig mitgeschrieben. Verzweifelt. Mich aber, kaum, dass er fertig war, an meine IBM-Kugelkopf gestürzt, und den Sermon ins Reine getippt. Die halbe Nacht, aber ich wusste, am nächsten Tag bring ich den Text nicht mehr richtig zusammen. Er fand keinen Fehler." Ihr Fazit: "Ich hab mich immer übernommen. Aber bis jetzt hat es sich immer gelohnt."

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