Bühne des Lebens
Der Gast aus Deutschland stürmte forschen Schritts durch die Tür des Hotels Wilhelmshof in der Wiener Leopoldstadt, einen Koffer links, einen Koffer rechts. Der stämmige Mann pflanzte sich vor dem Pult auf, knallte die beiden Koffer auf den Boden und bellte: „Notdurft!“ Die Angestellte fuhr zusammen und flüsterte: „Ja, gern, die zweite Tür rechts bitte.“ Der Gast erwiderte: „Das ist mein Name. Ich habe eine Reservierung“, und brach in laut meckerndes Gelächter aus. Zumindest er fand das witzig. Offenbar sehr, denn er ließ die Frau an der Rezeption noch wissen: „Ich mache das jedes Mal. Das ist ein Riesenspaß.“
Ein Hotel ist ein ganz besonderer Ort. Ein Ort, an dem sich Geschichten ereignen und an dem mitunter sogar Geschichte geschrieben wird. Ein öffentlicher Platz, aber trotzdem privat und intim. Es ist Bühne für berührende, skurrile, komische und tragische Episoden und Ereignisse. Das Hotel ist Treffpunkt. Menschen, deren Wege sich sonst nie überschnitten hätten, begegnen einander hier. An diesem Ort beginnen Liebesbeziehungen, hier werden sie gelebt, manchmal enden sie auch hier. Und weil ein Hotel ein Ort ist, der dem Gast auch Anonymität bieten kann, fördert dies mitunter Verhaltensweisen zutage, die überraschen können. Und manchem, wie dem seltsamen Gast des Wilhelmshofs mit dem zweideutigen Namen, denen ist anscheinend alles egal. Dabei hat das nichts damit zu tun, dass der Wilhelmshof, heute ein Designhotel mit vier Sternen, in einem ehemaligen Rotlichtviertel in der Nähe des Pratersterns liegt und in den 1970er-Jahren, als dort der Straßenstrich blühte, ein gut frequentiertes Stundenhotel war.
„Noblesse oblige“ galt hingegen schon in den 1960er-Jahren im Hotel Sacher. Zum Beispiel 1969, als Elizabeth II. mit Ehemann Prinz Philip auf Staatsbesuch in Österreich weilte. Vor Pannen war man allerdings auch dort nicht gefeit. So erschien die Queen festlich gekleidet, um vor einem Besuch der Staatsoper ein Dinner einzunehmen. Ihrem Wunsch entsprechend hatte man die Gäste nicht an einer langen Tafel, sondern an Achtertischen platziert. Die Queen saß gemeinsam mit Prinz Philip, dem damaligen Bundespräsidenten Franz Jonas, dessen Ehefrau Grete und einem Dolmetscher bei Tisch. Sacher-Oberkellner Herbert Müller behielt sich den Service am Tisch der Königin vor. Zuerst also der Weißwein. Müller kommt mit der Flasche. Dabei stolpert er über einen leeren Sessel und hat zwei Möglichkeiten: Entweder er verschüttet den gesamten Inhalt der Flasche in hohem Bogen oder er benutzt die Queen als Stütze. Er entschied sich für letztere Variante und tat das mit den Worten: „Excuse me, oh Royal Highness.“ Elizabeth war amused und blieb gelassen. Ihre schlagfertige Antwort: „I didn’t know, Austrian waiters are so charming, that it means to start the service when kissing my cheeks.“ – „Ich wusste nicht, dass österreichische Kellner so charmant sind, dass es als Startsignal für den Service gilt, wenn sie meine Wangen küssen.“
Dass Gäste mitunter schrullig sein können, wird in guten Hotels, wie eben dem Sacher, gern toleriert. Das betraf nicht nur die Marotten von Dauergast Marcel Prawy, sein umfangreiches Archiv in Plastiksackerln aufzubewahren. Der Lebensinhalt des „Opernführers“ war die Musik, über die er alles andere vergessen konnte. Eines Tages saß er mit Luciano Pavarotti im Sacher-Restaurant und diskutierte – über Musik. Doch plötzlich besann er sich und winkte den Kellner zum Tisch. Es entspann sich folgender Dialog: „Herr Ober, hab ich schon gegessen? “ – „Ja, Herr Professor.“ – Was denn?“ – „Zander, Herr Professor.“ – „Aha, und hat es mir geschmeckt?“ – „Sie hatten ein leichtes Lächeln auf den Lippen, Herr Professor.“ – „ Ah, dann ist es gut.“Ein Hotel ist nur so gut wie die Menschen, die dort arbeiten. Im prunkvollsten Haus werden die Gäste sich nicht wohlfühlen, wenn das Personal nachlässig ist. Umgekehrt wird der eine oder andere Mangel im Haus durch engagierte Mitarbeiter mehr als wettgemacht.
Das Hotel Imperial ist in jeder Hinsicht perfekt, dazu leisten viele Mitarbeiter mehr als sie eigentlich müssten. Da war zum Beispiel Michael Jackson, der mehrfach im Imperial abstieg. Einmal sollte sein Wien-Besuch geheim bleiben, doch wenig überraschend ging das ziemlich daneben. Vor dem Hotel versammelten sich Menschenmassen, um einen Blick auf den King of Pop zu erhaschen. Jackson wollte ein Schloss im Burgenland besichtigen und eventuell sogar erwerben. Doch wie sollte das ohne Aufsehen funktionieren? Eine Luxuslimousine kam nicht in Frage, das wäre zu auffällig gewesen. Die Empfangsdame des Hotels wusste Abhilfe: Sie und ihr Ehemann, der in der Hotelküche beschäftigt war, packten Michael Jackson unter eine Decke, schleusten ihn durch den Lieferanteneingang an den Menschentrauben vorbei und bugsierten ihn auf den Rücksitz ihres alten Opel Kadett. Unerkannt fuhr das Trio ins Burgenland. Über den Kauf des Schlosses wurde man allerdings nicht handelseins.
Manche Gäste – wie Michael Jackson – kommen immer wieder, wenn sie sich in einem Hotel wohlfühlen. Und manche reisen gar nicht mehr ab und werden zum Dauergast. So wie Leopold Stastny, der 13 Jahre lang das Zimmer 26, ein geräumiges Eckzimmer im Hotel Fürstenhof am Neubaugürtel gegenüber vom Westbahnhof, bewohnte. Der weißhaarige Herr mit dem tschechischen Akzent, ging nach Hugo Meisl und Herbert Prohaska als längstdienender Trainer der österreichischen Fußballnationalmannschaft in die Sportgeschichte ein. Obwohl in Bratislava geboren, verfügte Stastny über einen wunderbaren Wiener Schmäh, an dem er gern auch andere teilhaben ließ.
Beispielsweise an jenem Tag, an dem ein Ländermatch Brasilien gegen Deutschland im österreichischen Fernsehen gezeigt wurde. Eine deutsche Reisegruppe saß in der Hotelhalle des Fürstenhofs gebannt vor dem TV-Gerät. Mitten unter ihnen Leopold Stastny. Er betätigte sich als Fußballprophet. „Jetzt, gleich werden die Deutschen angreifen. Doch sie kommen nicht weit. Der brasilianische Verteidiger wird den Stürmer foulen“, kündigte er an. Sekunden später war es so. „Und jetzt wird Brasilien im Gegenangriff den Ball verlieren. Wieder richtig. Die deutschen Touristen wunderten sich, ärgerten sich, waren baff. Jedes Tor, jeden Corner, jedes Abseits: Stastny wusste alles, noch bevor es geschah und zögerte nicht, es den Umsitzenden mitzuteilen. Was er dabei verschwieg: Das Match lief zeitversetzt. Der österreichische Rundfunk hatte sich ein paar Stunden zuvor der Expertise des ehemaligen Teamchefs bedient und ihn als Co-Kommentator eingesetzt. Im Fernsehen lief für Stastny quasi schon die Wiederholung. Für die anderen Gäste war’s die Premiere.
Eva Gogala,
Die Wiener Grand Hotels und ihre Gäste –
die Menschen, die Geschichten.
Metroverlag, 208 Seiten, 24,90 €
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