Selbstbildnis vor blauem Hintergrund, 1904/05

Selbstbildnis vor blauem Hintergrund, 1904/05
Sabine Haag, Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums, präsentiert für die freizeit die 100 größten Kunstwerke Österreichs.

Der österreichische Expressionist hat seine Bilder nie in einer der in Wien um 1900 zahlreich stattfindenden Ausstellungen zeitgenössischer Kunst unterbringen können – auch weil er dem Kunstbetrieb in seiner Heimatstadt kritisch gegenüberstand. Als er dieses Selbstbildnis malte, zeichnete sich sein selbstgewähltes gewalttätiges Ende noch nicht ab. Die verhängnisvolle Liebesbeziehung zu Mathilde Schönberg, der Ehefrau des berühmten Komponisten, sollte im Frühjahr 1906 beginnen. Die Affäre stürzte ihn letztlich in derart tiefe Verzweiflung, dass er mit nur 25 Jahren sein Leben selbst beendete.

Es ist eines der ungewöhnlichsten Werke österreichischer Malerei im 20. Jahrhundert: Vor monochrom blauem, wie von unruhigem Licht beschienenem Hintergrund steht der Maler, mit nacktem Oberkörper und einem weißen Leinentuch um Hüfte und Beine gewickelt, vor dem Betrachter.

Gerstl inszeniert sich nicht als Maler – er verzichtet auf erzählerische Details oder eine realistische Atelierumgebung. Mit fesselndem Blick, der gleichzeitig in unbestimmte Ferne gerichtet ist, steht er in beinahe messianischer Anmutung und in Lebensgröße vor uns. Hier nimmt die Kunst gleichsam religiöse Formen an.

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