Die Schöne & das Biest

Die Schöne & das Biest
Ein Haus mit Vergangenheit, das die Geschichte der Natur und der Menschheit erzählt. Das Naturhistorische Museum wird heuer 125 Jahre alt und erfindet sich gerade neu.

Die kleinen Augen des Sauriers beginnen zu blinzeln. Der sechsjährige, pummelige Bub packt mit seiner Rechten die Hand seines Vaters und steckt sich den Zeigefinger der Linken in die Nase. Mit offenem Mund verfolgt er die Bewegungen des Allosaurus, wie der seinen faltigen Hals krümmt, den Kopf wendet, mit dem wuchtigen Schwanz schlägt. Dazu röchelt und faucht das Urtier. Erst als das unheimliche Schauspiel zu Ende ist, entspannt sich der Kleine und nimmt, schwups, den Finger wieder aus der Nase. Schon spektakulär, wie Pressluft und Computersteuerung das Sauriermodell zum Leben erwecken. Kein Wunder, dass es die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich zieht und der viel größeren Sensation gleich nebenan die Show stiehlt: Einem 70 Millionen Jahre alten Originalskelett der größten Schildkröte der Welt, das quasi als Überraschungsei in einem Steinblock versteckt ins Naturhistorische Museum kam und dort erst mühsam herausgekratzt und freigelegt werden musste.

125 Jahre wird das Museum heuer alt, das einst gebaut wurde, um der immer mehr gewachsenen Naturaliensammlung Platz zu bieten, die Franz Stephan von Lothringen, der Ehemann Maria Theresias, einst erworben hatte. Es beherbergt neben den Sauriern auch die berühmteste Frau Österreichs, die kleine, dicke Venus von Willendorf. Die Schöne und das Biest.

Die Schöne & das Biest
Ein Denkmal

Mehr als 700.000 Besucher zählte das NHM im vergangenen Jahr und brachte das denkmalgeschützte Haus, errichtet von den Ringstraßenarchitekten Semper und Hasenauer, an seine Grenzen. Die Kuppel im Herzen des Gebäudes gegenüber der Hofburg ist 60 Meter hoch und ein Teil der Skyline der Wiener Innenstadt.

Geschichtsträchig

Manche Objekte haben sich seit der Museumsgründung nicht verändert. Die ausgestopften Löwen zum Beispiel. Die beiden Seeadler im Horst hat einst Kronprinz Rudolf, ein Hobbyornithologe, erlegt

Das Haus, erbaut von den Ringstraßenarchitekten Semper und Hasenauer, ist für die meisten Menschen das erste Museum, das sie kennenlernen. Vieles ist noch so, wie es immer schon war. Der Parkettfußboden knarzt, es riecht intensiv nach Bohnerwachs. Und auch die alten, denkmalgeschützten Holzschaukästen, die die Säle füllen, dürfen nicht durch moderne Museumsmöbel ersetzt werden und sind Christian Köberl, Direktor seit mittlerweile vier Jahren, ein Dorn im Auge. Trotzdem ist das Museum dabei, den Mief der Vergangenheit abzulegen. Nicht nur wegen des Lichts. Das Gebäude, als "Tageslichtmuseum" errichtet, wurde erst zu Beginn dieses Jahrtausends komplett mit Strom versorgt. Bis dahin war es in etlichen Sälen finster, sobald die Sonne unterging.

Heller wurde es auch in anderer Hinsicht. Der umstrittene "Rassensaal", in dem Anthropologe Johann Szilvássy zwei Jahrzehnte lang sein an die Nazi-Rassenforschung angelehntes Weltbild präsentieren durfte, ist mittlerweile geschlossen. Statt dessen können die Besucher im neu gestalteten Anthropologiesaal auf den Spuren von "Lucy" den aufrechten Gang üben und an der Morphing-Station am eigenen Bild den Weg vom Urmenschen zum Menschen der Neuzeit nachvollziehen.

Es gibt nahezu kein Tier, das es hier nicht gibt. Von den Seeadlern in ihrem Horst, die einst Kronprinz Rudolf, ein begeisterter Hobbyornithologe erlegte, bis zum Elefanten. Auch wenn das lebendige Exemplar in Schönbrunn vermutlich mehr begeistern kann, beeindruckt der graue Riese die Schülerin mit der Punkfrisur, die ihm gerade einmal bis über die Knie reicht, trotzdem: "Wow, ist der fett, der Elefant." Hier gibt es aber auch Tiere, die es eigentlich nicht mehr gibt. Den Dodo etwa oder den Terrorvogel, ein mannshoher, furchterregender, fleischfressender, flugunfähiger Vogel mit riesigen Krallen, der vor 40 Millionen Jahrenlebte. Die Modellbauer des Hauses haben diese seltsamen Lebewesen nachgebaut – erschreckend lebensecht. Weil es im diesem Museum eben alles gibt – mehrere Millionen Objekte, die die Geschichte der Menschheit nacherzählen – mangelt es vor allem an Platz, und die Führungen in den Tiefspeicher zeigen Schaustücke, die sonst nicht zu sehen sind.

Das Lieblingsstück des Direktors ist aber ohnehin recht handlich und ein unscheinbares, graues Ding. Der Eisenmeteorit "Hraschina", der 1751 bei Zagreb vom Himmel fiel und damit der älteste "Außerirdische" im Haus ist. Der Griff zu den Sternen ist das Fach von Christian Köberl. Er ist Meteoritenforscher. "Ohne wissenschaftliche Arbeit gibt es im Museum nichts herzuzeigen", sagt er. Insgesamt arbeiten im Naturhistorischen rund 60 Forscher. Und auch sie haben zu wenig Platz.

Dafür holt Köberl rechtzeitig zu den 25-Jahr-Feiern im September die Sterne vom Himmel. Das Museum bekommt Wiens erstes digitales Planetarium, in denen die Besucher einen Flug zum Saturn, die Eruption eines Jupitermondes oder eine Landung auf dem Mars simulieren können, als wären sie live dabei. Museumsbesuch mit Star-Trek-Effekt.

Aber auch einen Weltuntergang kann jedermann auslösen. Auf dem Impact-Simulator. Meteoritengröße und Geschwindigkeit auswählen, und schon saust er aus dem All auf unser Land zu. Mit beeindruckenden Folgen. Ein Himmelskörper mit 100 Meter Durchmesser hinterlässt einen 400 Meter tiefen Krater und radiert Wien bis zum Wienerwald aus.

Fast noch beunruhigender als ein Dinosaurier, der faucht und sich bewegt.

Die Schöne & das Biest
Österreich, Wien, Naturhistorisches Museum, Mineralogie

Bling-Bling für den Kaiser

2,8 Kilo Edelsteine in dieser gefälligen Form schenkte Maria Theresia ihrem Gemahl. Für Genauigkeitsfanatiker: 2.102 Brillanten und 761 farbige Edel- und Schmucksteine in einer Bergkristallvase. Der Wiener Juwelier Michael Grosser fertigte 1760 das noble Präsent, das die Kaiserin Franz Stephan von Lothringen, einem begeisterten Mineralogen, zum Namenstag in sein Mineralienkabinett stellte.

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neuer Standort, Saal 4

Die kleine Dicke

Sie ist 25.000 Jahre alt und immer noch eine der berühmtesten Frauen des Landes. Die 1908 entdeckte Venus von Willendorf ist nur elf Zentimeter groß und aus Kalkstein geschnitzt. Ihre dünnen Arme mit gezackten Armreifen ruhen auf den schweren Brüsten. Die prähistorische Abteilung wird derzeit umgestaltet. Die Venus bekommt einen eigenen Raum, gemeinsam mit Fanny, der Tänzerin aus Stratzing.

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Die Entstehung der Menschheit

Ein Who’s who der Evolution. In der neu gestalteten Anthropologie lässt sich nachvollziehen, wie wir den aufrechten Gang gelernt haben und wie sich unser Gehirn entwickelt hat. Jeder Besucher kann in der Morphing-Station erkunden, wie er als Urmensch ausgesehen hätte

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Griff nach den Sternen

Das NHM hat die weltweit größte Meteoriten- sammlung. Rechtzeitig zur 125-Jahr-Feier im September wird Wiens erstes digitales Planetarium fertig, in dem die Besucher spektakuläre Reisen ins Universum unternehmen können. Museums-Erlebnis mit Star-Trek-Feeling

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