IGGiÖ-Präsident: "Wir haben mit Politik nichts zu tun"

Ibrahim Olgun, neuer Präsident der islamischen Glaubensgemeinschaft
Der neue Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich im Exklusivinterview.

KURIER: Herr Präsident, droht Ihnen ein Van-der-Bellen-Schicksal? Ihre Wahl zum Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft wurde vom arabischen Flügel angefochten. Muss sie wiederholt werden?

Ibrahim Olgun: Wir leben in einem Rechtsstaat, die Anfechtung ist legitim. Unsere Rechtsexperten sagen, dass die Wahl nicht wiederholt werden muss. Bis zur Entscheidung könnte allerdings ein Kurator bestellt werden. Aber man sollte hinterfragen, welche Motive die Anfechter haben. Vor der Wahl wurde ihnen ein Mitspracherecht angeboten.

Wie wollen Sie die muslimische Gemeinschaft in Österreich wieder vereinen? Es gibt den arabischen, den türkischen, den bosnischen Flügel und alle haben unterschiedliche Interessen. Wie es scheint, ist das ein völlig zerstrittener Haufen.

Wir alle haben eine gemeinsame Religion. Nationalismus hat in der Glaubensgemeinschaft keinen Platz.

Aber wenn schon die Glaubensgemeinschaft untereinander streitet, wie wollen Sie dann Werbung für den Islam im Sinne einer besseren Integration von Muslimen machen?

Wir haben im Islam natürlich unterschiedliche Rechtsschulen, die begrüßen wir auch. Aber der Islam hat universelle Prinzipien, die für alle gültig sind. Wir kennen keinen österreichischen, keinen türkischen oder arabischen Islam. Es gibt nur einen Islam. Es gibt im Islam aber eine soziale und eine religiöse Seite. Die Glaubensregeln sind für alle gleich, die sozialen Regeln muss man natürlich für jede Zeit und für jedes Umfeld anpassen. Letzteres ist für die Integration wichtig und das begrüßen und fördern wir auch.

Sie haben in Ankara Theologie studiert. In den Neunzigerjahren galt die "Ankara Schule" als sehr liberal. Der Koran wurde nicht als zeitlose Offenbarung betrachtet. Das heißt, dass man den Koran durchaus liberaler, also auch für die Gegenwart interpretieren darf. Wie legen Sie den Islam aus?

Zu jeder Zeit wurde der Islam anders ausgelegt. Ich stehe weder für die "Ankara Schule" noch für eine konservative Ausrichtung. Ich nehme mir von allen Interpretationen, die ich für richtig halte, etwas heraus. Aber ich bin eher liberal.

Es scheint aber, dass es in vielen muslimischen Gesellschaften eher eine Rückbesinnung zu einem sehr konservativen Islam gibt. Dazu kommt der IS, der im Namen des Islam Tausende Menschen ermordet hat.

Das macht mich traurig, dass verschiedene extremistische Gruppen unsere Religion missbrauchen. Der Islam ist eine friedliche Religion und hat mit Radikalismus nichts zu tun.

Radikale Gruppen gibt es aber auch in Österreich. Mehr als 100 junge Muslime sind für den IS in den Krieg gezogen; sie wurden hier in Moscheen von Hasspredigern radikalisiert.

Von den extremistischen Gruppen distanzieren wir uns deutlich. Die Radikalisierung passiert aber nur in bestimmten Moscheen, die nicht unter dem Dach der Glaubensgemeinschaft stehen. Diese Jugendlichen hatten auch andere Probleme, wie Diskriminierung in der Gesellschaft, oder sie hatten keinen Job. Die Radikalisierung nur auf den Islam zu reduzieren, halte ich für falsch.

Ein wichtiges Thema ist das Kopftuch. Sie zeigen Verständnis für das jüngste OGH-Urteil, dass ein Verbot von Gesichtsschleiern am Arbeitsplatz erlaubt ist.

Wir begrüßen das. Aber wir sind auch froh über die Entscheidung, dass Frauen, die ein Kopftuch ohne Schleier am Arbeitsplatz aus religiöser Überzeugung tragen möchten, nicht diskriminiert werden dürfen.

Sollten junge Mädchen schon ein Kopftuch tragen?

Wir können als Glaubensgemeinschaft den Menschen nichts aufzwingen. Das ist Privatsache. Kinder sind aber generell von muslimischen Vorschriften ausgenommen.

Sie würden Ihrer Tochter also nicht vorschreiben, dass sie ein Kopftuch tragen soll?

Das müsste sie selbst entscheiden. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn Eltern ihren Kindern etwas diktieren.

Immer wieder hört man von muslimischen Männern, die Frauen nicht die Hand geben.

Das sind nur Einzelfälle und ich lehne das ab.

Es wird Ihnen vorgeworfen, dass Sie Mitglied von ATIB, einem konservativen türkischen Moschee-Verein sind. ATIB, so sagen Kritiker, sei nur der verlängerte Arm der türkischen Regierung in Österreich.

ATIB ist kein ultra-konservativer Moschee-Verein, sondern ein liberaler Verein mit sozialen und kulturellen Aktivitäten. Seit dem Islamgesetz sind religiöse Aktivitäten strikt von sozialen getrennt. Unsere Aufgabe ist die Religion und nicht die Politik.

Die Imame für ATIB-Moscheen wurden jahrelang vom türkischen Amt für Religionsangelegenheit, dem Diyanet, bezahlt. Das Amt untersteht dem Ministerpräsidenten. Einen politischen Einfluss bestreiten Sie?

Ja, die Imame werden durch das neue Islamgesetz jetzt vom Inland finanziert.

Aber Sie müssten doch einen guten Draht in den Diaynet haben. Sie waren Schüler von Mehmet Görmez, dem Präsidenten des obersten Religionsamtes.

Ja, ein Semester. Aber es gibt keinen Kontakt mehr.

Was halten Sie von der politischen Entwicklung unter Erdogan in der Türkei?

Ich kommentiere die türkische Politik nicht. Für mich ist wichtig, dass die Freiheit und die Menschenrechte nicht eingeschränkt werden.

Muslime in Österreich

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) ist zuständig für die Verwaltung der religiösen Belange der rund 500.000 in Österreich lebenden Muslime. Vor wenigen Wochen wurde der 28-jährige türkischstämmige Ibrahim Olgun, der in Österreich geboren ist, zum neuen Präsidenten gewählt. Er folgt auf Fuat Sanaç und ist Mitglied des umstrittenen türkischen Moschee-Vereins ATIB, dem ein Naheverhältnis zur türkischen Regierung nachgesagt wird. Der arabische Flügel der IGGiÖ hat die Wahl angefochten und drängt auf eine Neuwahl.

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