Zweite Obduktion im Fall Aliyev gefordert

Durch die Klappe der Zellentür wurde Aliyev am späten Abend noch sein Medikament gereicht. in der Nacht erhängte er sich mit einer Mullbinde am Kleiderhaken im Badezimmer des Einzel-Haftraums.
Mögliche Befangenheit des Gerichtsmediziners - Freigabe der Leiche im Namen der Witwe beantragt.

Alle Untersuchungsergebnisse deuten auf Selbstmord hin, geklärt ist damit aber noch lange nichts. Hat sich der unter Mordverdacht gestandene kasachische Ex-Botschafter Rakhat Aliyev in seiner Zelle freiwillig erhängt oder wurde er dazu getrieben? Und was stand auf den angeblich von Justizwachebeamten herausgerissenen Seiten der Tagebücher, die Aliyev in seiner Zelle geschrieben hat?

Am Dienstag hätte der 52-Jährige als Kronzeuge in einem Prozess gegen zwei ehemalige Zellengenossen aussagen sollen, die ihn erpresst haben sollen. Man könne ihn im Waschraum umbringen und es wie Selbstmord aussehen lassen, soll gedroht worden sein. Genau so wurde Aliyev am Dienstag um 7.20 Uhr Früh gefunden: in der Jogginghose, mit einer Mullbinde am Kleiderhaken im Nassraum seiner Einzelzelle erhängt – und es schaut sehr nach Selbstmord aus. Die Auswertung der Videobänder vom Gang vor den Zellen hat ergeben, dass sich niemand unberechtigt Zutritt verschafft hat. Ebenso wie die Überprüfung des elektronischen Türstandsanzeigers: Die Zellentür wurde nachts nicht geöffnet. Die Nachtschwester hat dem herzkranken Aliyev um 21.30 Uhr lediglich durch die Klappe sein Medikament durchgereicht.

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Friseur-Termin

Die Obduktion ergab keine Hinweise auf Fremdeinwirkung. Aliyevs Anwälte Manfred und Klaus Ainedter zweifeln dennoch am Selbstmord. Für Dienstagfrüh hatte Aliyev einen Termin mit dem Gefängnis-Friseur, weil er sich für seinen Zeugenauftritt die Haare schneiden lassen wollte. Er freute sich, im Verhandlungssaal seine (zweite) Ehefrau zu treffen und von ihr zu erfahren, wie es dem kleinen Sohn geht, der an Mittelohrentzündung leidet.

Für Klaus Ainedter ist das Obduktionsergebnis noch nicht bindend. Er hat namens der Witwe die Freigabe der Leiche beantragt, um sie einer zweiten Obduktion durch einen Gerichtsmediziner seiner Wahl zuzuführen. Die erste wurde von Prof. Daniele Risser durchgeführt. Nicht, dass Ainedter diesem misstrauen würde, doch der Anschein einer möglichen Befangenheit liegt in der Luft. Risser sollte auch als Gutachter der Anklage im Mordprozess gegen Aliyev auftreten.

Dem in seiner Heimat in Ungnade gefallenen Ex-Schwiegersohn von Kasachstans Staatschef Nursultan Nasarbajew wurde angelastet, im Jahr 2007 Auftraggeber der Entführung, Folterung und Ermordung zweier kasachischer Bankmanager gewesen zu sein. Die Leichen wurden trotz Entsorgung in mit Kalk gefüllten Fässern 2011 entdeckt. Die Familienväter waren mit Elektrokabeln stranguliert und mit Plastiktüten über dem Kopf erstickt worden.

Todesursache

Risser erstattete 2011 für den Mordprozess gegen Aliyev und zwei mutmaßliche Komplizen, dessen Beginn für kommenden April angesetzt ist, ein Gutachten über die Todesursache der Opfer sowie die Liegezeit der Leichen. Und nun untersuchte er die Todesursache bei Aliyev.

Rätsel gibt auch der Inhalt von Aliyevs zwei Tagebüchern im A5-Format auf, die er als U-Häftling handschriftlich geführt hat. Es herrschte reges Interesse an den Aufzeichnungen.

Im Juli 2014 wurde Aliyev wegen seiner Herzkrankheit von der Justizanstalt Josefstadt ins Krankenhaus transferiert. Im Zuge des Transports soll er bemerkt haben, dass aus einem Tagebuch – offenbar von einem Justizwachebeamten – Seiten herausgerissen wurden. Er zeigte das Büchlein mit den fehlenden Seiten seinem Anwalt, der Beschwerde bei der Gefängnisverwaltung erhob. Von dort kam die lapidare Antwort, dass kein Beamter etwas aus dem Tagebuch entfernt habe.

Aliyev beklagte sich bei Ainedter in der Folge allerdings noch mehrmals, dass die Justizwache bei Zellendurchsuchungen seine Tagebücher durchstöbert hätte.

Die Polizei ermittelt jetzt, zu wem Rakhat Aliyev – der täglich ein Mal mit Ehefrau und Anwälten telefonieren durfte, aber nicht angerufen werden konnte – in den letzten Tagen Kontakt hatte. Die Anwälte vermuten, dass ihn jemand mit der Drohung in den Freitod gehetzt haben könnte, im Fall seines Weiterlebens seiner Familie etwas anzutun.

Rakhat Aliyev war eine höchst gefährdete Person. Die Brisanz des Falles erfuhr die Bundesregierung erstmals am 19. April 2007 durch eine Depesche der österreichischen Botschaft in Astana. Demnach war Botschafterin Ursula Fahringer zum kasachischen Vizeaußenminister Kairat Sarybaj zitiert worden. Der verlangte die sofortige Verhaftung Aliyevs durch die österreichischen Behörden und drohte, dass andernfalls die bilateralen Beziehungen gefährdet seien.

Nun begann eine beispiellose Jagd des kasachischen Geheimdienstes (KNB) auf Aliyev in Wien. Ein Bericht des Bundeskriminalamts vom 31. Mai 2007 hält fest: "Es ist dafür vorgesorgt, dass eine Entführung des Hrn. Aliyev nicht stattfinden kann. Es wurde ihm angeboten – sollte er seine Meinung ändern –, nach Schwechat eskortiert zu werden."

Putsch

In einem Bericht des Justizministeriums vom 3. Juli 2007 heißt es: "Ehemaliger Ministerpräsident K. betont, Aliyev wäre in Putsch verwickelt gewesen, und würde im Falle einer Auslieferung ‚liquidiert‘. " In der Folge kam es zu einer Reihe von Entführungsversuchen gegen die Gefolgsleute Aliyevs. Als Täter wurden kasachische Diplomaten ausgeforscht, konnten jedoch wegen ihrer Diplomatenpässe nicht verhaftet werden. So heißt es lapidar: "Vollstreckung des EU-Haftbefehles der Staatsanwaltschaft Wien gegen A. N. nicht möglich, weil diplomatischer Status (Botschaftsrat)." Das Botschaftspersonal wurde inzwischen ausgetauscht.

Was aber den Anwälten Aliyevs besondere Sorge bereitet, ist die illegale Agententätigkeit einiger österreichischer Polizisten für den KNB. Die beschrieb BVT-Chef Peter Gridling vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss so: "Was für uns schon immer erschreckend war, war in dem Gesamtkomplex die Zahl der Polizisten, die in diesen Ermittlungen aufgetaucht sind. Das war für uns sicher etwas, das wir in dieser Form nicht erwartet hätten. Und wir haben da auch, glaube ich, fünf Polizisten insgesamt zur Anzeige gebracht."

Der Fall Aliyev beschäftigte die österreichische Justiz und Politik seit Jahren. In der Nacht auf Dienstag wurde der kasachische Ex-Botschafter in Österreich, Rakhat Aliyev (zwischenzeitlich: Shoraz), in der Justizanstalt (JA) Josefstadt erhängt aufgefunden. Ende Dezember wurde gegen Aliyev eine Anklage wegen Doppelmords an zweier kasachischer Bänker erhoben. Eine Chronologie.

2002 Rakhat Aliyev, Schwiegersohn des autokratischen Staatschefs Nursultan Nasarbajew, wird nach Putsch-Gerüchten als kasachischer Botschafter nach Österreich geschickt.

2005 Aliyev kehrt als Vize-Außenminister nach Kasachstan zurück.

31. Jänner 2007: Zwei Manager der kasachischen Nurbank verschwinden spurlos. Haupteigentümer der Bank ist Rakhat Aliyev.

9. Februar 2007: Aliyev wird wieder als Botschafter nach Österreich geschickt.

23. Mai 2007: Ermittlungen gegen Aliyev wegen der Entführung der beiden Bankmanager.

26. Mai 2007: Aliyev wird als Botschafter abgesetzt.

28. Mai 2007 Kasachstan erlässt einen Haftbefehl gegen Aliyev.

30. Mai 2007: Auslieferungsantrag der kasachischen Justiz an Österreich.

1. Juni 2007: Aliyev wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vorübergehend in Haft genommen.

4. Juni 2007: In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "profil" erklärt Aliyev, dass das Vorgehen der kasachischen Justiz politisch motiviert sei. Es handle sich um Rache für seine Ambitionen auf das Präsidentenamt und dafür, dass er sich geweigert habe, dem Staatschef und seiner Entourage lukrative Unternehmensanteile zu überschreiben.

8. August 2007: Österreich lehnt Auslieferungsantrag für Aliyev ab. Er könne in dem zentralasiatischen Land kein faires Verfahren erwarten.

17. Jänner 2008: Aliyev wird wegen der Gründung einer mafiösen Vereinigung und Entführung zweier Bankmanager in Abwesenheit von einem kasachischen Strafgericht zu 20 Jahren Haft verurteilt. Kasachstan stellt daraufhin einen weiteren Auslieferungsantrag an Österreich, zur Vollstreckung der Strafe.

26. März 2008: Neben Aliyev wird auch der kasachische Ex-Geheimdienstschef Alnur Mussayev wegen Planung eines Staatsstreichs in Abwesenheit von einem Militärgericht zu 20 Jahren Straflager verurteilt.

Juli-September 2008: Drei gescheiterte Entführungsversuche gegen Mussayev und den Aliyev-Vertrauten Vadim Koshlyak in Wien. Laut dem österreichischen Verfassungsschutz wurden die Versuche vom kasachischen Geheimdienst "finanziert, koordiniert und in Auftrag gegeben".

September 2008: Nach Intervention des Außenministeriums zieht die kasachische Botschaft einen in die Entführungen verwickelten Diplomaten aus Wien ab.

29. Jänner 2009: Ein Wiener Polizist, der Daten an den mutmaßlichen kasachischen Spion Ildar A. weitergegeben hatte, wird wegen Amtsmissbrauchs zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt. Ildar A. ist bereits in U-Haft.

10. Juli 2009: Wegen Gerüchten, der kasachische Geheimdienst habe auch Abgeordnete beeinflusst, setzt das Parlament einen Untersuchungsausschuss ein. Diese Gerüchte werden später auch vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) bestätigt.

18. Jänner 2010: Der mutmaßliche kasachische Spion Ildar A. wird in einem Prozess um die Entführungen von einem Wiener Gericht freigesprochen.

28. August 2010: Der Wiener Anwalt Gabriel Lansky wirft Aliyev die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Er soll in Österreich eine "Geldwaschmaschine" betrieben haben, über die er 100 Millionen Euro verschoben habe.

Dezember 2010: Bundespräsident Heinz Fischer besucht Kasachstan, nachdem er zwei Jahre davor eine Visite kurzfristig abgesagt hatte. In US-Depeschen, die von Wikileaks veröffentlicht wurden, heißt es, die Absage sei auf Intervention Aliyevs erfolgt. Die Präsidentschaftskanzlei weist diese Berichte aufs Schärfste zurück.

Jänner 2011: Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) bestätigt, dass er als Berater für die kasachische Regierung tätig ist.

30. Jänner 2011: Laut dem ZDF ermittelt die deutsche Justiz wegen Geldwäsche gegen Aliyev. Eine zentrale Rolle soll dabei ein Metallbetrieb in Nordrhein-Westfalen gespielt haben.

Februar 2011: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) revidiert seine Spruchpraxis und erlaubt die Auslieferung eines Kasachen durch die Ukraine an sein Heimatland. Juristen sehen damit die österreichische Justiz im Fall Aliyev in Zugzwang.

28. Februar 2011: Die Berliner Anwaltskanzlei des deutschen Ex-Politikers Lothar de Maiziere erhebt schwere Vorwürfe gegen Aliyev. Dieser soll die Folterung und Misshandlung zweier Kasachen in Auftrag gegeben und teils sogar persönlich verübt haben. Zwei Leibwächter des kasachischen Premiers Akezhan Kazhelgeldin geben an, gefoltert worden zu sein, weil sie sich geweigert haben, ihren Chef zu belasten.

18. Mai 2011: Aus dem Entführungsfall wird ein Mordfall: Auf dem Gelände einer ehemaligen Firma Aliyevs in Kasachstan werden die Leichen der beiden verschwundenen Nurbank-Manager gefunden. Gerichtsmedizinern der Berliner Charite gelingt die Identifizierung der in Kalkfässer gesteckten Leichen. Aliyev spricht von durch den kasachischen Geheimdienst manipulierten Beweisen.

6. Juni 2011: Anwalt Lansky wirft den österreichischen Behörden vor, sich als Fluchthelfer für Aliyev und seine vier mutmaßlichen Mittäter zu verdingen. Aliyev ist eigenen Angaben zufolge schon seit zwei Jahren nicht mehr in Österreich.

16. Juni 2011: Das Landesgericht Wien lehnt auch den zweiten Auslieferungsantrag Kasachstans im Fall Aliyev, jenen zur Vollstreckung der Strafe, ab.

Seit Juli 2011: Auch österreichische Behörden beginnen Ermittlungen gegen Aliyev wegen Mord- und wegen Geldwäschevorwürfen. Aliyev soll sich inzwischen in Malta aufhalten und vorübergehend den Namen seiner Frau, Shoraz, angenommen haben.

März 2013: Aliyev alias Shoraz erhebt in seinem neu erschienen Buch "Tatort Österreich" erneut Vorwürfe gegen österreichische Politiker. Genannt werden darin etwa der ehemalige Innenminister Karl Blecha (SPÖ) und sein Parteikollege, Ex-Parlamentarier Anton Gaal, aber auch Ex-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (ÖVP) und die FPÖ-Abgeordneten Harald Vilimsky und Johannes Hübner. Sie seien "Helfershelfern" Kasachstans, die auf juristischem, medialem und politischem Wege an seiner Diskreditierung und Auslieferung gearbeitet hätten.

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