Zwei Jahre U-Haft führten auf die Intensivstation

Bruckberger liegt im AKH auf der Intensivstation: Er müsse Zeichen setzen, um gehört zu werden, sagt er.
Gewinnspiel-Betreiber im Hungerstreik beruft sich auf Beratung durch zwei Justizminister.

Seit mehr als zwei Jahren sitzt ein 47-jähriger Familienvater in U-Haft, vor 40 Tagen trat der Suizidgefährdete in den Hungerstreik, 15 kg hat er schon abgenommen. Inzwischen befindet sich Gerhard Bruckberger – von einem Justizbeamten bewacht – auf der Intensivstation im AKH. "Er liegt wie ein Häufchen Elend im Bett", sagt seine Lebensgefährtin Verena Küßler zum KURIER: "Unserem vierjährigen Sohn muss ich jeden Tag erklären, warum der Papa nicht heimkommt."

Gerhard Bruckberger steckte hinter dem "Friedrich Müller"-Versand, der jahrelang Gewinnspiele betrieben hat (siehe unten). Und zwar unter den Augen der Strafjustiz, die nichts Illegales finden konnte. Das europaweit agierende Unternehmen beschäftige höchst angesehene Anwälte wie Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer oder Wolfgang Brandstetter, damals noch nicht Justizminister. Die Top-Juristen bescheinigten, dass mit den zu Bestellungen verlockenden Gewinnspielen niemand betrogen werde. Eine parlamentarische Anfragebeantwortung des Justizministeriums ergab ebenfalls keine strafrechtlich relevante Täuschung.

Missverständnis

Diese Sichtweise änderte sich am 4. Februar 2013 über Nacht. Bruckberger wurde verhaftet, obwohl der "Friedrich Müller"-Versand längst eingestellt war. Seine Lebensgefährtin rief Wolfgang Brandstetter an und bat um Beistand, er habe das Unternehmen doch juristisch beraten. Brandstetter erklärte, er würde als Strafverteidiger keine neuen Fälle übernehmen. Verena Küßler: "Aber er beruhigte mich, es müsse sich um ein Missverständnis handeln, das sich rasch auflösen werde. Diese Worte werde ich nie vergessen."

Das "Missverständnis" dauert nun schon 25 Monate. Brandstetter wurde inzwischen Justizminister, und die Briefe von Frau Küßler bleiben unbeantwortet. In laufende Verfahren kann sich der Justizminister nicht einmischen. Bruckberger stand inzwischen zwei Mal vor Gericht. Bei zwei verschiedenen Richterinnen im selben Haus, dem Wiener Landesgericht. Zur selben Thematik "Betrug mit Gewinnspielen", nur mit zeitversetzten Tatzeiträumen (2000 und 2008). Eine Richterin fällte einen Freispruch, mit der Begründung: Was soll ein Kaufmann mehr machen, als sich beraten zu lassen? "Brandstetter und Böhmdorfer sind ja keine Hintertuxinger, die müssen ja was im Kopf haben, wenn sie als Minister die Gesetze hüten sollen", sagt Verena Küßler. Die andere Richterin verurteilte den 47-Jährigen wegen Betrugs zu vier Jahren Haft. Begründung: Er habe sich hinter den "Gutachten" der Anwälte nur versteckt. Beide Urteile wurden beeinsprucht, der Freispruch vom Staatsanwalt, die Verurteilung von Verteidiger Herbert Eichenseder.

Enthaftungsanträge werden abgelehnt, obwohl Bruckberger bereits mehr als die Hälfte jener nicht rechtskräftigen vier Jahre Haft abgesessen hat, die vielleicht gar nie schlagend werden. Fluchtgefahr, heißt es. "Aber wir haben nicht irgendwo ein Haus, er war nie im Ausland, und alles Geld ist gesperrt", sagt Verena Küßler. Auch die Fußfessel wird mit dem Hinweis nicht gewährt, Bruckberger könnte ja daheim am PC weiterhin Gewinnspiele verbreiten. "Dabei wurde alles über Postwurfsendungen vertrieben, nichts übers Internet", sagt die 34-Jährige.

Bis zur Verhaftung von Bruckberger hatte die Staatsanwaltschaft 13 Jahre ermittelt, ohne einen Betrugsverdacht auch nur ansatzweise erhärten zu können. Der "Friedrich Müller"-Versand- und Glücksspielhandel wurde auch in Deutschland und Slowenien betrieben, dort wurden alle Verfahren eingestellt. Die Kunden, die Kosmetikartikel bestellten, bekamen Zuschriften: Sie hätten einen von vier Gewinnen zwischen einem neuen Auto und einem Warengutschein im Wert von mindestens 250 Euro erzielt und sollten 50 Euro Bearbeitungsgebühr für die Auslosung ihres Gewinnes überweisen.

Wolfgang Brandstetter und andere Juristen waren damals der Ansicht, bei diesem Lotterie-Gemeinschafts-Gewinnspiel liege keine Vermögensschädigung vor, weil dem Einsatz von 50 Euro jedenfalls eine Mehrleistung von 250 Euro (Warengutschein) gegenüberstehe. Daher liege kein Betrug vor. Das Unternehmen konnte auch nachweisen, dass tatsächlich Gewinne ausgeschüttet wurden.

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