"Wir sind ein Dorf in der Stadt"

"Wir sind ein Dorf in der Stadt"
Das bürgerliche Grätzel rund um die Ecke Ungargasse/Neulinggasse wird langsam, aber doch cool.

Als Walter Winkler vor sieben Jahren Qualtingers ehemaliges Stammwirtshaus "Zum Posthorn" in der Posthorngasse im dritten Bezirk "aus dem Dornröschenschlaf geholt hat", habe man ihm vorgeworfen, aus der Gasse ein Bermuda-Dreieck zu machen. "Das ist ein erzkonservatives Grätzel hier", sagt Winkler. Und er muss es wissen, schließlich wohnt er seit 40 Jahren in dem Grätzel rund um die Kreuzung Ungargasse-Neulinggasse.

Die Gegend ist ruhig und bedächtig. Man kennt sich, man grüßt sich.

"Wir sind ein Dorf in der Stadt"
Vor allem zur Posthorn- und zur Krummgasse hin gleiche die Gegend einem "gallischen Dorf", sagt Winkler, der im Bezirk von allen nur der "Hofrat" genannt wird (und zwar weil sein Schwiegervater, ein geborener Mayerhofer, den Namen seiner Frau, einer geborenen Hofrat, annahm und von da an der Hofrat-Mayerhofer war, also ein "echter" Hofrat).

"Aber mittlerweile passiert ein bissl was", sagt der Hofrat. "Wegen den Jungen."

Zum Beispiel wegen Selina Kolland (29), Valère Schramm (28) und Cornelius Klimt (24). Vor fünf Jahren räumten sie mit Freunden das alte Requisitenlager von Allegro Film in der Krummgasse aus, veranstalteten einen Flohmarkt und gründeten „Die Requisite“ in der Krummgasse 1a. Einen Raum für Veranstaltungen, Ausstellungen, Kunst und Gesellschaft. Die Requisite kann für so gut wie alles (außer Partys) gemietet werden. Jeden Montagabend findet ein Nachbarschaftscafé statt.

Abgestaubt

"Wir sind ein Dorf in der Stadt"
"So einen Raum hat es hier gebraucht", sagt Cornelius Klimt. "Wir setzen uns dafür ein, dass es eine Nachbarschaft gibt und wollten dem verstaubten Bezirk ein bisschen Leben einhauchen", sagt Selina Kolland.

Und auch bei ihnen sei das am Anfang gar nicht so gut angekommen. Manche Nachbarn fürchteten um ihre Ruhe, eine Frau wollte gar eine Petition gegen die Grätzel-Initiative ins Leben rufen. Cornelius Klimt hat auch eine Idee davon, warum das so ist: "Die Krummgasse ist die Krummgasse. Wir sind ein Dorf in der Stadt. Eine Gasse mit viel Herzlichkeit und ein bisschen Missgunst." Mittlerweile sei die Nachbarin eine jener Nachbarn, die Kuchen zu Gassenfest bringen.

Einmal im Jahr veranstaltet die Requisite ein Gassenfest. Mit Flohmarkt, Musik, Hüpfburg, Kinderschminken und Kuchen-Stand (heute von 14 bis 20 Uhr).

"Wir sind ein Dorf in der Stadt"
Mit von der Partie am Krummgassenfest ist auch Clemens Winkler (24). Der Sohn vom Hofrat ist im Grätzel aufgewachsen und eröffnete vor drei Jahren die Bar "Neulich" in der Neulinggasse. Am Anfang fanden nur die Jungen den Weg in seine Bar, mittlerweile kommen auch Ältere. "Es tut sich was, bei uns im Bezirk", sagt Clemens Winkler. "Früher hat’s wirklich nichts gegeben, aber jetzt entwickelt sich langsam eine Community. Wir sind ein bissl wie ein Dorf."

Das findet auch Sonja Baldauf. Die Vorarlbergerin betreibt gemeinsam mit ihrem Schweizer Ehemann die Seifenmanufaktur "Wiener Seife" in der Hintzerstraße. Dort fertigen und verkaufen die beiden handgemachte Natur- und Bioseifen. Dass es sie genau in dieses Grätzel verschlagen hat, sei reiner Zufall gewesen "Ich fand es in Wien ja überall schön, aber hier hab ich jetzt mein persönliches Bermuda-Dreieck", sagt Baldauf. Ihr Geschäft, die Manufaktur und ihre Wohnung.

"Wir sind ein Dorf in der Stadt"

Die Requisite
3., Krummgasse 1a

Neulich
3., Neulinggasse 13

Winkler’s Zum Posthorn
3., Posthorngasse 6

Wiener Seife
3., Hintzerstraße 6

Liquids (Getränkeladen)
3., Ungargasse 30

Lucia’s Laden (Bio)
3., Ungargasse 36/3

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