Wilhelminenberg: Justiz wusste nichts von "Todesfall"

Dem Staatsanwalt war der Vorwurf, ein verprügeltes Heimkind sei vielleicht gestorben, nicht bekannt. Das Verfahren wurde eingestellt.

Rätselraten herrscht weiter um einen vermeintlichen Todesfall im Kinderheim Wilhelminenberg. Wie der KURIER berichtete, gab Elfriede S. (Name von der Redaktion geändert), die in den Jahren 1948 bis 1953 dort lebte, Anfang der Woche zu Protokoll, dass möglicherweise ein Kind von einer Lehrerin während des Unterrichts zu Tode getreten worden ist. Opferanwalt Johannes Öhlböck hatte den mutmaßlichen Todesfall am Dienstag bei einer Pressekonferenz publik gemacht.

Wie Recherchen des KURIER am Mittwoch ergaben, handelt es sich dabei um denselben Fall, der bereits im Jahr 2010 von der Staatsanwaltschaft Wien behandelt wurde. Das Verfahren wurde eingestellt. Allerdings wurde die jetzt behauptete Tötung nie untersucht. Der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Wien, Thomas Vecsey, erklärte auf KURIER-Anfrage, dass es damals "überhaupt keinen Anfangsverdacht" in Richtung eines Tötungsdelikts gegeben habe.

Kein Name

Die Anzeigerin Elfriede S. habe an ihr selbst begangenen Misshandlungen sowie sexuellen Übergriffen in den 1950-er Jahren geschildert und ihre Beobachtung über die schwere Misshandlung eines anderen Heimkindes in der Schulklasse am Wilhelminenberg mitgeteilt. Die namentlich bekannte Lehrerin habe eine Klassenkollegin von Elfriede S. krankenhausreif geschlagen. Von einem Kapitalverbrechen habe Elfriede S. damals nicht gesprochen und auch nicht den vollen Namen des anderen Opfers genannt.

Da sämtliche geschilderten Misshandlungen längst verjährt waren, wurde das Verfahren ohne weitere Ermittlungen im September 2010 eingestellt. Körperverletzungsdelikte verjähren - wenn es keine Todesfolge gibt - nach längstens zehn Jahren.

Um den nun von Elfriede S. vermuteten Tötungsfall neu aufrollen zu können, braucht die Staatsanwaltschaft einen Namen: "Wir haben ja kein Opfer", sagt Vecsey. Dass das Mädchen nach den Schlägen in der Schule nicht mehr wieder aufgetaucht sei, wie Elfriede S. behauptet, ist dem Ankläger zu wenig: "Wenn wir immer gleich wegen Mordes ermitteln würden, sobald jemand verschwindet, hätten wir viel zu tun", sagt Vecsey im Gespräch mit dem KURIER.

Glaubwürdig

Jurist Johannes Öhlböck sagte am Mittwoch zur Debatte: "Ich habe auf der Basis von mir vorhandenen Informationen berichtet. Ich habe das mitgeteilt, was mir Frau S. authentisch und glaubwürdig geschildert hat." Den Akt des Staatsanwaltes kenne er nicht.

Aufklärung

Während sich beim KURIER laufend weitere Opfer melden (es konnten noch lange nicht alle Anfragen beantwortet werden, Anm.), wird bereits über die politische Verantwortung im Heimskandal diskutiert. Wie berichtet, sollen Kinder über Jahrzehnte körperlich misshandelt, psychisch gebrochen und sexuell missbraucht worden sein.

Gabriele Tamandl, VP-Abgeordnete zum Nationalrat, fordert einen Sonderlandtag zum Wiener Kinderheimskandal. Sie glaubt, "dass zumindest ein Teil der schrecklichen Vorkommnisse bewusst von den damaligen Verantwortlichen der SPÖ vertuscht worden ist".

Auch die FPÖ will im Gemeinderat das Thema aufs Tapet bringen. "Ich möchte klarstellen, dass es unverzichtbar ist, eine lückenlose Aufklärung der bekannt gewordenen Missbrauchsfälle durchzuführen", sagt der Vorsitzende des SPÖ-Klubs im Wiener Rathaus, Rudolf Schicker. Gleichzeitig spricht er von einer "unverschämten Polit-Kampagne auf dem Rücken ehemaliger Heiminsassen und Opfer - wie das offenbar derzeit von anderen Parteien getan wird". Schicker verspricht: "Wir werden alles tun, damit sich solche Fälle nicht wiederholen."

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