AKH

Bei den Wiener Unikliniken fliegen die Fetzen

Im AKH - Medizin-Uni und städtisches Spital in einem - brodelt es gehörig.
Klinikchefs beklagen Ärztemangel sowie die neue Betriebsvereinbarung und warnen vor medizinischen Engpässen. Der Rektor beruhigt und sieht nur vorübergehende Defizite.

Unter den Spitzenmedizinern der Wiener Universitätskliniken (MedUni Wien) gärt es. Eine neue Betriebsvereinbarung über die Ärzte-Dienstzeiten führe zu Engpässen in der Patientenversorgung, könne längere Wartezeiten und geringere Behandlungskapazitäten an Österreichs Spitzenklinik bedeuten. Maßgebliche Klinikchefs beklagen einen katastrophalen Personalmangel. „Mir tut es leid, dass dieses wunderbare Spital vor die Hunde geht. Dieses Spital wird heruntergewirtschaftet“, erklärte etwa Peter Husslein, Vorstand der Universitäts-Frauenklinik der MedUni Wien im AKH. Rektor Wolfgang Schütz hingegen versucht zu kalmieren und sieht lediglich vorübergehende „Defizite“.

Bei den Wiener Unikliniken fliegen die Fetzen
MedUni-Wien-Rektor Wolfgang Schütz hatte am Dienstag eine Aussprache mit mehreren Abteilungsleitern. Man arbeite daran, „das jetzige Defizit wieder auszugleichen“. Dies sei bis 1. März kommenden Jahres geplant.
Der Kernpunkt seien Management-Maßnahmen ohne Erhöhung der Geldmittel für Ärzte durch das Wissenschaftsministerium, so der Rektor: „Wir haben rund 1500 Ärzte. Es gibt derzeit 173 Nachtdienste. Es wird geprüft, ob man zehn bis 15 Prozent (der Nachtdienste, Anm.) einsparen könnte. Diese Ärzte wären dann am nächsten Tag da.“ Zusätzlich wolle man den Ärztestand insgesamt erhöhen: „Wir werden nicht bei eins zu eins zur alten Situation gelangen. Aber ich sehe keine Gefahr.“ Ausgeruhte Ärzte in der Patientenbetreuung wären wichtiger als unausgeruhte im Dauerdienst.

Der Hintergrund, so der Rektor: „Wir haben eine neue Betriebsvereinbarung auf der Basis des Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes.“ Damit wird die durchgängig mögliche Arbeitszeit eines Arztes am Patienten von ehemals 32 Stunden auf höchstens 25 Stunden reduziert. Dies betrifft die Nachtdienste. Laut Schütz hätten die Ärzte der Uni-Kliniken im Wiener AKH ehemals bis zu 72 Wochenstunden absolviert. Da wäre mit 32 Stunden Dienst (acht Stunden Tagdienst, 16 Stunden Bereitschaftsdienst/Nachtdienst plus noch einmal acht Stunden Tagdienst) bereits die Frage der Unverantwortbarkeit entstanden.

Betriebsvereinbarung

Die neue Betriebsvereinbarung gilt seit 1. September 2013. Der Wiener Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres, ehemals selbst Betriebsrat, bezeichnete die Grundsätze der neuen Vereinbarung als gut – vor allem, weil damit annehmbare Dienstzeitenregelungen verbunden und auch Platz für Forschung sei.

Doch die von allen Betroffenen auch zugegebene Kehrseite ist der offenbare ärztliche Personalmangel an den Wiener Universitätskliniken – vor allem zu den „Stoßzeiten“ am Vormittag. Der Grund: Mit der Betriebsvereinbarung geht jeder Arzt nach einem Nachtdienst und Dienstübergabe aus dem „patientenbezogenen Dienst“. An der Uni-Klinik bzw. an der MedUni Wien soll und kann er dann seine Forschungsarbeit bzw. die Lehre betreiben. Bisher gab es an den Wiener Universitätskliniken 173 Ärzte im Nachtdienst.

Klage über Rahmenbedingungen

Im Hintergrund werden von den kritisch eingestellten Klinikchefs der MedUni Wien auch die Rahmenbedingungen an der Universität beklagt. Das AKH ist städtisches Spital und Medizinische Uni in einem. Für das Pflegepersonal ist die Stadt, für die Ärzte der Bund Dienstgeber. Beide Player verfolgen unterschiedliche Interessen und agierten bisher völlig getrennt voneinander. An den Universitätskliniken und somit im AKH solle Lehre, Forschung und Spitzenmedizin betrieben werden. Für die Gemeinde Wien seien sie eben nur ein „Allgemeines Krankenhaus“.

In der Mediziner-Ausbildung solle bei mehr Studenten in Kleingruppen gelehrt werden. Die Qualitätszertifizierung des Krankenhauses koste Personal. Und, so ein Abteilungsleiter: „Die Patienten werden anspruchsvoller. Wir haben mehr Patienten, die sich beschweren. Das kostet auch Personal. Dabei wird die Zahl der Stellen reduziert und wir haben die neue Betriebsvereinbarung noch dazu.“

Bei den Wiener Unikliniken fliegen die Fetzen
Die Betriebsvereinbarung führe nun dazu, dass Mediziner am Tag nach dem Nacht-/Bereitschaftsdienst für die Patientenversorgung fehlen. Das Beispiel der Wiener Universitäts-Frauenklinik, auch eine der größten Entbindungskliniken: Es gibt jede Nacht neun diensthabende Ärzte. Sie fallen am nächsten Vormittag aus. Die Anästhesie hat laut einem Klinikchef 24 diensthabende Ärzte in der Nacht – und die fehlen dann ebenfalls jeden Tag. Die Kritik eines der maßgeblichen Klinikchefs: Es stehen beispielsweise Operationssäle leer, Operationen werden verschoben. Husslein zog daher folgende Bilanz: „Das System zerbröselt. Wir sind vor 25 Jahren in das Neue AKH eingezogen. Es ist einleuchtend, dass man es generalsanieren und Re-Investitionen von 1,5 Milliarden Euro tätigen muss. So kann es nicht weitergehen.“ Statt ein neues „Krankenhaus Nord“ zu bauen, sollte die Gemeinde Wien besser darauf achten, die Universitätskliniken und somit das AKH nicht zu vernachlässigen.

Engpässe bei Krebspatienten

„Unter den voraussichtlich ab Herbst gegebenen Umständen sehen wir uns allerdings zur Aufrechterhaltung der notwendigen Qualität der Patientenbehandlung gezwungen, die Zahl der in unserer Klinik behandelten Patienten mit Implementierung der neuen Betriebsvereinbarung deutlich zu reduzieren“, schrieb bereits im Juni dieses Jahres der Chef der Uniklinik für Strahlentherapie, Richard Pötter, in einem eMail an die Wiener Klinikchefs. Die Angelegenheit hat besondere Brisanz wegen des in einer europäischen Vergleichsstudie von „Lancet Oncology“ eindeutig erhobenen Defizits von 20 Prozent bei den Strahlentherapie-Kapazitäten für Krebspatienten in Österreich.

Um das Problem des dualen Systems - städtisches Spital und Medizinische Uni in einem - zu lösen soll nun ab 2015 eine neue gemeinsame Betriebsführung her. Doppelgleisigkeiten, Fehlplanungen und unnötige Mehrkosten bei der Behandlung von Patienten wurden zuletzt auch vom Rechnungshof scharf kritisiert (der KURIER berichtete). Die gemeinsame Betriebsführung wird mit Vertretern von Stadt und Bund paritätisch besetzt, die medizinische Leistungen, Personal und Budgets gemeinsam planen. Zudem wird es eine Geschäftsordnung geben, in der Aufgaben und Kompetenzen verbindlich und transparent festgelegt werden.

Das Wissenschaftsministerium verwies im ZUsammenhang mit der Ärztepersonal-Knappheit an den Wiener Universitätskliniken auf die gestiegenen finanziellen Mitteln für die MedUni Wien. Für die aktuelle Leistungsvereinbarungsperiode (2013 - 2015) stelle das Ministerium der Med-Uni Wien rund 950 Millionen Euro zur Verfügung, hieß es in einer Aussendung.

An der Medizinischen Universität Wien und dem AKH würden - wie auch das vor kurzem erschienene “Times Higher Education Ranking" zeige - Lehre und Forschung auf höchstem Niveau betrieben. Dem sei mit dem Budget Rechnung getragen worden. Die 950 Millionen Euro entsprechen einer Steigerung von 128 Millionen Euro und einer überdurchschnittlichen Budgetsteigerung von 15,6 Prozent im Vergleich zur Vorperiode (der Durchschnitt der 21 Unis beträgt 13,1 Prozent Budgetsteigerung).

Zur derzeitigen Diskussionen hieß es kanpp, diese seien an der MedUni Wien selbst zu führen: “Die Betriebsvereinbarung, deren Grundsätze beispielsweise auch vom Wiener Ärztekammerpräsidenten und ehemaligen Betriebsrat Thomas Szekeres befürwortet werden, wurde zwischen dem Rektorat und dem Betriebsrat ausverhandelt und wird folglich auch von diesen beiden Partnern verantwortet."

550.000 Menschen kamen 2011 in die Ambulanzen des AKH.

100.000 Patienten wurden stationär aufgenommen.

1585 Ärzte arbeiten im AKH.

5,32 Tage ist die durchschnittliche Verweilsdauer eines Patienten.

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