Wiener Ärztin von Betrugsverdacht freigesprochen

Der 29-Jährige wurde zu 20 Monaten bedingter Haft verurteilt.
Gericht rehabilitierte Medizinerin und fand Vorgehen der Gebietskrankenkasse "nicht nachvollziehbar".

Mit einem Freispruch ist am Donnerstag im Wiener Landesgericht der Prozess gegen eine praktische Ärztin zu Ende gegangen, die sich seit Juli 2014 wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs vor einem Schöffensenat zu verantworten hatte. Die Begründung kam einer Rehabilitierung der Medizinerin gleich. Zugleich kritisierte Richter Stefan Romstorfer das Vorgehen der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK).

Die praktische Ärztin, die in ihrer Ordination seit Jahren Drogenkranke im Rahmen des sogenannten Substitutionsprogramms betreut hatte, war in den Fokus der WGKK geraten, als zwei ihrer Patienten beim Verkauf von Ersatzpräparaten am Karlsplatz erwischt wurden. Daraufhin wurden die Kassen-Abrechnungen der Ärztin genauestens überprüft, Dutzende ihrer Patienten vorgeladen und befragt und am Ende Anzeige gegen die Ärztin erstattet. Die Staatsanwaltschaft brachte schließlich eine Betrugsanklage ein, in der es hieß, die Ärztin habe zwischen 2002 und 2012 der WGKK nicht erbrachte Leistungen verrechnet und damit zu Unrecht knapp 245.000 Euro bezogen.

Konkret ging es dabei im Wesentlichen um den Tarifposten 761, der ärztliche Gespräche mit Drogenkranken abgilt. Wie der ehemalige WGKK-Obmann Franz Bittner dazu heute im Grauen Haus als Zeuge erklärte, wurde die Position in den 1990er-Jahren geschaffen, um praktische Ärzte zu animieren, sich um die bis dahin mangelhaft medizinisch versorgten Suchtgiftabhängigen zu kümmern. Mit einem finanziellen Anreiz habe man versucht, Allgemeinmediziner für die Behandlung dieser schwierigen Klientel zu gewinnen, sagte Bittner. Die Dauer dieses ärztlichen Beratungsgesprächs habe man bewusst offen gelassen und nicht zeitlich begrenzt, "damit Arzt und Patient eine gewisse Freiheit haben".

Am Ende des umfassenden Beweisverfahrens und nach Anhörung etlicher Zeugen kam das Gericht zum Schluss, dass der Vorwurf, die Angeklagte habe für in Wahrheit gar nicht durchgeführte ärztliche Gespräche kassiert, nicht haltbar war. Die Angeklagte hatte argumentiert, oft habe ihr bereits ein kurzer Blick genügt, um mit ihrem geschulten Auge das Befinden ihrer Patienten zu erkennen. Entsprechend kurz hätten sich manche Besuche gestaltet, an deren Ende sie den Patienten die gewünschten Rezepte ausstellte.

Es sei "ganz klar" zutage gekommen, "dass die Frau Doktor jedenfalls gedacht hat, dass sie es so verrechnen darf", betonte Richter Stefan Romstorfer. Insofern fehle es an der für einen Schuldspruch erforderlichen subjektiven Tatseite. Selbst ein ganz kurzes Gespräch reiche aus, um den Tarifposten 761 - derzeit werden von der WGKK pro Gespräch 26,4 Euro bezahlt - geltend zu machen, so Romstorfer.

"Bedenkliches Kontrollsystem"

Zugleich bezeichnete Romstorfer das Kontrollsystem der WGKK als "bedenklich". Man habe die Ärztin als vermeintlich "schwarzes Schaf" vor Gericht gebracht, habe aber nie genau dargelegt, welchen Umfang und welche Intensität Gespräche mit Drogenkranken überhaupt haben müssen, um diese abrechnen zu dürfen. "Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb es bei der Gebietskrankenkasse da keine geeigneten Schulungen gibt", bemängelte der Richter. Man habe die Problematik, dass es hiezu unterschiedliche Ansichten bei der Krankenkasse und der Ärztekammer gibt, "auf dem Rücken der Ärztin ausgetragen".

Der Freispruch ist nicht rechtskräftig. Staatsanwalt Markus Berghammer gab vorerst keine Erklärung ab. Für Verteidiger Richard Soyer war der Freispruch nicht nur deshalb bedeutsam, weil damit seine Mandantin rehabilitiert wurde. Die Entscheidung des Gerichts sei grundsätzlich ein "wichtiges Zeichen" für alle im Gesundheitswesen tätigen und mit der Substitutionstherapie befassten Personen, gab Soyer nach der Verhandlung zu bedenken.

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