Wien kämpft gegen "Frühpensionitis"
Der Zusammenbruch kam plötzlich. Als Andrea M. erfuhr, dass sie ohne Angabe von Gründen versetzt werden sollte, brach die Welt der Wienerin zusammen. "Ich konnte nicht mehr." Die Arbeit, für die die erfolgreiche Beamtin jahrzehntelang gebrannt hatte, brannte sie am Ende aus. 700 Überstunden pro Jahr hatten ihre Spuren hinterlassen. Die 56-Jährige erlitt zwei Hörstürze, bekam Ausschläge am ganzen Körper und litt unter Mobbing. Es folgten Absturz, Frühpension und Therapie. "Ich habe meine Arbeit immer geliebt. In zehn Jahren war ich nie im Krankenstand und immer für das Magistrat da."
Wettern Wiens Oppositionelle über "Wiens Frühpensionitis", wettern sie nicht nur über Ingenieur Breitfuß und seine Sekretärin Knackal, sondern auch über Frauen wie M. "Dabei sind es vor allem jene, die unbedingt arbeiten wollen, die von Burn-out betroffen sind", sagt Robert Winker. Der Wiener ist Leiter des Vorsorgezentrums im Sanatorium Hera, das sich vor allem um die 73.000 Bediensteten der Stadt kümmert. Mit März startete Winkers Team ein Projekt, dass das Problem der Früh- und Invaliditätspensionen besser in den Griff bekommen soll. Immerhin gingen im Vorjahr 960 Beamte in Wien in Ruhestand. Fast jeder Zweite frühzeitig. "Seit März versuchen wir verstärkt, gewissen Erkrankungen vorzubeugen", sagt Winker. Bei jeder Vorsorgeuntersuchung können die Patienten nun auch einen Fragebogen ausfüllen, der psychische Risikofaktoren ausmacht. 500 Beamte haben dies in den letzten drei Monaten bereits getan – jeder Dritte, der zur Vorsorge kam. Und immerhin 50 von ihnen nahmen auch ein Coachinggespräch mit einer Psychologin in Anspruch. "Das Projekt könnte zum Erfolg werden", sagt Winker. "Eine Soforthilfe ist damit gegeben."
Radar im Magistrat
Die für Beamte zuständige Stadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) sieht das ähnlich: "Wir haben nun quasi ein Radar, das es uns ermöglicht, präventiv zu wirken und unsere Mitarbeiter länger im Beruf zu halten." Frauenberger erwartet sich durch die Fülle der Erfahrungen auch wertvolle Hinweise darüber, wie Magistrate besser und "gesünder" organisiert werden können. "Das ermöglicht uns wiederum eine bessere Schulung des Führungspersonals."
Andrea M. ist über die Neuerungen erfreut, auch wenn sie für sie zu spät kamen. "Wichtig ist, dass die Ersthilfe funktioniert", sagt sie. So wie im Fall von Kathrin G. Die Hausbesorgerin leidet unter enormen Stresssymptomen. "Hier hab’ ich endlich die Möglichkeit zu reden", sagt sie. Und die letzten zwei Jahre bis zum regulären Pensionsalter möchte sie noch durchhalten. "Das bin ich mir schuldig."
25.000 Spitalsmitarbeiter zum Test gebeten
Geht es um ausgebrannte Mitarbeiter der Stadt Wien, so geht es vor allem auch um jene Menschen, die in Spitälern und Pflegeheimen arbeiten. Der Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) hat nun eine Umfrage durchführen lassen. 25.000 Mitarbeiter wurden gebeten, Auskunft darüber zu geben, wie schwer es heute fällt, die tägliche Arbeit zu bewältigen. Immerhin die Hälfte von ihnen hat geantwortet. Das Ergebnis: Die Mehrheit der Pfleger, Ärzte und Krankenschwestern gibt an, mit den Jobanforderungen zurechtzukommen. Doch 46 Prozent der Befragten leiden unter "hohem Zeitdruck", 39 Prozent macht "emotionale Belastung" am Arbeitsplatz zu schaffen und 38 Prozent der Mitarbeiter klagen über "zu große Arbeitsmengen".
"Vor allem jenen, die älter als 50 Jahre sind, macht die Arbeit zunehmend zu schaffen", sagt KAV-General Wilhelm Marhold. "Wenn wir die Leute weiter lange in Beschäftigung halten wollen, müssen wir auch weiter investieren." In welchen Spitälern die Unzufriedenheit am größten ist, will er nicht sagen. Die einzelnen Häuser würden Ende Juni über Details informiert.
Überraschendes Detail
Traut man der Studie, so muss vor allem ein Ergebnis überraschen. Jeder dritte Arzt gibt an, mit den Arbeitszeiten unzufrieden zu sein. "Für mich heißt das, dass die Ärzte selbst ihre Dienstzeiten verändern wollen", sagt Marhold. Seit längerem ringen KAV und Gewerkschaft um neue Arbeitszeitmodelle. Bislang ohne Ergebnis. Marhold will bis Jahresende neue Dienstzeiten, um die OP-Auslastung besser über den Tag zu verteilen. Gewerkschafts-Boss Christian Meidlinger: "Wir sind für andere Arbeitszeiten zu haben, aber nicht für weniger Geld."
Hintergrund: Ärzte müssten bei einer Reform wohl länger im Spital anwesend sein und hätten geringere Verdienstmöglichkeiten abseits des Spitals.
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