Vierstimmig gegen Hundstrümmerln

Künstlerischer Leiter Oliver Hangl (li.) und eine Auswahl des derzeit rund 50-köpfigen Chors bei einem Lied über einen Dauerbrenner: die Wiener Hundehaufen.
Ein Chor macht die Klagen der Wiener zu Musik. Am Montag werden Neulinge aufgenommen.

Bitte, gestern hat so ein Depp seinen Dackel vor meinen Füßen mitten auf den Gehsteig kacken lassen. Für solche Fälle braucht’s eine Meldestelle. Hunde sollten überhaupt eine Nummerntafel tragen – oder deren Besitzer."

So (bzw. in etwas vulgärerer Form) mokierte sich ein Wiener via Posting bei Oliver Hangl. Für den 46-Jährigen ist das nichts Neues. Er freut sich sogar über jeden, der seinem Ärger freien Lauf lässt. Oliver Hangl ist der künstlerische Leiter des Wiener Beschwerdechors. Ein Ensemble, das die Probleme der Wiener auf musikalische Weise verarbeitet.

Wo, wenn nicht in der Welthauptstadt des Grantelns hat so ein Chor seine Berechtigung? Findet zumindest Oliver Hangl, der den Chor 2010 mit Stefan Foidl als Chorleiter gründete. "Komm! Singraunz mit" lautet das Motto des Ensembles, das in den letzten fünf Jahren 47 (oft unangekündigte) Auftritte schaffte. Manche davon waren nur sehr kurz (etwa fünf Minuten im Fluc) andere dafür ziemlich lang (die längste Aktion dauerte zweieinhalb Stunden und fand im Mai übers Wien-Museum statt). Geraunzt wird dabei auf hohem Niveau. Die Lieder sind meist vierstimmig. Das Repertoire reicht vom Improvisations-G’stanzl bis zur komplexen "Sicherheits-Fuge".

Aktionen

Dabei wird bei den Konzerten nicht einfach nur gesungen. Es wird geschrien, geschimpft, demonstriert. Beim Auftritt zum Thema Sicherheitsgefühl ("Na sicha? – sicha ned!") fielen die Sänger zwischendurch ganz einfach um. "Es fühlt sich unglaublich beunruhigend an, wenn um einen herum, Leute einfach wegkippen", sagt Hangl. Bei seinen Auftritten will der Chor die Botschaft nämlich nicht nur über Texte, sondern auch mittels Aktionen vermitteln. In jedem Fall wollen die Sänger bewegen. "Regt’s eich endlich auf", heißt etwa ein Lied, mit dem die vielen Wutbürger dieser Stadt endlich zu Taten motiviert werden sollen. Deshalb erachtete Hangl es als besonderen Erfolg, als der Chor im Ronacher auftrat und einige Personen aus dem Publikum aufstanden und gingen, "weil sie sich wohl angesprochen fühlten".

Mit ihren Auftritten hat sich der Chor mittlerweile jedenfalls einen Namen gemacht. Sogar die Wiener Sängerknaben hätten Interesse bekundet, einmal gemeinsam aufzutreten.

Ideen für Liedertexte und Aktionen kommen von den Wienern selbst. Die via Eintrag auf der Homepage dem Chor ihre Beschwerden mitteilen. Überraschend: Hundehaufen scheinen immer wieder zu tangieren. Oder auch die "stinkende U-Bahn". Sonst kommt Kritik anlassbezogen. Über die neue Mariahilfer Straße wurde etwa viel gejammert. Oder über die Flüchtlingsthematik.

Vierstimmig gegen Hundstrümmerln

Aus Finnland

Auch wenn es manchmal scheint, als hätten Wiener das Granteln erfunden, der Beschwerdechor hat seinen Ursprung in Finnland. Die Künstler Tellervo Kalleinen und Oliver Kochta-Kalleinen starteten 2005 das Projekt "The Complaints Choir" und forderten Menschen auf der ganzen Welt zum öffentlichen Raunzen auf. Suderanten in rund 40 Ländern kamen der Aufforderung nach. Bis auf den Wiener Beitrag dauerte jedoch keines der Projekte länger als ein paar Auftritte.

Und damit das musikalische Jammern noch lange weitergeht und vielleicht auch noch lauter wird (Hangl: "100 Leute wären schon Wahnsinn"), sucht der Chor kommenden Montag nach Verstärkung.

Sie wollen auch „singraunzen“?

Daten und Fakten: Oliver Hangl und Stefan Foidl gründeten den Wiener Beschwerdechor 2010. Der Chor tritt meist unangekündigt auf und agiert kontext- und ortsbezogen. Die Gruppe versteht sich als Sprachrohr der Bevölkerung, als Ventil der wienerischen Unzufriedenheit.

Casting: Am Montag, 13.Oktober, findet das jährliche Casting für Interessierte statt. Von 18:30 bis 20:30 Uhr im Bezirkamt Neubau (7., Hermanngasse 24–26/ 2. Stock/ Festsaal) können Wiener schnupper-raunzen. Proben finden dann immer montags um dieselbe Zeit statt.

www.wienerbeschwerdechor.at

Kommentare