Jedes zweite Kind wird geschlagen

Jedes zweite Kind wird geschlagen
Ein Drittel der Erwachsenen verteidigt die „g’sunde Watschen“. Eltern sind oft überfordert.

Der Tod der zweijährigen Leonie (siehe unten) nach einer Erziehungsmaßnahme ihres Vaters macht fassungslos. Niemand versteht, warum der 26-Jährige seine Tochter so brutal unter der Dusche maßregeln wollte.

Dass Gewalt gegen die eigenen Kinder in Österreich nach wie vor keineswegs eine Ausnahmeerscheinung ist, zeigt eine Studie, die Familienministerium Sophie Karmasin (ÖVP) am Donnerstag präsentierte. Demnach erlebt jeder zweite Jugendliche Gewalt als Erziehungsmaßnahme – sei es in körperlicher oder psychischer Form. 20 Prozent gaben an, schon heftige Ohrfeigen bekommen zu haben und mit Ohren-Ziehen oder Haare-Reißen gezüchtigt worden zu sein.

Aus Eltern werden Täter

Damit machen sich Mama und Papa zu Straftätern, denn das körperliche Züchtigen von Kindern ist in Österreich seit Langem verboten. Vor 25 Jahren trat das Gewaltverbot gegen Kinder in Kraft. Dass es dieses Gesetz gibt, wissen aber bis heute nur 58 Prozent der Bevölkerung. Fazit: Es ist „ein durchaus nicht tolerables Maß an Gewalt vorhanden“, sagt die Ministerin.

Jeder dritte Österreicher findet sogar immer noch, dass „g’sunde Watschen“ nicht schaden und oft besser erziehen als noch so viele Worte. Zum Vergleich: Ende der Siebziger ohrfeigten noch 77 Prozent der Eltern ohne schlechtes Gewissen. Das Bewusstsein für körperliche Gewalt gegen Kinder hat sich über die Jahrzehnte also verbessert. Das schaffte aber Platz für andere fragwürdige Erziehungsmethoden – die psychische Gewalt gegen Kinder nahm zu.

Mehr als die Hälfte der Befragten finden es legitim, nach einer Verfehlung des Kindes zu schreien und zu schimpfen. 38 Prozent strafen das Kind mit tagelangem Schweigen: „Diese Erziehungsmaßnahme ist vor allem für Mädchen schlimm und kann schwere psychische Schäden zur Folge haben“, erklärt Hedwig Wölfl von der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit. Wenn es zu Gewalt kommt, dann passiere das in den meisten Fällen aber nicht mehr aus Überzeugung, sondern aus Überforderung. Dieses Phänomen ziehe sich durch alle Gesellschaftsschichten. Die Annahme, dass es besonders in sozial schwachen Familien zu Schlägen kommt, ist laut Wölfl falsch: „Die Fälle in den Medien schaffen ein verzerrtes Bild. Gewalt kommt ebenso in Akademikerfamilien vor. Dort haben die Betroffenen aber einfach bessere Mittel, um das zu verstecken.“

Kinder haben Rechte

„Auch wenn Kinder nicht immer recht haben, so haben sie immer Rechte“, sagte Ministerin Karmasin. Die Wenigsten wissen aber, dass es verboten ist, die eigenen Kinder zu schlagen.

Zudem haben die Kinder Angst, sich an Dritte zu wenden. Sie wollen ihre Eltern nicht in Schwierigkeiten bringen. Wegen einer Ohrfeige kommt aber niemand gleich ins Gefängnis: „In schweren Fällen muss sich natürlich die Justiz darum kümmern. Ist der Fall nicht so gravierend, suchen Beratungsstellen das Gespräch mit den Eltern, um weiter zu helfen“, sagt Karmasin.

Jedes zweite Kind wird geschlagen
Beurteilung von Erziehungsmethoden 1977 und 2014 - Balkengrafik Grafik 1338-14-Kinder.ai, Format 88 x 104 mm

Der 26-jährige Vater, der seine Tochter Leonie (2) mittels brühend heißer "Straf-Dusche" tödlich verletzt haben soll, bleibt auf freiem Fuß. Das bestätigte Donnerstag die Sprecherin der Wiener Staatsanwaltschaft, Nina Bussek.

Allerdings verhängte das Bezirksgericht Floridsdorf auf Ansuchen der Mutter eine sechs Monate geltende einstweilige Verfügung. Sie folgte dem durch die Polizei ausgesprochenen zweiwöchigen Betretungsverbot der Wohnung. In dem gemeinsamen Haushalt leben noch zwei weitere Kinder. Die Buben sind sieben Monate und sieben Jahre alt; der mutmaßliche Täter ist der leibliche Vater des Kleinkindes.

Da das polizeiliche Betretungsverbot bereits abgelaufen ist, tritt die einstweilige Verfügung umgehend in Kraft. "Die Einhaltung der sechsmonatigen Verfügung wird von der Exekutive überwacht", bestätigte Polizeijurist Peter Jedelsky am Donnerstag.

Auch das Jugendamt ist intensiv mit dem Fall beschäftigt. Der Vater hat, weil er nicht in U-Haft sitzt, das Recht, seinen sieben Monate alten Sohn zu sehen. Bis dato gab es aber noch kein diesbezügliches Ansuchen am Jugendamt. Sprecherin Herta Staffa erklärt: "Zeigt der Vater Interesse, muss das mit der Mutter abgeklärt werden. Ein Treffen mit dem Kind wäre nur in Begleitung unserer Spezialisten möglich."

Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen" heißt der Titel des relativ selten angezeigten Paragrafen 92 des Strafgesetzbuches (StGB). 16 solcher Anzeigen gab es im Vorjahr. Nach dieser Bestimmung wird derzeit gegen den Vater des zweijährigen Mädchens Leonie ermittelt, das am Montag im Wiener SMZ Ost seinen Verletzungen erlegen ist.

Der 26-Jährige soll das Kleinkind als Strafe unter der Dusche mit heißem Wasser verbrüht haben und sieht sich derzeit einem Verdacht nach dem Paragrafen 92 StGB ausgesetzt. An sich ist, "wer einem anderen, der seiner Fürsorge oder Obhut untersteht und der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen Behinderung wehrlos ist, körperliche oder seelische Qualen zufügt," mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

Im Fall von Leonies Vater geht es aber mittlerweile um Quälen mit Todesfolge, was bei einer Verurteilung ein bis maximal zehn Jahre Haft nach sich zieht. Wer seinem Opfer Dauerfolgen nach diesem Paragrafen zufügt, hat mit sechs Monaten bis fünf Jahren Haft zu rechnen.

16 Anzeigen im Jahr 2013

Im Vorjahr wurden laut Sicherheitsbericht 2013 insgesamt 16 Fälle nach diesem Paragrafen angezeigt. 15 davon wurden geklärt. Die meisten Anzeigen wegen Quälens Unmündiger gab es, wenn man die vergangenen fünf Jahre heranzieht, im Jahr 2011 mit 47 Fällen. 2009 gab es sieben Anzeigen, 2010 waren 16 und elf im Jahr 2012. Bei den Verurteilungen war 2009 das stärkste der vergangenen fünf Jahre, mit 30. 2010, 2011 und 2013 waren es jeweils 17, 2012 wurden 21 Personen nach dem Paragrafen 92 StGB verurteilt.

Dass die Zahl der Urteile nicht jener der Anzeigen entspricht, ist dabei nicht ungewöhnlich. Zum einen können Anzeigen nach einem bestimmten Paragrafen von der Anklagebehörde zurückgelegt oder schlicht anders beurteilt werden. Auch das Gericht kann zu ganz anderen Schlüssen kommen. Zum anderen muss ein in einem Jahr angezeigter Fall nicht notwendigerweise auch in diesem Jahr zu einer Gerichtsverhandlung führen.

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