Streit im Verkehr: Fahrradrowdys und Lenkrad-Choleriker

Streit auf der Straße eskaliert.
Radler, Autofahrer und Fußgänger legen sich immer öfter miteinander an. Handgreiflichkeiten mit Fahrerflucht gehören zum guten Ton.

Jede Menge herrlicher Sommertage bedeutet auch jede Menge Wickel auf Wiens Straßen. Die Konflikte zwischen Fahrradrowdys, militanten Autolenkern und rücksichtslosen Fußgängern steigen spürbar an. Laut Polizei wurden heuer in Wien 6000 Unfälle mit Radlern registriert – ein Rekordwert.

Für die Negativ-Statistik sind vor allem notorisch unbelehrbare Verkehrsteilnehmer verantwortlich. Einer der es wissen muss ist Fahrrad-Polizist Markus Helas. Er ist seit 2007 auf seinem Bike vorwiegend in der Wiener City und auf der Donauinsel im Streifendienst unterwegs: "Die Undiszipliniertheit der Biker äußert sich in Rotlicht- und Gehsteig-Fahrten, Einbahn-Vergehen sowie gefährlichem Fahren. Vor allem auf Wegen mit Fußgängern kommt es zu heftigen Unfällen." Nachsatz: "Und der aktuellste Trend, die vom Bahnrennsport kommenden sogenannten Fixie-Bikes, sind extrem gefährlich. Diese Geräte haben keine Bremsen. Sie sind nur mit Körpergewicht und Fahrmanövern zu stoppen. Fazit ist ein enormer Bremsweg."

Fahrerflucht im Trend

Die Dunkelziffer der Unfälle und Vergehen ist noch wesentlich höher. Da Fahrräder kein Kennzeichen haben – trotz mehrerer Anläufe gibt es dazu keinen Beschluss des Gesetzgebers – steht Fahrerflucht auf der Tagesordnung. Tatsächlich wurden in Wien 2015 bis dato nur 120 Anzeigen und Organmandate gegen Rad-Rowdys verhängt.

Auf diese Bilanz stützt sich auch Wiens Fahrrad-Koordinator Martin Blum: "Es gibt nirgendwo einen sachlichen Hinweis, dass Radfahrer mehr Verkehrsdelikte begehen als andere Verkehrsteilnehmer." Blum räumt aber indirekt ein, dass Verkehrsregeln von seinem Klientel gerne ignoriert werden: "Rotphasen sind in der Stadt oft radlerfeindlich. Auch Fahrten gegen die Einbahn sind manchmal nachvollziehbar. Und nicht selten provoziert die bauliche Infrastruktur Probleme." Von Nummerntafeln hält Blum nichts: "Hier werden zu hohe Erwartungen geweckt – auch bei Autofahrern gibt es Fahrerflucht."

Kritik an der Stadt Wien

Beim Thema Infrastruktur kritisiert ÖAMTC-Verkehrspsychologin Marion Seidenberger die Stadt Wien, und verteidigt die kritisierten Biker: "Wenn U-Bahn-Ausgänge direkt neben stark befahrenen Radwegen gebaut werden, wie etwa am Ring, verwundern die Unfälle nicht."

Autofahrer und Fußgänger stehen ebenso in der Kritik. Vor allem Fußgänger sind mit den Radstreifen und für Räder geöffneten Einbahnen überfordert. Völlig vertieft in ihr Smartphone queren sie Radwege und Straßen. Vier schwere Unfälle in Wien waren heuer die Folge.

Und so manchem Lenkrad-Choleriker kommen provokante Radler gerade recht. Mehrere handgreifliche Auseinandersetzungen wurden gemeldet, doch Fahrerflucht (von beiden Seiten) verhinderte die Strafverfolgung.

Marion Seidenberger, Verkehrspsychologin des ÖAMTC über die Einstellung so manches Fahrrad-Desperados:

KURIER: Warum fällt es vielen Radlern so schwer, sich an die StVO zu halten?

Marion Seidenberger: Sie fahren kaum Umwege. Man will einfach den aufgebauten Schwung nicht verlieren. Daher die vielen Rotlicht- und Einbahn-Fahrten.

Wieso gibt es so viele Unfälle mit Fußgängern?

Zum einen werden Fußgänger immer unberechenbarer und unaufmerksamer. Zum anderen kreuzen sich oft die Wege. Zu- und Abgänge von U-Bahnen in unmittelbarer Nähe von Radwegen zu bauen, provoziert Unfälle.

Viele Autofahrer ärgern sich über ignorante Radfahrer. Halten Biker Autofahrer bewusst auf ?

Schieben ist für Radfahrer das Letzte. Also treten sie in einer 30 km/h Zone die ansteigende Straße gemächlich mit 10 km/h hinauf. Das ist übrigens nicht verboten. Ich sehe aber auch viele Radfahrer mit Kopfhörern oder mit dem Smartphone in der Hand – wohlgemerkt, während der Fahrt. Auch mit aufgespannten Regenschirmen sind sie unterwegs. Gerne wird auch der Hund an der Leine mitgeführt. Ein solches Verhalten gefährdet den Radfahrer nicht nur selbst, sondern ist auch eine Frage der Einstellung.

Die Polizei setzt eher auf Abmahnungen und Information. Reicht das?

Es gibt Gurten-, Tempo-, Alkohol und Drogen-Schwerpunkte beim Pkw. Warum führt die Polizei so wenige Fahrrad-Kontrollen durch? Ich würde mehr Schwerpunkt-Aktionen an exponierten Stellen begrüßen. Dann steigt auch die Disziplin.

Die dunklere, kältere und nasse Jahreszeit ist da. Geradelt wird trotzdem. Ein Problem?

Dann fehlt es oft an Reserven und Ressourcen bei allen Verkehrsteilnehmern. Die Devise muss lauten; schauen und defensiv fahren.

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