Kleiner Strafnachlass für Küssel

Gottfried Küssel bei der OGH-Berufungsverhandlung im Justizpalast in Wien. Küssel war in erster Instanz wegen Wiederbetätigung zu neun Jahren Haft verurteilt worden.
"Hütchentrick" ersetzte Beweise / Sieben Jahre und neun Monate Haft für Galionsfigur der Neonazi-Szene.

Ausgerechnet beim Verfahren um die (ehemalige?) Galionsfigur der Neonazi-Szene in Österreich degradierte sich der Oberste Gerichtshof selbst zur Rechenmaschine: Gottfried Küssel ist einschlägig vorbestraft, aber die vorletzte Verurteilung (elf Jahre Haft) liegt schon 19 Jahre zurück, macht ein Jahr Strafrabatt. Außerdem dauerte der Prozess bis zum schriftlichen Urteil überlang, macht weitere drei Monate Abzug (auch für seine Mitangeklagten).

Unterm Strich also sieben Jahre plus neun Monate statt neun Jahre Haft für den 54-jährigen Ewiggestrigen.

Dass die Richterin bei der Auswahl der Geschworenen schlampig war; dass ein Beisitzer wegen Ermittlungstätigkeit im selben Verfahren im Befangenheitsverdacht stand; dass der Sachverständige erst am letzten Tag auftauchte und einen Internet-Crash-Kurs abhielt; dass der Staatsanwalt vor dem Urteil mangels Beweisen die Anklage änderte – nichts konnte den Berufungssenat zur Aufhebung des Urteils bewegen.

Gottfried Küssel wurde rechtskräftig als Mastermind der Nazi-Homepage alpen-donau.info schuldig gesprochen. Und weil es keinen Beleg dafür gab, dass er sie mit Inhalten bestückt oder selbst betrieben hat, zauberte der Staatsanwalt den dehnbaren Begriff „initiiert“ hervor. Küssel nannte das im Schlusswort einen „Hütchentrick“ und wurde von der Vorsitzenden prompt abgemahnt.

Man könne „vermuten“, dass Küssel hinter der Homepage steckt, hatte eine Beamtin des Verfassungsschutzes als Zeugin ausgesagt. Und der Staatsanwalt hatte in seinem Plädoyer darauf beharrt: Es gebe sehr wohl Beweise, „wir haben sie bloß nicht gefunden.“ Der rechtsstaatlichen Kontrolle, die kürzlich beim Urteil über den einstigen Innenminister Ernst Strasser ein kleines Haar in der Suppe gefunden und die Prozesswiederholung verfügt hatte, reichten die unsichtbaren Beweise diesmal aus. Die Strafhöhe wurde mit Küssels führender Rolle und der gefährlichen Reichweite des Internets begründet.

Anhänger

Immerhin hatte die Homepage zur Gewalt gegen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und andere aufgerufen (siehe Zusatzbericht rechts). Ob Küssel – seit bald drei Jahren in U-Haft – persönlich noch anziehend wirkt? Sein 90-jähriger ehemaliger Verteidiger, der einschlägig bekannte Herbert Schaller, kam am Stock in den Justizpalast. Und ein paar kurzgeschorene Küssel-Fans stießen mit einem Kamerateam zusammen. Einer brüllte aus dem Publikum „Nein“, als die Vorsitzende die Angeklagten fragte, ob sie das Urteil verstanden hätten.

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