"Romafeindlichkeit ist in Österreich die Regel"

Blick in eine Roma-Siedlung in Madrid: Überall in Europa sind Roma mit Feindseligkeiten konfrontiert. Auch in Österreich nimmt der Antiziganismus zu.
Verein Romano Centro dokumentiert in neuer Studie rassistische Vorfälle und häufige Vorurteile.

Sozialschmarotzer, Heimatlose, Kriminelle: Die Liste der Vorurteile über Roma ist lang - und wird offenbar immer länger, wie eine neue Studie zeigt. Im ersten Bericht zu Antiziganismus in Österreich, den der Verein Romano Centro am Donnerstag präsentiert hat, ist von einer "beängstigenden Entwicklung" die Rede. Der Bericht dokumentiert u.a. mehrere rassistische Vorfälle der letzten acht Jahre gegen Menschen, die als "Zigeuner" wahrgenommen worden.

Kern des stereotypen Bildes ist die Vorstellung, dass "Zigeuner" nicht zivilisiert sind und sich nicht in die Gesellschaft integrieren wollen, sagte Andrea Härle von Romano Centro. Auch der Vorwurf einer parasitären Lebensweise, also dass sie betteln oder stehlen würden, und die Vorstellung von Heimatlosigkeit gehörten zu diesem Bild. Besonders betroffen von diesen Vorurteilen seien Roma und Sinti. Antiziganismus sei in Österreich leider "die Regel, nicht die Ausnahme", so Härle.

Hetze verlagert sich ins Internet

In dem Bericht ist eine Auswahl von Fällen aus den Jahren 2005 bis 2013 dokumentiert. Besonders häufig dokumentiert sind Beleidigungen und Hetze im Internet, aber auch Diskriminierungen beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen und Benachteiligungen am Arbeitsmarkt. Die Initiatoren des Berichts kritisierten außerdem rassistische Äußerungen der Polizei und die stereotype Darstellung in den Medien.

"In den Medien wird ein sehr einseitiges Bild vermittelt, was dazu geführt hat, dass die Begriffe Bettler und Roma schon fast zu Synonymen geworden sind", sagte Ferdinand Koller, Redakteur des Berichts. Hier müsse vorsichtiger mit ethnischen Zuschreibungen umgegangen werden, forderte er. Vor allem die Onlineplattformen von Zeitungen seien ein "zentraler Ort der Hetze, Beleidigungen und Beschimpfungen".

Übergriffe in Salzburg

Ein "besonders schockierender Vorfall" habe sich im September dieses Jahres ereignet, als eine Gruppe junger Erwachsener eine durchreisende Romafamilie in Bischofshofen attackierte. In einer Facebook-Gruppe haben sich die Täter davor zum Angriff aufgehetzt und zu Gewalt aufgerufen, erzählte Koller. Unter anderem sei die "Ausrottung" der Roma gefordert worden. Ein Ermittlungsverfahren wegen Verhetzung und Widerbetätigung läuft. In einem ähnlichen Fall seien die Ermittlungen eingestellt worden, kritisierte Koller. Es gebe zudem leider nicht so wenige Fälle, in denen die Polizei selbst zum Täter wird, so Koller.

Der Bericht soll künftig alle zwei Jahre erscheinen. Damit soll Aufmerksamkeit für das Thema in der Öffentlichkeit erzeugt und Betroffenen gezeigt werden, dass es möglich ist, sich zu wehren, so Härle. Es gebe kein "Generalrezept" gegen Antiziganismus, wichtig sei aber, dass die Vorfälle gerichtlich behandelt werden und ein Bewusstsein und Umdenken in der Öffentlichkeit entsteht.

Der Kultursprecher der Grünen Wolfgang Zinggl forderte in Reaktion auf den Bericht "Aufklärungsstrategien und eine generelle Sensibilisierung in unseren Behörden, in den Schulen und im Gesundheitswesen. Die Lebenswirklichkeit der Roma und Sinti muss öffentlich thematisiert und dargestellt werden. Eine nationale Roma-Strategie, wie sie seit Jahren im Bundeskanzleramt erarbeitet wird, muss diese Punkte beinhalten", so Zinggl in einer Aussendung.

Download des Berichtes auf: www.romano-centro.org

Die meisten Behausungen der Roma-Siedlung am Rande der zentralgriechischen Kleinstadt Farsala gleichen rostenden Schiffscontainern. Draußen toben spielende Kinder, drinnen drängen sich die Erwachsenen mit besorgter Miene um die TV-Geräte. „Im Fernsehen nennen sie uns Roma, aber in der Stadt draußen beschimpfen sie uns als Zigeuner und spucken auf uns“, schildern sie einer Gruppe griechischer Reporter.

Die Roma von Farsala fürchten, dass sie nun noch öfter die Wut und Ablehnung ihrer Umgebung zu spüren bekommen werden, nachdem die kleine, blonde, mittlerweile weltberühmte Maria (siehe unten) aus ihrer Siedlung geholt worden war. „Sie sagen, wir stehlen, wir entführen sogar Kinder. Das ist eine riesige Beleidigung für uns“, schimpfte Farsalas Roma-Führer Babis Dimitriou in die laufenden Kameras. Alle Roma in Griechenland würden jetzt in Sippenhaft genommen, glaubt er, zumindest so lange nicht einwandfrei bewiesen sei, dass Maria nicht entführt wurde.

Roma als Kinderverschlepper – dieses uralte Vorurteil geht absurderweise auf ein Unrecht zurück, das einst den Roma zugefügt wurde. „Unter Kaiserin Maria Theresia wurden den Roma-Familien die Kinder weggenommen, um sie fern von daheim einzuschulen“, schildert Barbara Liegl, Politologin am Ludwig Boltzmann Institut. „Doch die Familien wollten das nicht. Und wenn sie dann kamen, um ihre Kinder wieder heimzuholen, hieß es: Versteckt die Kinder, die Zigeuner kommen.“

Ressentiments

Ein Spruch, der sich über Jahrhunderte hielt. Und nur eine von vielen Stereotypen („faul, heimatlos, kriminell“), die mit der bis zu zwölf Millionen Menschen zählenden und damit größten Minderheit Europas in Verbindung gebracht wird. Diskriminierung und Hass gegenüber den Sinti und Roma fanden ihren Höhepunkt, als die Nazis nahezu eine halbe Million von ihnen ermordeten.

Heute leben die Roma über ganz Europa verteilt, die Mehrheit von ihnen jedoch in Südosteuropa – unter meist elenden Bedingungen. Von Ostrava in Tschechien bis Belgrad, vom slowakischen Kosice bis Bukarest leben Millionen Familien in Slumsiedlungen am Rande der Städte. Müllberge türmen sich, Wasseranschlüsse sind die Ausnahme, bei Regen versinken die ungeteerten Straßen im Schlamm. In Kosice zogen die Stadtväter eine Mauer zur Abgrenzung gegen die Roma hoch. Andere Städte überlassen die Slums mitsamt ihren Bewohnern, ihren Papphütten und halb kaputten Wohnwägen einfach sich selbst. Wer hier lebt, stirbt zehn Jahre früher als der Durchschnittseuropäer. Und hat fast nie Arbeit.

Teufelskreis

Zwischen 80 und 90 Prozent der osteuropäischen Roma sind ohne Job. Wer zudem nie ein Schule besuchte, wie viele erwachsene Roma noch heute, hat kaum Chancen, sich je aus dem Teufelskreis von Armut und Not zu befreien.

In ihrer Not sehen viele im Auswandern ihre einzige Chance – wie die kosovarische Roma-Familie Dibrani. Zusammen mit ihren fünf Kindern ließen sich die Dibranis in Ostfrankreich nieder, schickten ihre Kinder in die Schule und lebten unauffällig – bis Frankreichs Polizei die 15-jährige Leonarda und ihre Familie gegen den Protest Tausender Schüler wieder in den Kosovo abschob.

Tausende Roma, viele von ihnen mittlerweile EU-Bürger, werden jährlich aus westlichen EU-Ländern in ihre alte Heimat zurückgebracht. Mit einer Rückkehrprämie ausgestattet gehen viele auch freiwillig – nur um kurz darauf wiederzukehren.

EU: Aktionsplan

Hier nicht willkommen und dort nicht erwünscht – dieses Schicksal von zwölf Millionen Menschen mitten in Europa hat die EU auf den Plan gerufen. Vor zwei Jahren verabschiedeten die EU-Mitgliedsstaaten für jedes Land einen eigenen nationalen Aktionsplan – doch tief greifende Verbesserungen sind noch lange nicht zu erwarten.

Ungarische Roma dürfen etwa seither nur noch mit staatlicher Hilfe rechnen, wenn sie die auch vom Staat vorgegebene Sozialarbeit leisten – haben damit aber noch lange keinen richtigen Job. Kroatische Roma-Kinder gehen zwar in die Schule, meist aber nur in reine Roma-Klassen – und erhalten dort wiederum nur qualitativ schlechte Ausbildung. Und ein osteuropäischer Regierungschef liebäugelte gar mit der Idee, Roma-Kinder aus ihren Familien zu holen und sie in Internaten zwangseinzuschulen. Erst dessen Roma-Beauftragter winkte ab: Geht gar nicht.

erschienen am 23.10.2013

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