Rein technisch abhängig

Als Kind konnte ich Dutzende Telefonnummern auswendig. Heute weiß ich eine.

von Anna-Maria Bauer

über technische Abhängigkeit

Unlängst am Weg zu einer Freundin. Ich habe sie bestimmt schon vier Mal in der neuen Wohnung besucht. Aber als ich bei der U-Bahn-Station aussteige, sehe ich mich planlos um. Ich habe keine Ahnung, welche Gasse ich entlanggehen muss. Seufzend krame ich mein Handy hervor und will die Adresse in Google Maps eingeben. Aber ich habe die Hausnummer wieder vergessen. Also muss ich zuerst im WhatsApp-Verlauf nach der Nachricht mit ihrer Adresse suchen. Endlich: Blaue Linie, rotes Fähnchen. Jetzt, da ich den Weg sehe, kommt er mir doch bekannt vor.

Während ich Richtung rotes Fähnchen gehe, muss ich an die Erfindungen denken, die vor wenigen Tagen bei der " Consumer Electronics Show" (genannt CES), der weltgrößten Elektro-nikmesse, in Las Vegas, vorgestellt wurden: Smarte Spracherkennungssysteme, fahrende Zimmer, intelligente Zahnbürsten.

Natürlich verstehe ich die Faszination der WissenschafterInnen, Neues entwickeln zu wollen. Ich kann auch verstehen, dass es politischen Entscheidungsträgern gefällt, wenn eine Gesellschaft durch vernetzte Ökosystem reibungsloser funktioniert. Und für die Individuen wird das Leben durch viele Geräte bequemer. Aber ich bezweifel, dass unsere kognitiven Fähigkeiten davon profitieren.

Als Kind konnte ich zum Beispiel Dutzende Festnetznummern auswendig. Heute weiß ich eine einzige Handynummer.

Als Jugendliche war ich auch noch im Kopfrechnen unglaublich flink. Weil ich das in meinem Nebenjob als Eisverkäuferin benötigte – bis das elektronische Bestellsystem kam. Wenn dann einmal das System ausfiel (was zum Glück so gut wie nie passierte), hatte ich nicht nur Probleme, mich an die Preise zu erinnern, ich brauchte für einfachste Rechnungen gefühlt ewig.

Vielleicht sollten sich die WissenschafterInnen langsam auf Erfindungen konzentrieren, die das Gedächtnis schärfen. Damit wir nicht eines Tages einen Chip injiziert bekommen müssen, der uns beim Denken hilft, weil wir uns nichts mehr merken können.

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