"Schick, mit dem Islam zu kokettieren"

"Schick, mit dem Islam zu kokettieren"
Eine Studie über Jugendliche sorgte zuletzt für viel Wirbel. Zu Besuch im Jugendzentrum "Bahnfrei".

Freitag, früher Abend: In den Waggons des Jugendtreffs "Bahnfrei" in der Ocwirkgasse in Wien-Floridsdorf ist schon einiges los. Drei Burschen spielen Billard, vier weitere sitzen im Nebenraum und zocken FIFA auf der PlayStation. Zwei Mädels haben sich in ein Hinterzimmer verzogen und geben einander Schminktipps. Am Laptop läuft ein Lied von Rapper Capital. Es geht um Autos, Drogen und Geld.

Jugendliche, die die Wiener Jugendzentren besuchen, stehen seit vergangener Woche im Fokus der Öffentlichkeit. Laut einer Studie (durchgeführt im Auftrag der Stadt Wien) des Soziologen Kenan Güngör und der Anthropologin Caroline Nik Nafs sind 56 Prozent der befragten Jugendlichen in Wiens Jugendzentren abwertend eingestellt. Das trifft besonders auf Muslime zu: 59 Prozent der Befragten sind homophob, 47 Prozent antisemitisch, 63 Prozent rassistisch. Und: Mehr als ein Viertel der befragten muslimischen Jugendlichen sei "latent gefährdet", sich zu radikalisieren.

Befragt wurden die Jugendlichen von November 2014 bis Februar 2015. Welche Rolle spielt religiöser Extremismus also tatsächlich noch in den Jugendzentren?

Trend geht zurück

"Das Phänomen ist am Abklingen. Der Höhepunkt war vor etwa zwei Jahren", sagt Markus Tobolka, Geschäftsführer des Vereins "Bahnfrei", der auch den Jugendtreff in der Ocwirkgasse betreibt (das Jugendzentrum nahm nicht an der genannten Studie teil, Anm.).

Bis zu 70 Jugendliche mit unterschiedlichen Religionen, Nationalitäten und Migrationshintergründen gehen dort täglich ein und aus. "Es war eine Zeit lang schick, mit dem Islam zu kokettieren", sagt Tobolka – auch im Jugendzentrum.

Jugendliche hätten dort etwa Naschids gehört. Diese islamisch-religiösen Gesänge preisen meist Allah; sogenannte "Kampf-Naschids" werden aber auch als IS-Propaganda eingesetzt.

"Drei oder vier Mal", erzählt Tobolka, "waren auch Leute da, die unsere Jugendlichen ködern wollten. Aber die haben wir sehr schnell vor der Tür abgefangen, in ein Gespräch verwickelt und vor und mit unseren Jugendlichen argumentativ auseinandergenommen."

Wie aber gehen Betreuer in Jugendzentren vor, wenn Jugendliche etwa Propaganda-Musik hören oder IS-Videos zeigen ? "Wir schauen uns das mit den Jugendlichen an und fragen sie, was mit dem Video bezweckt werden soll", sagen Diana Riegler und Elise Mory, Jugendarbeiterinnen bei "Bahnfrei". Sie schärfen den Blick der Jugendlichen; sie sollen zwischen Musik und Propaganda unterscheiden können. "Es geht darum, herauszufinden, ob jemand tatsächlich radikalisierungsgefährdet ist oder nur provozieren will."

Denn um Provokation geht es oft. "Und wie, außer mit dem Islam, kann man heute noch provozieren?", fragt Mory. "Mit einem Iro nicht." Und ihre Kollegin Diana Riegler ergänzt: "Der Islam ist ein bisschen zur Jugend-Pop-Kultur geworden."

Der Islam war "in"

Auch bei Laura. Die 15-Jährige kommt seit drei Jahren ins Jugendzentrum. In ihrem Freundeskreis sind viele Muslime.Vor zwei Jahren, erzählt Laura, selbst Christin, habe sie " in den Islam hineingeschnuppert". Sie wollte mehr über die Religion, der viele ihrer Freunde angehören, wissen. "Aber es war nie ein Zwang dabei", sagt sie.

Manche ihrer Freundinnen, ebenfalls Christinnen, seien auch "konvertiert", sagt sie. Nicht offiziell, aber sie hätten vor dem Hodscha, einem Gelehrten in der Moschee, bezeugt, dass es "keinen anbetungswürdigeren Gott gibt, als Allah, und dass der Prophet Mohammed sein Diener und Gesandter ist". Manche ihrer Freundinnen hätten auch einige Monate Kopftuch getragen. "Einfach, um dabei zu sein", sagt Laura. Seit einiger Zeit ist der Islam nicht mehr das zentrale Thema in Lauras Freundeskreis. "Uns beschäftigt jetzt mehr, dass viele meiner Freunde schikaniert werden. Weil sie ausländisch ausschauen."

Es war nicht nur die Studie von Kenan Güngör und Caroline Nik Nafs an sich, die für viel Aufsehen gesorgt hat. Es war auch der Zeitpunkt, den die Stadt für deren Präsentation gewählt hat.

Denn dem Rathaus liegen die Untersuchungsergebnisse laut dem Studienautor seit April vor, die Stadt spricht von Mai dieses Jahres. Präsentiert wurden die Ergebnisse – wie berichtet – erst vor zehn Tagen.

Aber warum eigentlich? „Die Studie war primär für die praktische Arbeit gedacht“, sagt eine Sprecherin der zuständigen Wiener Stadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ). Die Studienergebnisse sollten bei einer Tagung der Jugendarbeiter präsentiert werden, die erst im Dezember stattfindet. „Sonst steckt nichts dahinter“.

Freilich: Dazwischen lag auch die Bundespräsidentschaftswahl (Erster Wahlgang am 24. April, Stichwahl am 22. Mai), deren Anfechtung, ein neuer Wahl-Termin (2. Oktober) und dessen Verschiebung auf den 4. Dezember.

Laut Studienautor Kenan Güngör hat allein die Auswertung der Studienergebnisse ein Jahr gedauert. „Schon während dieses Prozesses haben wir gemeinsam mit der Stadt und den Jugendarbeitern begonnen, Strategien zu entwickeln und zu schauen, was wir tun können“, sagt Güngör. Die Studienautoren haben die Ergebnisse immer wieder gemeinsam mit den Jugendarbeitern evaluiert; die Jugendarbeiten hätten . parallel zur Auswertung auch Workshops bei Güngör absolviert. "Das was wir machen ist sozusagen angewandte Forschung. Wir liefern nicht nur die Forschungsergebnisse ab, sondern beraten."

Kommentare