"Niemand soll sich fremd fühlen müssen in Wien"

"Niemand soll sich fremd fühlen müssen in Wien"
Bereits jeder Zweite hat Migrationshintergrund. Wie geht man damit um? Leser diskutierten mit Spitzenpolitikern.

Frau Kreuz fühlt sich nicht mehr wohl in Favoriten. Seit 62 Jahren lebt sie im Zehnten, doch die „Massenzuwanderung der letzten Jahre“ bereitet der Frau Unbehagen. „In den Öffis höre ich meine eigene Sprache nicht mehr“, klagt Kreuz in Richtung Podium.

Mittwochabend stellten sich Wiens Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) und Staatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) den Fragen der KURIER-Leser. Redakteurin Sandra Baierl führte durch den Abend. 100 Personen kamen in den Waldviertlerhof in Favoriten – in jenen Bezirk, der wie kaum ein anderer in Wien von Zuwanderung geprägt ist. Wer wissen will, wie das Zusammenleben funktionieren soll, muss auch Leute aus dem Grätzl fragen – Menschen wie Frau Kreuz.

„Niemand soll sich fremd fühlen müssen in der Stadt“, entgegnete Frauenberger der Favoritnerin. „Aber es wäre falsch, zu sagen, es wird sich wieder ändern. Das wird nicht passieren.“ Es gehe nun darum, ein „neues Wir-Gefühl zu schaffen.“ Kurz sagte: „Wir müssen Probleme benennen, aber auch Lösungen bieten.“ Zu lange seien Ängste geschürt und Probleme schöngeredet worden. Gerade Gegenden wie Favoriten müsse die Politik aufwerten. „Derzeit stecken wir Kinder, die kein Wort Deutsch verstehen, in Klassen, und wenn sie die Schule verlassen, wundern wir uns auch noch.“ Kurz sprach sich einmal mehr für eigene Sprachförderklassen aus. „Kinder, die Migrationshintergrund haben, brechen die Schule vier Mal häufiger ab als Kinder ohne Migrationshintergrund.“ Frauenberger hielt dagegen: „Gäbe es die Ganztagsschule bereits, bräuchten wir das System der außerordentlichen Schüler nicht. Wir müssen Chancengleichheit sicherstellen.“

Ist das Boot halb voll oder halb leer?

Im Publikum saß auch Leser S., der einst nach Österreich floh, und der nicht versteht, „warum immer mehr ins Boot geholt werden, wo die Arbeitslosigkeit im Land doch steigt“. „Ohne zusätzliche Facharbeiter geht es nicht“, erklärte Kurz. Herr M., der vor 30 Jahren aus Bosnien floh und der noch immer keinen Pass besitzt, klagt: „Machen Sie es uns nicht so schwer! Eine Staatsbürgerschaft ist kaum zu bekommen.“ Auch Frauenberger übte Kritik am Bund: „Derzeit sind die Gesetze so streng, dass von 1000 Personen nur fünf eingebürgert werden. Das ist demokratiepolitisch bedenklich.“ Ein Problem, das Kurz erkannt zu haben scheint. Er plädierte dafür, das Gesetz zu novellieren. „Wer besser integriert ist, soll den Pass früher erhalten“ – und an Leser M. gewandt: „Ihre Deutschkenntnisse sollten jedenfalls ausreichen. Einer Staatsbürgerschaft dürfte nichts im Wege stehen.“

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