Asyl-Camp: Politik auf Tauchstation

Asyl-Camp: Politik auf Tauchstation
Freitagfrüh überrumpelte die Polizei die Initiatoren des Asyl-Camps vor der Votivkirche mit einer Räumung. Die Exekutive berief sich auf einer Wiener Landesgesetz. Die Politik ging auf Tauchstation.

Einen Monat lang bestand das Asyl-Camp im Sigmund- Freud-Park, das der deutsche Aktivist Hans Georg Eberl mit großteils pakistanischen Flüchtlingen errichtet hatte. Eberl befindet sich gerade für ein paar Tage auf „Heimaturlaub“ in Bayern, obwohl seit Tagen das Gerücht kursiert, dass Polizeipräsident Gerhard Pürstl auf eine Beendigung der Aktion drängt.

Asyl-Camp: Politik auf Tauchstation
votivkirche
Freitag, kurz nach vier Uhr, kam es zum erwarteten Polizeieinsatz. Unspektakulär und ohne Blaulicht näherte sich der Polizeikonvoi dem Asyl-Camp. Knapp 100 Wega-Beamte und Zivilpolizisten gingen in Stellung. Um ein Lagerfeuer saß eine Gruppe junger Aktivisten. Die meisten der etwa 20 Anwesenden befanden sich in einem Zelt und bekamen vom Polizeiaufmarsch nichts mit.

Gesetzeswidrig

Dann verlas der Wiener Verfassungsschutzchef Erich Zwettler per Lautsprecher eine Erklärung. Demnach sei das Camp gesetzeswidrig. Es widerspräche der Wiener Campierverordnung. Zelte ohne Genehmigung aufstellen, das gibt es nicht. Eine Genehmigung der Gemeinde Wien für die Nutzung des Sigmund-Freud-Parks existiere auch nicht. Den Aktivisten wurde ein Ultimatum von fünf Minuten gestellt. Wer bis dahin nicht das Areal verlassen hätte, müsse mit einer Anzeige rechnen, so lautete die Durchsage Zwettlers.

Die verdutzten Aktivsten reagierten nicht. Fünf Minuten später begann die Polizei mit ihrer Razzia. Ausweiskontrollen zeigten, dass sich im Protest-Camp je zur Hälfte österreichische Aktivisten und pakistanische Asylwerber befanden. Zwei illegale Asylwerber wurden festgenommen, 19 weitere Personen angezeigt. Außerdem setzte es noch fünf Anzeigen wegen Verwaltungsübertretungen.

Tatort

Anschließend wurden sämtliche vorhandenen Gegenstände dokumentiert und fotografiert. Gearbeitet wurde wie an Tatorten. Polizisten versahen Gegenstände mit Nummern. Offenkundig persönliche Habseligkeiten wurden in Säcken verstaut. Ein Polizist mit landwirtschaftlicher Erfahrung schaffte es, einen alten Traktor der Aktivisten mittels Starthilfe zum Laufen zu bringen. Ein schrottreifer Kleinbus wiederum landete auf einem Autotransporter.

Asyl-Camp: Politik auf Tauchstation
Räumung Asyl-Camp Wien Votivkirche
Polizisten räumten danach die Zelte aus. Eine große Menge an Gasflaschen musste entfernt werden. Die Aktivisten reagierten auf den Polizeieinsatz mit sichtlicher Fassungslosigkeit. Emotional wurde es, als die Polizei versuchte, den Anhänger mit Lebensmittelvorräten zu räumen. Nach einer kurzen Rangelei konnten die Aktivisten die Lebensmittel in Sicherheit bringen. Dann rückten Lastfahrzeuge mit Greifarmen an. Kaum zwei Stunden später, exakt um 7.10 Uhr, war der Platz geräumt. Die Polizei hatte den Überraschungseffekt auf ihrer Seite. Denn die Organisatoren gingen davon aus, dass eine Auflösung des Protest-Camps nur über Auftrag der Stadt Wien durchgeführt werden könne. Dafür gab es bis zuletzt aber keine Anzeichen.
Asyl-Camp: Politik auf Tauchstation
Asyl-Camp Wien Räumung
Hat die Polizei daher eigenmächtig gehandelt und über das Ziel hinausgeschossen? Oberst Johann Golob wies diesen Vorwurf der Aktivsten prompt zurück. Er berief sich auf die Campierverordnung der Stadt Wien. Wenn dagegen verstoßen werde, habe die Polizei die Pflicht einzuschreiten.

Laut Golob sei es neben dem Verstoß gegen das Campierverbot auch zu Fällen von Körperverletzung, Behinderung von Passanten, Bettelei und zu Anzeigen wegen Herabwürdigung religiöser Lehren und Stören der Religionsausübung am Heiligen Abend gekommen.

Politik auf Tauchstation

Asyl-Camp: Politik auf Tauchstation
Asyl-Camp Wien Räumung
Ein Gerücht, wonach vor der Räumung auch das Einvernehmen mit der Wiener Stadtverwaltung hergestellt worden sei, wurde am Freitag von der Magistratsdirektion nicht kommentiert. Von Seiten des Innenministeriums hieß es am Freitag lediglich, man habe alle Vereinbarungen, die im Rahmen des Runden Tisches vergangene Woche getroffen worden waren, erfüllt. Die Flüchtlinge hatten ein Angebot des Ministeriums zur Rückkehr in ihre Grundversorgungsquartiere ausgeschlagen. Und im Bundeskanzleramt hieß es nur, man sei jederzeit gesprächsbereit.

„Wir werden nun auch nichts mehr trinken“, sagt der junge Flüchtling Shahjahan Khan in die Kameras der Journalisten. „Der Hungerstreik könnte ausgeweitet werden.“

Es ist Freitag, kurz nach zehn Uhr. Die Räumung des Sigmund-Freud-Parks liegt erst wenige Stunden zurück (siehe Artikel links) und die 39 Asylwerber, die auch die letzte Nacht wieder in der Votivkirche bei drei Grad Celsius verbracht haben, beraten, wie es nun weitergeht. Sie sind verunsichert. In der Nacht war ihnen lange nicht klar, ob nicht auch die Votivkirche geräumt werden könnte. Zwei Unterstützer und Karin Eichler, eine Mitarbeiterin der Caritas, versuchten die Flüchtlinge zu beruhigen.

Dabei scheint sich die Situation auch unabhängig von der Räumung zu verschärfen. Knapp 30 Asylwerber sind bereits vor mehreren Tagen in Hungerstreik getreten. Zuletzt mussten die Johanniter in der Nacht auf Freitag, um punkt 23.38 Uhr anrücken, weil bei einem der jungen Demonstranten Verdacht auf Nierenversagen bestand. Auch am Freitagmorgen kollabierte sechs weitere Flüchtlinge, weil sie seit Tagen nichts gegessen hatten. „Wir stehen im ständigen Kontakt mit den Johannitern“, sagt Eichler, die schon seit 22. Dezember fast jede Nacht bei den Asylwerbern verbracht hat. Das Spital der Barmherzigen Brüder werde im Bedarfsfall angefahren. „An den Abenden werden ständig ärztliche Untersuchungen durchgeführt.“

Die jungen Männer lassen sich jedenfalls nicht entmutigen. Sie scheinen fest entschlossen, den Protest fortzusetzen. „Wir wollen mit den Verantwortlichen sprechen. Unsere Sorgen sollen gehört werden“, sagt Khan Adalat. Der 47-jährige Asylwerber ist so etwas wie ein Sprachrohr für die Flüchtlinge vor Ort. „Bis heute fand keiner den Weg zu uns in die Kirche.“

Anders war das Bild bei den Vertretern der wichtigsten kirchlichen Organisationen des Landes. Sowohl Caritas-Chef Michael Landau, als auch Diakonie-Chef Michael Chalupka kamen am Freitag in die Votivkirche. Unterstützung erhielten sie von Heinz Patzelt von Amnesty International. Einmal mehr solidarisierten sie sich mit den Flüchtlingen und Landau versicherte: „Wir haben die Zusage der Polizei, dass sie in die Kirche nicht mit Gewalt eindringen wird.“ Eine Räumung könne ausgeschlossen werden. „Die Politik muss die Gespräche mit uns weiter führen. Der runde Tisch von vergangener Woche mit Vertretern des Innenministeriums und des Bundeskanzleramts kann nur ein Anfang aber sicher nicht das Ende der Gespräche sein“, sagte Chalupka. Hansjörg Lein, Superintendent der Evangelischen Kirche ergänzte: „Die biblische Botschaft ist eindeutig: Wir müssen auf der Seite derer stehen, die in Not geraten sind. Hier steht der Ruf Österreichs auf dem Spiel.“

Scharfe Worte aus Wien

Ungewohnt kritische Töne kamen am Tag nach der Räumung auch aus Wien. Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SP) wetterte gegen den Bund: Von den anderen Bundesländern forderte sie eine qualitätsvolle Unterbringung von Asylwerbern ein. Außerdem müssten Asylverfahren rascher durchgeführt werden. Die Frage sei auch, wie man mit Flüchtlingen, die einen rechtskräftig negativen Bescheid erhalten haben, umgehe. Diesen stünde bis zur ihrer Abschiebung weiter Grundversorgung zu. Was Wien betrifft, so versorge man die Betroffenen auch, trage aber die Kosten dafür alleine – ohne Zuschuss des Bundes.„Der Ort des Camps war insofern der falsche“, sagte Wehsely. Dafür hätten sich die Herrengasse (Sitz des Innenministeriums) oder diverse Hauptplätze anderer Landeshauptstädte besser angeboten.

Doch wie geht es nun weiter? Die Kirche wird ab sofort von Securitys bewacht – „zum Schutz der Flüchtlinge und der Gottesdienstbesucher“, heißt es bei der Caritas. Die Asylwerber selbst drängen weiter auf eine Lösung ihrer Situation. Man wolle keine Unruhe stiften, betonte Khan Adalat. „Wir kommen, um Hilfe zu suchen. Wir brauchen eine Lösung.“

„Eine Räumung der Kirche in der jetzigen Situation schließen wir aus.“ Dariusz Schutzki, Wiener Bischofsvikar

„Die heute Nacht erfolgte Räumung des Zeltlagers im Sigmund-Freud-Park kann nur der erste Schritt gewesen sein. Nun müssen auch die restlichen, in der Votivkirche verbliebenen, Asyl-Aktivisten der staatlichen Betreuung zugeführt werden.“ Harald Vilimsky, FP-Sicherheitssprecher

„Die Regierung schaut zu, wie die Kirche ein Problem hat. Die Verantwortlichen geben sich die Geschehnisse erste Reihe fußfrei.“ Michael Chalupka, Diakonie

„Mit der Entfernung des Zeltlagers wurde keines der Kernprobleme gelöst, etwa mangelhafte Unterkünfte für Asylwerber oder das Arbeitsverbot. Die Regierung ergeht sich in naiver Symptombekämpfung anstatt das Problem an der Wurzel zu packen.“ Alev Korun, Grüne Menschenrechtssprecherin

„Mit der Räumung hat man sich linker Berufsdemonstranten aus dem Ausland bzw. linksradikaler Chaoten entledigt, die versucht haben, Druck auf Österreich auszuüben.“ Rainer Widmann, BZÖ-Sprecher

„Der Ort des Camps war der falsche. Dafür hätten sich die Herrengasse (Sitz des Innenministeriums, Anm.) oder Hauptplätze anderer Landeshauptstädte besser angeboten.“ Sonja Wehsely, SPÖ-Sozialstadträtin

„Mit der Zerstörung des Protest-Camps wurde ein Stück Demokratie zerstört. Hier haben Menschen friedlich gegen die österreichische und europäische Abschiebepolitik protestiert. Die brutale Vorgehensweise der Polizei ist ein herber Schlag ins Gesicht.“ Alexander Pollak, SOS-Mitmensch

„Sämtliche Zelte wurden ohne Rücksicht zerstört. Sie haben alles kaputt gemacht und mitgenommen. So ein Vorgehen ist inakzeptabel.“ Laura Grossmann, Vorsitzende der Achse kritische Schüler Wien

Die Zelte sind verschwunden, die Lagerfeuer erloschen. Der Rasen im Sigmund-Freud-Park wird wieder wachsen, doch die Probleme in der Asylpolitik sind noch lange nicht gelöst. Ob die Flüchtlinge in der Votivkirche unterstützt oder gar gesteuert werden, ist nicht unerheblich, aber doch zweitrangig. Zentral ist, dass diese Menschen ihre Finger friedlich in Wunden legen, die schon lange bekannt sind: Unser Fremdenrecht ist kompliziert, widersprüchlich und reformbedürftig. Es geht nicht darum, dass allen und jedem Asyl gewährt werden soll. Viel mehr geht es darum, dass wir weiter stolz darauf sein wollen, dass mit Flüchtlingen in Österreich menschlich umgegangen wird. Noch bestünde die Möglichkeit für die Politik, Größe zu beweisen – offen über Zustände wie auf der Kärntner Saualm oder über eine Öffnung des Arbeitsmarkts für Asylwerber zu sprechen. Die Angst vor der FPÖ ein Jahr vor der Wahl ist politisch nachvollziehbar, sie rechtfertigt aber nicht das Unterlassen politischen Handelns. Außerdem: Wer hätte vor Kurzem gedacht, dass ein Politiker, der offen mit dem Thema Integration umgeht, beliebtester Politiker des Landes wird? Sebastian Kurz hat bewiesen, dass man auch mit einem unpopulären Thema populär sein kann. Dieser selbstbewusste Ton ist nun auch in der Asylpolitik gefordert.

Kommentare