Die weißen Sklaven

Zwei Drittel aller Fälle von Menschenhandel in Europa sind sexuelle Ausbeutung.
Rotlicht, Bettler, Arbeiter – die Rückkehr düsterer Zeiten.

Es waren skurrile Szenen, als ein 17-jähriges Mädchen wegen 134-fachen Taschendiebstahls kürzlich in Wien vor Gericht stand. Michael Schnarch, der Anwalt der Bosnierin, bat im Prozess eindringlich um eine unbedingte Haftstrafe für seine Mandantin. "Damit sie die Chance hat, im Gefängnis etwas zu lernen. Es ist ihr selten so gut gegangen wie jetzt, wo sie im Gefängnis sitzt." Der Richter verurteilte sie daraufhin zu eineinhalb Jahren Haft. Dort will die 17-Jährige schreiben und lesen lernen.

30 Milliarden € pro Jahr

Die weißen Sklaven
Oberst Gerald Tatzgern, Bundeskriminalamt
Solche teils herzzerreißenden Fälle hat die Vereinigung Kriminaldienst (VKÖ) in ihrer Fachzeitung kripo.at zusammengetragen. Mit Elektroschockern malträtierte Bettler, zusammengeschlageneProstituierteund vieles mehr ist dabei zu finden. "Der Sklavenhandel kommt in versteckter Form zurück", warnt VKÖ-Präsident Richard Benda. Waren es früher vor allem Afrikaner, sind nun Südosteuropa und die Länder der ehemaligen Sowjetunion die Plätze, wo Menschenhändler ihre Opfer finden. Rund 30 Milliarden Euro werden weltweit pro Jahr damit verdient.

"Jeder ist von Menschenhandel betroffen", sagt Oberst Gerald Tatzgern vom Bundeskriminalamt. "Man muss nur in den Waschzettel seiner Kleidung schauen. Auch wird man kaum Schokolade finden, wo keine Kinderarbeit drinnensteckt. 80 Prozent des Kakaos stammt von der Elfenbeinküste und dort arbeiten praktisch ausschließlich Kinder."

In den Blickpunkt rückt auch immer mehr die Prostitution. "Vor einigen Jahren gab es ausschließlich Einheimische, heute finden Sie fast nur noch Rumäninnen im Rotlicht", erklärt Helmut Sporer von der deutschen Kripo Augsburg. "Man kann sich kaum vorstellen, dass es in Rumänien überhaupt noch Frauen gibt." Der Trend gehe dabei eindeutig zu ungeschütztem Verkehr. "Wenn es eine Prostituierte nur mit Gummi macht, dann macht sie kein Geschäft mehr", sagt Sporer.

Die weißen Sklaven
Polizist aus Augsburg
Ermittler des Bundeskriminalamtes in Wien bestätigen, dass die Lage in Österreich genauso ist. Es sei ein "betrieblich organisiertes Geschäft", auch wenn TV-Berichte immer wieder "selbstbestimmte Herzeigeprostituierte" präsentieren. "Diese gibt es praktisch nicht", berichtet Sporer.

Die Menschenhändler im Hintergrund haben ihre Strategien aufgrund polizeilicher Erfolge mittlerweile angepasst. "Kommuniziert wird über Whatsapp oder offene WLAN-Netze, wo die Nutzer nicht nachzuverfolgen sind", erklärt Tudor Visan vom rumänischen Innenministerium. "Die Gruppen bleiben auf kleinem Niveau, um nicht für die Polizei auffällig zu werden."

"Leicht zu verdienen"

Rund 2,5 Millionen Menschen werden laut UNO-Schätzungen pro Jahr über die Grenzen hinweg verkauft. In Österreich werden jährlich rund 100 Opfer entdeckt. Doch das ist nur die Spitze eines Eisberges. "Wir sind mittendrin im Menschenhandel", sagt Tatzgern. "Es ist immer noch leicht verdientes Geld in diesem Bereich." Tatzgern zeichnet ein düsteres Bild: "Wir werden auch in 100 Jahren noch darüber reden, wie wir dieses Problem lösen können."

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