Massenquartier: Behörden als Dauergäste im "ärgsten Haus"

Massenquartier: Behörden als Dauergäste im "ärgsten Haus"
Stockwerk musste bereits einmal gesperrt werden. Wöchentliche Kontrollen der Stadt.

Die "Zimmer" sind oft nur vier bis sieben Quadratmeter klein. Eine Matratze hat darin Platz. Mehr nicht. Die Mieten sind haarsträubend. 100 bis 150 Euro zahlen die Bewohner dafür – der KURIER berichtete. Das desolate Massenquartier in der Neulerchenfelder Straße in Wien-Ottakring ist schon seit Monaten im Visier diverser Behörden. Auch das Büro für Sofortmaßnahmen der Stadt Wien ist hier Dauergast. "Aktuell ist es das ärgste Haus dieser Art", sagt Walter Hillerer, Leiter des Büros.

250 Familien leben unter schlimmsten Verhältnissen in dem Zinshaus. Die Anrainer fühlen sich im Stich gelassen. Doch die Mühlen der Behörden mahlen. "Wir sind mindestens ein Mal pro Woche vor Ort", erklärt Hillerer.

Decke hing durch

Einschreiten kann das Büro für Sofortmaßnahmen aber nur, wenn Gefahr im Verzug ist – etwa bei schweren baulichen Mängeln oder gesundheitsgefährdenden sanitären Missständen. "Im März gab es einen großen Einsatz, bei dem das ganze Haus begangen worden ist." Der dritte Stock wurde sofort gesperrt – die Decke hing durch. "Wir konnten nicht garantieren, dass da nicht etwas runterkommt", sagt Hillerer. Die Folge: Das Büro beauftragte eine Baufirma, die eine Sanierung vornahm. Die Stadt Wien streckte das Geld vor. Der Hauseigentümer bekommt die Rechnung. Doch das ist nicht immer so einfach. Der Vermieter ist bekannt – doch nicht auffindbar. Das Geld treiben Helfer für ihn ein.

Auch die Kojen waren den Beamten ein Dorn im Auge. Wobei: Wie groß ein Wohnraum sein darf und muss, ist nicht definiert.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein heruntergekommenes Haus in Wien zur Anlaufstation armer Zuwanderer wird. Ähnliche Häuser in den Gumpendorfer Straße, der Mautner-Markhof-Gasse oder der Mollardgasse wurde bereits "bestandsfrei" gemacht. Heißt: Hier wohnt niemand mehr. "Wir gehen den Eigentümern so lange auf die Nerven, bis das Haus gesperrt wird. Und spätestens beim Geld hört sich der Spaß auf", erzählt Hillerer.

Doch die Geschäftsleute, die mit den winzigen Substandard-Quartieren Geld verdienen, sind einfallsreich. Wird ein Haus dicht gemacht, steht schon ein neues zur Verfügung. "Die Menschen bekommen schon in ihrer Heimat die Adresse und einen Ansprechpartner." Doch die Behörden, meint Hillerer, sitzen am längeren Ast, auch wenn es dauert. "Am Ende des Tages wird das Haus abgerissen."

Je länger die Recherche rund um das Bettlerhaus in Wien-Ottakring andauert, desto mehr Abgründe tun sich auf. Skrupellose Bosse, die die Ärmsten in marode Wohnungen stecken und dafür Wuchermieten kassieren. Menschen mit Behinderungen, die von Rumänien nach Wien gekarrt werden und hier nur mit Betteln überleben können. Die Geschichte rund um das Haus in der Neulerchenfelder Straße 88 rief sofort Experten auf den Plan, die von den furchtbaren Zuständen berichteten. Wie es jedoch wirklich in dem Haus aussieht, welche Schicksale hinter den Menschen stecken, kann nur einer erzählen, der dort lebt.

Dem KURIER gelang es, einen Bewohner zu finden, der sich traut, über sein Leben zu sprechen. Obwohl er große Angst hat, dass sein "Vermieter" ihm etwas antun könnte, will Florim C. (Name geändert) nicht länger still sein.

KURIER: Sie wohnen seit drei Monaten in dem heruntergekommenen Haus. Wie kann man sich das Leben dort vorstellen?

Florim C.: Man kann das nicht als "wohnen" bezeichnen. Ich teile mir mit meiner Frau und meinen zwei kleinen Kindern zehn Quadratmeter. Wir schlafen auf Matratzen auf dem Boden.

Warum haben Sie keine andere Unterkunft für Ihre Familie?

Ich komme aus Rumänien und wollte hier ein besseres Leben haben und arbeiten. Aber das ist schwierig. Für eine Wohnung muss man zwei Jahre in Österreich gemeldet sein. Ich habe versucht, eine Wohnung zu bekommen, aber es ist unmöglich.

Wie sind Sie dann in dieses Haus gekommen?

Bekannte haben mir erzählt, dass es Häuser gibt, in denen viele andere Rumänen sind. Ich bin dann in die Mautner-Markhof-Straße gezogen, habe dort eineinhalb Jahre gelebt. Als das Haus geräumt wurde, sind wir alle nach Ottakring gebracht worden. Natürlich möchte ich nicht so leben, aber ich habe keine andere Wahl. Ich muss irgendwo gemeldet sein, sonst bekomme ich keine Wohnung und kann meine Kinder nie in den Kindergarten schicken.

Kennen Sie den Vermieter?

Nein, es kommen Männer und sammeln das Geld in bar von allen Bewohnern ein. Wenn man nicht genug hat, gibt es große Probleme. Man wird sofort rausgeworfen und muss auf der Straße schlafen. Ich zahle für die zehn Quadratmeter 150 Euro jeden Monat.

Wie viele Menschen leben in dem Haus?

Ich schätze, das sind so zirka 250 Familien. Es ist ein Kommen und Gehen. Das Haus ist in Nationalitäten unterteilt. Im Erdgeschoß wohnen die Rumänen, darüber Afrikaner. Das ist auch so gemacht, weil man sich ja mit den unterschiedlichen Sprache nicht unterhalten kann.

Woher kommt das Geld für Ihre Miete?

Ich versuche es mit kleineren Arbeiten zu verdienen. Ich spreche Leute an, ob ich irgendetwas helfen kann. Aber viele in dem Haus betteln. Sie werden abgeholt und zu ihren Plätzen gebracht.

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